Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Illu strirte Welt.

Millionen schwimmt! Es ist fabelhaft! Der mit
Herzogen und Fürsten auf du und du steht und mit dem
Prinzen von Wales Karten spielt! Es ist kolossal!"
Ganz maßlos war sein Zorn, als dieser angebetete
Mann ihn absolut nicht beachtete.
C. W. ließ sich auf dem Rennplatz zu Gotha durch
den Baron vorstellen, und Brandes sprach drei Worte
mit ihm. C. W. machte in dem Palais am Königs-
platze zu Berlin Besuch und wurde nicht empfangen.
C. W. erzwang bei einer Begegnung im Tiergarten
eine neue Unterhaltung, erzählte von seinen dreizehn
Millionen, die in der Bank von England ruhten, und
betonte, daß er in Brandes sein Vorbild sehe, dem er
nacheisern wolle.
Brandes maß ihn von oben bis unten und ließ
ihn nach einigen gleichgültigen Worten stehen.
Da schwur C. W.: „Diesen Menschen vernichte ich!"
Und nun gestern war es auf der Rennbahn zu
Iffezheim zur Katastrophe gekommen.
Hatte Brandes den unschuldigen Herrn Kalin ange-
rempelt oder umgekehrt, jedenfalls war vor ver-
sammeltem Publikum der Anlaß zu einer für C. W.
höchst fatalen Scene gegeben.
*
Vier Uhr! — Immer noch lag Baden-Baden in
nächtlicher Stille.
Jeder Mensch wußte, daß Herr Georg Brandes in
der Handhabung von Pistolen außergewöhnlich geschickt
fei; nie hatte C. W. bei irgend einem seiner Geschäfte
so schlechte Chancen gehabt als bei dem bevorstehenden
Kugelwechsel.
Wenn er jetzt heimlich davonginge, direkt nach
Chicago? Vielleicht wäre das das klügste, aber die
widerwärtige Geschichte würde auch jenseits des großen
Wassers nicht unbekannt bleiben. Man würde ihn
auslachen, und man würde ihn auslachen, wohin in
aller Welt er gehen würde, in Paris so gut wie in
Konstantinopel, und in San Francisco so höhnisch wie
in Melbourne.
Der kalte Schweiß trat ihm auf Stirn und Hände.
Wie wundervoll hatte er sich sein Leben erträumt:
ein Mann von Welt werden, der wie dieser Brandes
in die größte und vornehmste Gesellschaft sich Weg
bahnte! Große Rennen gewinnen und im Jockey-Club
speisen, Orden empfangen und vielleicht gar als Mann
von Adel ein erfolgreiches Leben beschließen.
Man würde im Nekrologe sagen:
„Herr von Kalm wurde als Sohn einfacher Eltern
zu Chemnitz geboren. Ausgestattet mit glänzenden
Geistesgaben, erwarb er in der Neuen Welt große
Reichtümer, kehrte in feine alte Heimat wieder und
stieg dort empor zu den höchsten Ehren. Er hinterließ
seiner Vaterstadt beträchtliche Summen. Ehre dem
Andenken dieses eigenartigen und bedeutenden Mannes."
Jugendschriften würden erscheinen (man konnte für
deren Herstellung ein Legat aussetzen), m denen man
sein Leben den Heranwachsenden Kindern als Vorbild
hinstellte: „Charles William Kalm, ein deutscher
Mann."
Und nun dieses Pistolenduell!
Wieder kamen Thränen in seine Augen, ein
großes Mitleid mit sich selbst erfüllte ihn ganz.
Da tönten Schritte im Korridor, man pochte leise
an die Thür, der Baron von Rosse trat herein.
C. W. bemühte sich, seiner Stimme Halt zu geben,
aber ganz plötzlich verlor er alle Fassung und sank
schluchzend an des andern Brust.
„Ich bin verloren! Lieber, lieber Freund, retten
Sie mich!"
Der alte Baron war in peinlicher Verlegenheit.
Die Morgendämmerung schaute in das geöffnete Fenster
und beleuchtete fahl den schluchzenden Menschen, das
unwohnliche Hotelzimmer, das aufgewühlte Bett. Ein
Koffer mit Wäschestücken lag mitten im Zimmer, und
der Morgenwind blähte die Gardinen, daß sie wie
dunkle Fahnen hereinwehten.
