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Gregor o vius: Geschichte d. Stadt Rom.

Material für den eben erwähnten Gesichtspunkt nur willkommen
heissen. Immer aber wird es noch Jemanden geben müssen, der
der Volksentwicklung nach der politischen Seite gerechter wird,
als dies bei den beiden berühmten Monographen geschehen. Diese,
denen der Papst nach dem realen Ausdruck der Geschichte stets
als der unveräusserliche Herr und Fürst vorschwebte, waren nicht
in der Lage, darin das periodisch gährende Ferment eines dunklen
Ringens bei der Bevölkerung nach einer selbstständigen Geltung
zuzugeben. Heute müssen wir, so oft wir den Process der Neuge-
staltung Italiens sich uns vor unserem Geiste erneuern lassen, und
nachdem er mit der Einverleibung Roms zur Ruhe gekommen ist,
sagen, dass die Bestimmung der Tiberstadt, der Sitz einer geist-
lichen Fürstenherrschaft zu sein, von Anfang an an zeitliche Grenzen
gebunden war. Die Macht, den Process einzuleiten, die dem fran-
zösischen Kaiser zu Gebote stand, auch wenu er nicht in erster
Reihe zu seinem Plane gehört hatte, gab ihm den wahrsten An-
spruch, die ebenbürtige Parallele zu dem grossen Ahnherrn zu
bilden. Wie dieser die Beseitigung der geistlichen Fürstenthümer
in Deutschland verursacht hatte, so half wenigstens Napoleon III.
die Beseitigung des päpstlichen Fürstenthums in Italien verur-
sachen.
Den Anfang der geistlichen Fürstenherrschaft bezeichnete das
Ausbleiben einer Militärmacht, wodurch der öströmische Kaiser
seiner Herrschaft über Rom hätte Ausdruck geben müssen (752).
Das Ende derselben bezeichnete das Erscheinen der italienischen
Truppen, welche die Herrschaft ihres Königs über Rom daselbst
aufrichteten (1870).
Zwischen diesen beiden Punkten hatte sich die Herrschaft der
Päpste langsam entfaltet, unter Geltendmachung des oberpriester-
lichen Ansehens, die ihnen nur gelang, weil Rom ihr Sitz war.
Unter den Päpsten hatte Rom alle politischen Phasen durchlebt,
von denen das Staatsrecht überhaupt je hat Notiz nehmen können,
municipale Selbstständigkeit, Adelsherrschaft als Lehensträgerin der
Päpste, wobei Rom der Sitz der Repräsentation des Adels als sol-
cher war, Monarchie im Sinne des Ancien regirae bei lebensläng-
licher Präsidentschaft des jeweiligen Trägers der Tiara.
Diese Phasen musste die Bevölkerung Roms in ihren absteigen-
den Generationen durchmachen, bis sie das Bewusstsein erlangte,
dass Rom, welches so viele Jahrhunderte als Vehikel einöl· Macht
gedient hatte, die von sich rühmte, nicht von dieser Welt zu sein,
in die Reihe der übrigen Hauptstädte Europas als eine Stadt mit
politischer Gleichberechtigung eintreten könne. Diese Geltung, die
bestimmtere Formen zum Ausdruck zu bringen fähig ist, als das
vegetative Leben ihrer Vergangenheit sie mit sich brachte, ist be-
scheidener als jene; aber sie weckt ein Bewusstsein, wie es durch
den Individualismus schon anderwärts gezeitigt worden war.
Die ersten Symptome des Ringens nach dieser Geltung traten
 
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