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Historische Vierteljahrsschrift — Leipzig, Dresden: von Baensch-Stiftung, Band 4.1901

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Kritiken
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https://doi.org/10.11588/diglit.60746#0139
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Kritiken. 125

Heinrich Abeken. Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit, aus
Briefen zusammengestellt. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1898.
VII, 544 ©.

„Die Deutschen sind gute Gelehrte, gute Poeten, gute Soldaten,
mit der Zeit werden sie vielleicht auch gute Politiker“, so urteilte
Abeken im Jahre 1864 (S. 294). Damals war er selbst bereits seit
einer Reike von Jahren im politischen Dienst thätig; und wenn er,
den die Natur wohl eher zum Gelehrten oder Poeten bestimmt, einer
der treuesten Mitarbeiter Bismarcks geworden, so liess das wohl
hoffen, dass noch mehr tüchtige Männer aus dem Volke der Denker
und Dichter Verständnis für die grossen politischen Aufgaben der
damaligen Zeit gewinnen würden.

Abeken war von Geburt Hannoveraner, er stammte aus einer
angesehenen Osnabrücker Familie. Im achtzehnten Lebensjahre hatte
er die Universität Berlin bezogen und widmete sich dort theologi-
schen, philosophischen und philologischen Studien. Schon die Briefe
jener Zeit zeigen, wie rasch er sich für seine Lehrer begeisterte. Es
ist ein Zug, den wir immer und immer wieder in Abekens Leben
finden, der ihn selbst im Alter nicht verliess, dass er bei den Menschen
mehr die guten Seiten als die schlechten sah. Seine Freunde, seine
Kollegen, seine Vorgesetzten, so verschieden sie auch geartet sind, sie
erscheinen in den Schilderungen Abekens fast immer im günstigsten
Lichte. Wie freut er sich, wenn sich ihm auch nur die geringste
Handhabe bietet, um einen Schatten, der ihm das Bild eines verehrten
Mannes trübt, zu verscheuchen. Ganz glücklich war der junge Theo-
loge, als er aus Tiecks Munde die Behauptung hörte, Goethe sei
höchst religiös (S. 16), oder wenn Zelter urteilte, an Goethe sei nichts
Gemeines, selbst seine Ausschweifungen habe er mit Geschmack und
Geist getrieben (S. 20). Als Abeken schon Pastor und Ehemann ge-
wesen, schon im 39. Lebensjahre stand, suchte er Goethes Verhältnis
zur Christiane Vulpius zu entschuldigen (S. 138).

Dem jungen Studenten vergiebt man es, wenn er A. v. Humboldt
für den bescheidensten Mann der Welt hält, aber selbst im reiferen
Alter ist Abeken immer noch geneigt, andere Menschen zu günstig
zu beurteilen. Es ist dies ein liebenswürdiger Zug, aber er beweist,
dass Abeken nicht Menschenkenner genug war, um je an erster, ver-
antwortungsvoller Stelle zu stehen. Dagegen war er wie geschaffen
dazu, der Gehilfe grosser Männer zu werden, sie treu zu unterstützen,
sich in ihren Ideenkreis einzuleben und die schroffen Seiten ihres
Charakters in Geduld und Liebe zu ertragen. Wohl litt er manchmal
schwer unter der nervösen Gereiztheit Bismarcks, aber die Verehrung
für den grossen Mann liess ihn alles überwinden. So machte er sich
 
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