„Ich bitte Sie, Herr Kalm, fassen Sie sich, es wird
Zeit, wir müssen fahren."
C. W zitterte wie Espenlaub.
„Sie sind mein einziger Freund, Sie sind der
einzige, der es mit mir gut meint! Liebster, bester
Baron, ich flehe Sie an! Retten Sie mich!"
Herr von Rosse antwortete nicht.
Freund! Das Wort hätte zu'jeder andern Stunde
wie Hohn geklungen. Wenn je ein Mensch ihn gequält
hatte, dann dieser Bursche, der in jeder Stunde und
Minute ihn seine Abhängigkeit fühlen ließ. Hundert
Male hatte er diesem Kalm das Geld vor die Füße
werfen und gehen wollen, aber das wäre dann das
Ende gewesen. Und Herr Kalm wußte das ganz genau.
Er hatte sich den rechten Mann ausgesucht, den er
mißhandeln konnte wie einen Sklaven.
„Ich bitte Sie, Herr Kalm, kleiden Sie sich an,
wir dürfen nicht länger warten."
Schließlich brachte er ihn dazu, und während der
andre sich wusch, ging er hinunter, um nach dem
Wagen zu sehen.
Es war Tag geworden, aber über dem engen Thale

lagen Nebel, und die Stille der Nacht begann erst
langsam zu weichen. Der Bach plätscherte, ein paar
Spatzen trieben sich umher und zwitscherten, an der
i Ecke stand der Wagen mit dem verschlafenen Kutscher
und den schlafenden Pferden.
Der Baron lehnte an der hölzernen Balustrade
gegenüber dem Hotel und blickte in das Wasser, das
so rasch vom Schwarzwald zum Rhein eilt.
Wie ost war er vor Jahren und Jahren in den
schönen Badener Herbsttagen hier in der Morgenfrühe
mit dem Bache thalabwärts marschiert.
Alle hatten ihn gern gehabt, und mancher gab sich
später redliche Mühe, ihm zu helfen, als das Glück von
ihm gegangen war. Aber sie konnten natürlich nicht
ewig helfen.
Nun heute stand er hier, um diesem feigen, verhaßten
Menschen als Kavalier zu dienen.
Feige! Er zuckte zusammen. Der Feigste war er
i selbst, der diesen jammervollen Frondienst einem raschen
Ende vorgezogen hatte.
Da kam das Rollen von Rädern. Ein Wagen bog
um die Ecke und war im Nu heran und vorüber.
Brandes, der Prinz von Reichenberg, der Rittmeister !
von Carlotta und der Arzt.
Sie hatten ihn gegrüßt.
Der Wagen verschwand hinter dem nächsten Hause.
Sie hatten ihn gegrüßt.
Nun ja, das war im Grunde genommen selbst-
verständlich.
Aber ihm schien der Gruß wie ein Almosen.
Herr Kalm ließ immer noch auf sich warten. Als
der Baron ihn endlich zum Gehen veranlaßt und in
den Wagen gehoben hatte, saß er totenblaß, zitternd,
fröstelnd in den Kissen, ein Bild der jammervollsten
Verzweiflung.
Thalabwärts rollte der Wagen in schnellem Tempo,
die Häuser von Baden-Baden blieben zurück, und nach
kurzer Fahrt ging es durch das Dorf Oos. Hier
öffnete sich vor ihnen rechts und links das weite Rhein-
thal, die Schwarzwaldberge verschwanden nach wenigen
Minuten hinter ihnen im Nebel, und aus demselben
Nebel klang von fern her das Pfeifen und Rasseln
zweier Eisenbahnzüge. Dann fuhren sie quer über die
Thalebene zum Rhein. Bisweilen kamen sie durch
Dörfer, in denen das Leben des Tages zu erwachen
begann, und nach etwa einer Stunde sagte der
Baron:
„Wir sind in wenigen Minuten am Ziele. Dicht
vor uns fließt der Rhein. Da links, sehen Sie."
