Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
338

zürnen Sie mir nicht!.. . Also Sie sind Der, um den meine
arme Cousine Marie so viele Schelte bekommen hat und so
manche Neckerei erdulden mußte?"
„Wie? — Was sagen Sie? — Ihre Cousine?!" rief er
und riß die kleinen Augen beinahe unheimlich groß auf.
„Allerdings — meine leibhaftige Cousine, — die Tochter
meiner Tante Burghardi," sprach ich, seine Hand ergreifend...
„O, wenn Sie wüßten!"
Ich konnte nicht anders, trotz aller Rührung bekam die
Heiterkeit bei mir abermals die Oberhand.
Er stand da und wußte nicht, was er sagen sollte, der
gute alte Herr, — er sah mich an mit offenem Munde, sein
ganzes Gesicht ein großes Fragezeichen. —
„Bitte, setzen Sie sich und hören Sie mich ruhig an,"
begann ich auf's Neue . .. „O, welch' eine prächtige Ge-
schichte, lieber Freund! ... Sehen Sie, — nein, lassen Sie
mich aussprechen. Ich habe nämlich eine Tante, die Schwester
meiner Mutter und Gattin des jetzigen Rentners Burghardi."
Der alte Herr ließ einen tiefen, unartikulirten Ton ver-
nehmen und es zuckte da im Mondenscheine ganz merkwürdig
in seinem Gesicht herum. Er vermochte offenbar kaum an sich
zu halten.
„Eine Zeitlang, und namentlich im Jahr 1866, wohnte
mein Onkel mit seiner Familie in Spremberg in bescheidenen
Verhältnissen. Er besaß eine Tuchfabrik und hatte Unglück ge-
habt mit seinem Associs. — Nun, ich war damals noch ein
halbes Kind, aber ich erfuhr es doch durch die Gespräche meiner
Eltern später, nämlich daß Burghardis Einquartierung gehabt
hatten, einen langen Offizier mit rothen Haaren, und daß
Mariechcn, meine Cousine, trotz ihrer Jugend sich von ihm hatte
bezaubern lassen."
Wieder packte Jener meinen Arm wie mit Schrauben.
„Nun wohl — ich hörte auch, daß Cousinchen viele Schelte
bekommen hat Ihretwegen, wegen des Briefschreibens und vor
Allem wegen jener prächtigen Dinger da drinnen, ich wußte
nur nicht, daß es gerade ein Paar Tragbänder gewesen waren!
„Arme Cousine! — Man verbot ihr jeden Verkehr mit
Ihnen, man war sehr strenge zu ihr und schickte sie sogar in eine
Pension, damit sie sich bessern und jenen langen Lieutenant
vergessen sollte!" —
„Wie?!" rief Helmreich in höchster Erregung.
»Ja, — das that mau, denken Sie sich! — Aber Alles
umsonst, lieber Premier, denn Manschen konnte den Geliebten
ihrer Jugend niemals vergessen, bis zum heutigen Tage noch
nicht, wie man mir sagte."
Hier umschlangen mich plötzlich krampfhaft ein Paar lange
Arme und ein rauher Bart rieb sich an meinem Gesicht.
„O Freund, o Freund!" stammelte der lange Mensch ganz
außer sich und die Hellen Thränen liefen ihm die Backen her-
unter. —
„Ja — so ist es," fuhr ich fort, sobald ich mich nur ein
bischen frei machen konnte. „Meine Cousine, ich glaube nicht
zu irren, liebt Sie herzlich, heute noch wie damals, trotz Pen-
sion, Schelte und Neckereien, und hätte ich nur eine Ahnung
davon gehabt, daß Sie. . . Aber, wie gesagt, Ihren Namen
hörte ich niemals nennen — wie konnte ich daher ahnen?"
„O Freund — o Himmel, welch' ein Glück! — O Mans-
chen, liebes Manschen!" schluchzte der Selige, ganz fassungslos
vor Freude und Ueberraschung. — „O Vetter meines Engels!"
Hier umarmte er in seines Herzens Ueberfülle mich auf's
Neue und küßte mich.
„Aber nicht wahr — nun machen Sie auch schnell der
Sache ein Ende!" rief ich hoch erfreut und schüttelte ihm die
Hand.
Er hielt betroffen plötzlich inne.
„Nun ja doch — ich meine, Sie machen Hochzeit?"
Er wurde mit einem Male ganz ernst und schüttelte lang-
sam, aber nachdrücklich mit dem Kopfe.
„Na — darf ich denn meiner Cousine nicht schreiben?" frug
ich ganz erstaunt.
Er überlegte eine Minute lang.
„Nein, jetzt noch nicht," begann er dann. „Oder ja —
schreiben Sie ihr, Freund, was wir entdeckt haben, schreiben
Sie ihr, daß ich sie noch liebe, allezeit geliebt habe, die ganzen
Jahre hindurch, daß ihr Bild noch frisch in meinem Herzen
lebt, daß ich warte . . . Aber heirathen, jetzt schon . . .
sehen Sie. . . siehst Du, lieber Bruder, das geht uicht. Ich
muß doch erst eine Kompagnie haben, ich muß doch meine
Frau erst ernähren können, ehe ich bei den Eltern um sie an-
halte." — , . '
„Was!" rief ich ungläubig, „Du willst noch warten?"
„Ja, es muß sein . .. es geht nicht anders," sprach er
seufzend, tiefernst.
„Ei — Thorheit — wartet ihr denn nicht lange genug
schon und was soll das heißen mit der Kaution und der Kom-
pagnie? — Hat Marie nicht genug für euch Beide? — Ihr
Vater hat ja sein ganzes Vermögen wieder erhalten! — Nein,
nicht gefackelt länger!"
Schwer legte sich seine Hand auf meine Schulter.
„Wäre es wohl ehrenhaft, lieber Bruder, wenn ich mich
von meiner Frau ernähren lassen wollte?" sprach er fest, wenn
auch betrübt. „Muß ich nicht also warten?"
„Weißt Du, daß Du ein rechter Egoist bist mit dieser
Marotte da! Siehst Du etwa aus wie ein Mann, der sich er-
nähren lassen will? Bist Du nicht Kapitalist!" rief ich, ärgerlich
werdend über so viele Skrupel.
„Denkst Du denn auch gar nicht ein bischen an die arme
Marie? Frägst Du wohl darnach, wie sauer ihr das Warten
wurde und was sie dazu sagt? — Anträge hat sie genug ge-
habt, daS versichere ich Dir."

