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Neueste Literatur auf dem Gebiete der antiken Vasenkunde,
blos ganze Fälschungen aus oder die geschickten Ergänzungen sehr
fragmentirter Gefässe, sie scheiden auch sehr wohl das aus freier
Hand Entworfene, sicher Gezeichnete *der Linien, und die ängst-
liche, schablonenhafte Wiederholung. Das Gebiet etrurischer Nach-
ahmung erweitert sich für uns bedeutend. Und darum ist jene
einst so frisch vorweg und unreif aufgegriffene Frage nach der Be-
ziehung einzelner Vasenbilder zu berühmten Originalgemälden der
Meister keineswegs überhaupt zu verwerfen, aber im engen Kreise
nun behutsam zu fördern. Es lässt sich nicht läugnen, wir haben
in einzelnen erlesenen Werken zu dem Stil eines Polygnot, eines
Zeuxis und Parrhasios, zu der Kunst eines Apelles, Aötion, Niko-
machos entschiedene Analogien.
Nun gilt es die Ausdeutung des Vasenbildes. Wohl möch-
ten wir heutzutage manchem Forscher, der ganz einseitig formal
die antiken Kunstwerke, besonders Vasenbilder betrachtet, die Frage
des Apostel Philippus an den Kämmerer aus dem Mohrenlande vor-
halten : »verstehst du auch, was du liesest?« In der That haben
wir es zu einem guten Theil bei diesen untergeordneten und so
populären Zweigen der Kunst mit einer Bilderschrift zu thun, ähn-
lich wie bei den Miniaturen des Mittelalters, wie bei den Bilder-
bibeln der neuern Zeit, einer Bilderschrift, welche auch von vielen
gehandhabt wurde ohne ein deutliches Bewusstsein ihres Sinnes,
aber die selbst darum nicht sinn- und bedeutungslos ist. Das
Dekorative und das Gedankenvolle sind eben in der griechischen
Kunst wunderbar ineinander verschlungen. Die Kunsttechnik, welche
in so überraschender und vielleicht wenig bewusster Weise die Ge-
setze der Composition handhabte, hat auch bei den Vorgängen
sich etwas gedacht, hat Οχήματα für die innern Vorgänge, für
die ή&η und πά&η trefflich verstanden, hat endlich es mit einem
Volke 7u thun gehabt, einer unendlich reichen Sprache, einer
durchgebildeten, populären Sagenwelt, einer durch das ganze Leben
sich durchziehenden typischen, idealen Auffassung der Vorgänge in
Natur und Menschenleben. Die Methode der Ausdeutung musste
freilich erst sehr umgewandelt und geläutert werden, ehe ihre Re-
sultate als sicheres Eigenthum der Kunstmythologie sich einfügen.
Wir sehen wohl ein, dass neben dem Mythus auch das unmittel-
bare, wirkliche Leben einen viel grösseren Raum einnimmt, und
dass gerade auf den Erzeugnissen ächt attischer Kunst auch der Tod,
die Todtenklage, die Ausstellung, der Todtendienst sich wenigstens
auf einer bestimmten Gattung von Gefässen geltend macht, aber
immer ist es das typische, das allgemeine Bild eines Lebens, nicht
die porträtartige, ängstliche Nachbildung der Wirklichkeit, welche
hier waltet. Und soweit Geschichtliches hereinragt in diese Bilder-
welt, so ist es wieder nicht die einzelne Erscheinung, es ist der
ideale Hintergrund eines Vorganges, wie z. B. an der Dariusvase,
der ergriffen wird, es ist die poetische, lyrische Färbung einer
Situation, wie bei Dichterscenen, es ist der geschichtliche Mythus,
Neueste Literatur auf dem Gebiete der antiken Vasenkunde,
blos ganze Fälschungen aus oder die geschickten Ergänzungen sehr
fragmentirter Gefässe, sie scheiden auch sehr wohl das aus freier
Hand Entworfene, sicher Gezeichnete *der Linien, und die ängst-
liche, schablonenhafte Wiederholung. Das Gebiet etrurischer Nach-
ahmung erweitert sich für uns bedeutend. Und darum ist jene
einst so frisch vorweg und unreif aufgegriffene Frage nach der Be-
ziehung einzelner Vasenbilder zu berühmten Originalgemälden der
Meister keineswegs überhaupt zu verwerfen, aber im engen Kreise
nun behutsam zu fördern. Es lässt sich nicht läugnen, wir haben
in einzelnen erlesenen Werken zu dem Stil eines Polygnot, eines
Zeuxis und Parrhasios, zu der Kunst eines Apelles, Aötion, Niko-
machos entschiedene Analogien.
Nun gilt es die Ausdeutung des Vasenbildes. Wohl möch-
ten wir heutzutage manchem Forscher, der ganz einseitig formal
die antiken Kunstwerke, besonders Vasenbilder betrachtet, die Frage
des Apostel Philippus an den Kämmerer aus dem Mohrenlande vor-
halten : »verstehst du auch, was du liesest?« In der That haben
wir es zu einem guten Theil bei diesen untergeordneten und so
populären Zweigen der Kunst mit einer Bilderschrift zu thun, ähn-
lich wie bei den Miniaturen des Mittelalters, wie bei den Bilder-
bibeln der neuern Zeit, einer Bilderschrift, welche auch von vielen
gehandhabt wurde ohne ein deutliches Bewusstsein ihres Sinnes,
aber die selbst darum nicht sinn- und bedeutungslos ist. Das
Dekorative und das Gedankenvolle sind eben in der griechischen
Kunst wunderbar ineinander verschlungen. Die Kunsttechnik, welche
in so überraschender und vielleicht wenig bewusster Weise die Ge-
setze der Composition handhabte, hat auch bei den Vorgängen
sich etwas gedacht, hat Οχήματα für die innern Vorgänge, für
die ή&η und πά&η trefflich verstanden, hat endlich es mit einem
Volke 7u thun gehabt, einer unendlich reichen Sprache, einer
durchgebildeten, populären Sagenwelt, einer durch das ganze Leben
sich durchziehenden typischen, idealen Auffassung der Vorgänge in
Natur und Menschenleben. Die Methode der Ausdeutung musste
freilich erst sehr umgewandelt und geläutert werden, ehe ihre Re-
sultate als sicheres Eigenthum der Kunstmythologie sich einfügen.
Wir sehen wohl ein, dass neben dem Mythus auch das unmittel-
bare, wirkliche Leben einen viel grösseren Raum einnimmt, und
dass gerade auf den Erzeugnissen ächt attischer Kunst auch der Tod,
die Todtenklage, die Ausstellung, der Todtendienst sich wenigstens
auf einer bestimmten Gattung von Gefässen geltend macht, aber
immer ist es das typische, das allgemeine Bild eines Lebens, nicht
die porträtartige, ängstliche Nachbildung der Wirklichkeit, welche
hier waltet. Und soweit Geschichtliches hereinragt in diese Bilder-
welt, so ist es wieder nicht die einzelne Erscheinung, es ist der
ideale Hintergrund eines Vorganges, wie z. B. an der Dariusvase,
der ergriffen wird, es ist die poetische, lyrische Färbung einer
Situation, wie bei Dichterscenen, es ist der geschichtliche Mythus,