C. W. blickte flüchtig hin, was ging ihn der
Rhein an.
Das große Wasser floß in majestätischer Breite
neben ihnen, die Wellen plätscherten kaum hörbar im
Schilf, der Nebel lag immer noch der kämpfenden
Sonne zum Trotz so dicht über Wiesen und Wasser,
daß es unmöglich war, das Ufer des Elsaß zu er-
kennen.
„Wir bekommen heute gutes Wetter," sagte C. W.
plötzlich mit ganz ruhiger und zufriedener Stimme.
Der Baron sah ihn an: was sollte das heißen?
„Und wenn es Ihnen recht ist," fuhr C. W. fort,
„so wollen wir über Tag eine Spazierfahrt machen
und in irgend emem Schwarzwaldnest frühstücken. Ich
habe Hunger."
„Und das Duell?"
„Ich habe mir die Sache überlegt," sagte C. W.
ganz gleichmütig. „Vielleicht war ich bei dieser Ge-
schichte im Unrecht, und Sie werden die Freundlichkeit
haben, das in meinem Namen Herrn Brandes mitzu-
teilen. Sagen Sie ihm, daß, wenn er glaubt, ich sei
im Unrecht, ich ihn um Verzeihung bitte.
„Um Verzeihung?"
„Ja. Das paßt Ihnen wohl nicht? Sie möchten
wohl wirklich lieber, daß er mir zwei Zoll Blei in
die Rippen jagt?"
Der Baron sagte kein Wort mehr.
Und als sie an der kleinen Lichtung ankamen, die,
vom Rhein und einem Birkenwäldchen eingefaßt, harm-
los und friedlich in den ersten Sonnenstrahlen lag,
ging er gesenkten Hauptes, totenblaß, mit halb ge-
schlossenen Augen zu dem Prinzen von Reichenberg
und sagte eintönig seinen Auftrag:
„Wenn Herr Brandes glaubt, Herr Kalm sei im
Unrecht, so bittet Herr Kalm um Verzeihung "
Die Wagen rollten heimwärts. Die allsiegende
Sonne trieb die Nebel über die weiten Wiesen, und
in prachtvoller Klarheit standen die Berge des Schwarz-
waldes.
C. W. sagte fröhlich zu seinem schweigsamen Be-
gleiter:
„Nun wollen wir uns einen vergnügten Tag machen.
Man fühlt sich wie neugeboren."
Zweites Kapitel.
Ganz Baden-Baden lachte über das amüsante Duell
des Herrn C. W. Kalm, und am Nachmittage des-
j selben Tages gewann „Coriolan" für Georg Brandes den
Zukunftspreis, das bedeutendste Zweijährigen-Rennen

der Badener Rennwoche. Der große Sportsman stand
im Zenit seines Glücks. Man schüttelte ihm die
Hände, und die Gratulationen nahmen kein Ende.
Am Abend erschien Brandes im Kurgarten, seine
Tochter am Arm. Der wundervolle Park war seen-
! haft erleuchtet, ein geschickter Arrangeur hatte die
Rasenflächen vor dem Kurhaus in ein Meer grünen
Lichtes umgewandelt, und in Bäumen und Buschwerk
leuchteten Lampions derselben Farbe. Auf der Terrasse
war jeder Tisch besetzt, man speiste dort lieber zu
Nacht als in den Sälen der Badener Hotels, und auf
jedem dieser Tische standen Lampen mit farbigen Seiden-
schirmen, die dem ganzen Bilde ein reiches und kost-
bares Bunt verliehen.
Die Musik spielte, während in dichtem Gedränge
ein tausendköpfiges Publikum vor der Terrasse pro-
menierte. Zu den internationalen Gästen des vor-
nehmsten deutschen Bades kamen die vielen hundert
Sportsmen, die nur in dieser einen Rennwoche im
Oosthale ihr Geld ausstreuen und in den acht Tagen
des August alljährlich dem Bade eine so merkwürdige
Physiognomie verleihen.