Illustririe Welt.

Er sah mich ganz betroffen an und athmcte einige Male
schwer.
„Laß es mich beschlafen, Bruder," sprach er dann nach
einer Weile ernst und nachdenklich, „laß es mich erst beschlafen,
— — komm'!"
Er zog mich hinein in's Zimnicr, er zündete Licht an und
trat zu jenem Andenken. Er drückte sie beide, feucht noch, wie
sie waren, an seine Lippen und murmelte feuchten Auges:
„Aus Liebe — 1866! O süße Marie! — O du gütiger
Himmel!"--
Und am andern Morgen, unterwegs auf dem langen
Marsche, da beredete ich ihn doch. Ich selbst nahm die Sache
keck in die Hand, ich schrieb an Marie und an ihre Eltern. Ich
sagte ihnen Alles!
Und so habe ich es denn richtig fertig gebracht, — der
„alte Herr" ist heute mein lieber Vetter und Marie sein glück-
liches Weib.
Die Prunkhaften aber sollte er sich in Gold fassen lassen,
— nicht wahr, meine Damen? —

Ilbumblair.
Zwei Iterne.
Zwei Sterne wachen über meinem Leben;
Wohin ich auch mit schwanken Schritten gehe,
Lmpfinö' ich selig ihre stille Nähe,
Und mir vor Augen seh' ich klar sie schweben.
Ium Guten will ihr Schauen mich erheben,
Denn wo ich einsam und verlassen stehe,
Zerfliesst in sanftes Licht mein dunkles Wehe,
Und der Versöhnung bin ich hingegebcn.
L> laß, Geliebte, diese letzten Sterne
Nicht untergchen einem irren Wand'rcr,
Dem ewig sich in Grau verhüllt die Ferne!
Er hat, erfüllt von einem höchsten Streben,
Sich weit verloren von dem Treiben And'rer —-
Last deine Augen ruh'n auf seinem Leben!
(Aus: „Nächte". Lyrische Dichtungen von Max Aalbeck.
Hirschberg, Verlag der Aktiengesellschaft „Bote a. d. Riesengebirge".)