Der Baron Schickler und der Herzog von Sagan,
der Prinz von Arenberg und Monsieur Blanc von
Monaco vertraten den Pariser Sport, während der
Prinz von Wales mit seinen Herren den Mittelpunkt
des Nachtfestes bildete. Man drängte sich, nm den
englischen Thronfolger zu sehen, der jetzt vor der hell
erleuchteten Terrasse stand und Georg Brandes die
Hand reichte.
„Hoffentlich, mein lieber Herr Brandes, sehen wir
Ihre Pferde in diesem Jahre auch in England."
Der Herzog von Hamilton promenierte mit den
ungarischen Sportsmen, die, wie in jedem Herbste,
zahlreich anwesend waren. Man sah den Grafen
Nikolaus Esterhazy, den Liebling der Wiener, den
Grasen Tassilo Festetics, dessen „Goldene Jacke" zu
Iffezheim Rennen auf Rennen gewann, den alten
Grafen Henckel, von dem man nie wußte, ob er als
Staatsangehöriger zu Preußen oder Ungarn zu rechnen
sei, den Banquier-Baron Springer und viele mehr.
Die deutschen Sportsmen waren fast vollzählig er-
schienen, und selbst Italien und Rußland waren durch
Männer vom Rennsport vertreten.
Jetzt sah man, wie Käthchen Brandes dem englischen
Thronfolger vorgestellt wurde, und wie dieser dem
jungen Mädchen die Hand reichte.
Sie sah reizend aus, im weißen Sommerkleide mit
dunkler, knapp anliegender Jacke und einfachem, kleinem
Strohhute.
Zum ersten Male war das siebzehnjährige Mädchen
in Baden, zum ersten Male überhaupt in der großen
Welt, und nun drängte sich alles um sie her, Herzoge
und Prinzen, Grafen und Lords, und der Prinz von
Wales hatte ihr die Hand gegeben!
Von allen Seiten schaute man auf sie und deutete
auf sie, die Damen an den Tischen der Terrasse
richteten sich auf und sahen gespannt hinüber.
Sie war glühendrot, verwirrt, ängstlich, und doch
welches selige Gefühl, als sie dann am Arme des
Vaters weiter ging!
„Fräulein Brandes ist die reichste Erbin in Deutsch-
land," sagten die Leute, und die Garde-Offiziere in
Berlin sagten: „Sie ist außerdem das hübscheste
Mädchen."
Immer traten andre Herren an den Vater und
sie heran, denen sie vorgestellt wurde, und deren Namen
zu behalten unmöglich war.
Ein Gerücht wurde im Parke kolportiert:
„Der Fürst von Hohenlohe hat heute abeud
100000 Mark für ,Coriolan' geboten, aber Brandes
hat abgelehnt."
„Unbegreiflich," sagten die Laien.
„Selbstverständlich," die Leute vom Fach.
Von der Duellfarce sprach man nicht mehr, man
hatte heute genug darüber gelacht, und die Sache war
nach zwölf Stunden schon beinahe vergessen.
Nur in Käthchen Brandes zitterte die Erregung
noch leise nach, und selbst die wundervollen Erlebnisse
dieses Abends konnten die Todesangst nicht verwischen,
die sie heute früh durchlebt hatte. Bisweilen, mitten
im Gespräch nnt andern, preßte sie den Arm des
Vaters an sich, und er verstand sie. Er lächelte, aber
im Herzen war er ernst und bewegt.
Herr Kalm war ebenfalls in den Kurgarten ge-
kommen. Er saß neben dem Baron von Rosse auf
einer Bank im Dunkeln und blickte, Zorn im Herzen,
aus das glänzende Bild da drüben, lieber Tag war
er ganz lustig gewesen, vielleicht nur erkünstelt lustig,
jetzt packten ihn grenzenloser Aerger und Grimm. War
die Welt da, nach der er sich so gesehnt hatte, ihm nun
fortan wirklich verschlossen? Lächerlich! Weil er ein Duell
vernünftig beigelegt hatte?! Lächerlich! Er hatte sich
in zwanzig heillosen Jahren von Hankees und Hals-
abschneidern nicht unterkriegen lassen, so würde er
diese Gesellschaft in Glacaehandschuhen tausendmal
leichter niederzwingen. Ein Mann, der mit den
amerikanischen Spitzbuben Fangball gespielt hat, wird
 
Annotationen