König Kumvert non Italien.
(Porträt S. S3S.)
Der neue König von Italien, der zweite seit der Einheit,
dessen Bild unser Heft hier zeigt, tritt unter sehr schwierigen Um-
ständen in seinen hohen Beruf; er hat einen ausgezeichneten Vater
zu ersetzen, einen Monarchen, welcher zu den populärsten und ge-
liebtesten gehört, welche die Geschichte kennt, und der einen staats-
männischen Takt, eine Lebensklugheit und weise Mäßigung besaß,
die für sein Vaterland außerordentlich segensreich gewirkt haben.
Jetzt sieht Italien mit großem Ernst und sehr gespannt der Zu-
kunft entgegen.
Die Proklamation, welche der neue König noch in der Nacht
nach dem Hinjcheidcn seines erlauchten Vaters an sein Volk richtete,
dürfte ihm jedoch die Herzen desselben gewinnen: sie zeugt von
Verständniß der großen Aufgabe, die ihm geworden.
König Humbert ist am 4. März 1844 geboren. Er empfing
einen gelehrten Unterricht und zeigte schon frühzeitig Interesse für
das Militärische. Nachdem er bereits 1859 persönlich am Feldzug
gegen Oesterreich theilgenommcn, folgte er mit Eifer und Teil-
nahme den Bestrebungen der italienischen Politik. Vor Ausbruch
des Krieges von 1866 ging er nach Paris, um zu hören, wie
von Frankreich die Allianz mit Preußen ausgenommen werde. In
der Schlacht von Custozza befehligte er eins Division unter Cialdini,
und seinen Bemühungen wird es zugeschrieben, daß der Rückzug
nicht in wilde Flucht ausartete; vereint mit Bixio deckte er Len
Rückzug DuranLo's. Nach der Einnahme Roms im September
1870 übernahm er das Kommando der römischen Garnison. Seit
1866 hat er sich vorzugsweise den Werken des Friedens gewidmet,
indem er wohl einsah, daß sein Vaterland zunächst der Förderung
der Landwirthschaft, der Industrie und des Handels bedürfe. So
widmete er namentlich den Ausstellungen sein besonderes Augen-
merk. Er hat zu wiederholten Malen Deutschland besucht, und
namentlich mit dem deutschen Kronprinzenpaar verbindet ihn
innige Freundschaft. Humbert ist keine liebenswürdige, keine leut-
selige, keine imponirende, keine gewinnende Persönlichkeit: seine
aristokratischen Manieren haben ihn dem Volke stets ferne gehalten,
das sein Vater in so hohem Grade zu gewinnen wußte. Der
jetzige König von Italien hat einen streng militärischen Charakter
bisher gehabt, das kann sich aber Alles ändern, denn die Ge-
schichte hat erwiesen, daß der große Schritt vom Kronprinz zum
König merkwürdige Wandlungen hervorbringt. Dagegen ist die
Gemahlin König Humbert's, Margarethe, die Tochter seines
Oheims Ferdinand und Enkelin König Johann's von Sachsen,
mit der er seit 22. April 1868 vermählt ist und die ihm einen
Sohn schenkte, eine durch ihren Liebreiz, ihre Anmuth und ihren
Verstand fesselnde Persönlichkeit, die durch ihre Vorliebe für deut-
sches Wesen und deutsches Naturell schon unsere vollen Sym-
pathien hat.

Stotz und Lieöe.
Roman
von
E. M. Vacano.
(Fortsetzung.)
Dreizehntes Kapitel.
Der Briesbeutel von Sotherne.
„Ernestine," sagte Mrs. Blair zu dieser schlauen Demoiselle
im Laufe des Tages, an welchem Oberst Fleming Sotherne
Court so rasch verlassen hatte, „Ernestine, Du siehst sehr blaß
aus!" —
„Ich danke, Madame, aber ich fühle mich ganz wohl."
„Das thut nichts zur Sache," bestand ihre Herrin auf ihrer
Rede. „Du siehst dennoch sehr blaß aus und ich bin besorgt
um Dich."
Hier verstand Mademoiselle Ernestine's Instinkt die Mei-
nung der Herrin und sie erkannte, daß es ihre Pflicht sei, blaß
und kränklich zu sein.
„Oui, Madame. Vielleicht bin ich ein bischen leidend; ich
fühle ein wenig Kopfschmerz."
„So ist's, Ernestine, und eS ist klar, daß Du nicht genug
frische Luft schöpfst. Du brauchst Bewegung, mein gutes Mäd-
chen — täglich einen Spaziergang."
„Madame ist sehr freundlich — aber ich habe keine Zeit
für eine Promenade."
„Nicht bei Tage vielleicht, und das bringt mich darauf,
was ich erwähnen will: so ein Spaziergang am frischen Mor-
gen, bevor Du mich weckst, das thüte Dir gut!"
„Madame!" rief die arme Ernestine jetzt wirklich blaß aus,
da sie die Aussicht hatte, ihr vielgeliebtes Bett noch zeitlicher
als bisher verlassen zu müssen.
„Unterbrich mich nicht; cs ist unangenehm, so zeitlich aus-
zugehen ohne Gesellschaft oder ohne Zweck, ich weiß das, aber
Du kannst ja auf der Landstraße gehen, da ist's immer trocken,
und dann, wenn Du dem Briefträger begegnest, kannst Du
umkehrcn, und wenn Du so gut sein willst, ihm die Brieftasche
abzuuehmen und mir bringen, daß ich meine Briefe heraus-
nehme, das wird Dir Deinen Spaziergang amüsanter machen,
und, Ernestine, Du bist ein gutes Mädchen und ich bin sehr zu-
frieden mit Dir. Schau' her! Ich habe Dir diesen meinen
weißen Seidenmantel bestimmt; daraus bekommst Du eine
ganz prächtige Jacke, und das Stück echter Spitzen darauf
schenke ich Dir auch."
„Wie gütig sind Sie für mich, Madame!" rief das ent-
zückte Mädchen, wie sie den Seidenmantel aufnahm.
„Ich bin überzeugt, daß ein Morgeuspaziergang Dir sehr
zuträglich sein wird. Nichts geht über Morgenluft."
„Danke, Madame, und soll ich schon morgen damit an-
faugen?"
„Gewiß. Je eher Deine Wangen wieder Farbe bekommen,
desto lieber ist es mir. Da, parfümire mir ein wenig dieß
Sacktuch und gib mir mein goldenes Lorgnon — das ist
Alles, was ich für jetzt brauche; Du kannst gehen."
Ernestine verstand vollkommen, was von ihr verlangt
wurde. Sie nahm den Seidenmantel, der noch fast neu und
für eine Zofe sicher ein hübsches Präsent war, und nahm
sich vor, denselben ehrlich dadurch zu verdienen, daß sie ihren
Theil in dem Handel erfüllte.
Sie verstand, daß Mrs. Blair die Brieftasche zuerst sehen
wollte, und sie errieth vielleicht auch, daß es sich für die Dame
darum handle, zu erfahren, ob Miß Blair irgend welchen Brief
von dem abgereisten Oberst Fleming empfange.
Weiter gingen, man muß ihr diese Gerechtigkeit lassen,
Ernestinens Gedanken nicht.
Es war Gebrauch auf Sotherne, daß der Briefbeutel jeden
Morgen am Hauptthore vom Briefträger dem Bedienten James
übergeben wurde. Higgs, der Kellermeister, hatte die Schlüssel,
öffnete die Tasche und vertheilte die an dis Domestiken gerich-
teten Briefe unter diese, während er die übrigen auf den Früh-
stückstisch legte, ausgenommen die für Mrs. Blair, welche
Ernestine in das Zimmer ihrer Herrin hinauftrug.
Aber Higgs, als echter langjähriger und verwöhnter Ver-
trauensmann, hatte wie hundert andere kleine Verpflichtungen so
auch das Geschäft des Brieftaschenöffuens und Briefvertheilens
seit Langem schon dem unter ihm stehenden James zugetheilt.
Die Tasche kam stets an, wenn Mr. Higgs ganz comfor-
tabsl sein Frühstück einuahm und mit Mrs. Pearse in dem Zim-
mer der Haushälterin seinen Morgenklatsch hielt. Higgs war
fett, und Higgs war alt und bequem: es war also bedeutend
leichter, einfacher und weniger störend für ihn, wenn er James
den Schlüssel auvertraute, und damit die Herausnahme und
Vertheilung der Briefe.
Nun war dieß aber ein Geschäft, welches James mehr als
alle anderen haßte und verabscheute. Jeden Morgen, ob das
Wetter trocken oder naß, schön oder garstig war, mußte er diese
„albernen" Briefe Hereinholen, wie er sich elegauterweife aus-
drückte, und da seine eigene Korrespondenz von sehr beschränkter
Art war, indem sie sich einzig auf Rechnungen für Tabak und
Bier aus dem Dorfwirthshaus und auf Geldforderungen von
seiner betrunkenen Mutter erstreckte, so war sein Interesse an
dem Inhalte der Brieftasche auch uicht allzu lebhaft.
Alle diese Umstände, die vor ihr von ihren Mitdomestiken
oft genug besprochen wurden, waren Mrs. Blair's französischer
Zofe wohl bekannt.
Sie wußte ferner — welches Frauenzimmer, und besonders
 
Annotationen