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Der Friesenpastor.
Kriminalroman
von

Dietrich FHeden. 7

Neunzehntes Kapitel.
^>^^er nach einer Seite vom Gebäude des
Zellengefängnisses und nach den übrigen
von weit über mannshohen, roten Ziegel-
mauern umschlossene enge Gefängnishof,
in dem Niels Johannsen jeden Vormittag einen
halb- bis ganzstündigen Spaziergang machen durfte,
lag im Winterschmuck. Die asphaltierte Boden-
fläche, die Krönung der Mauern, die vorspringenden
Fenstersimse und die Querstangen der Eisengitter
an den Fenstern waren mit srischgesallenem Schnee
bedeckt, der in das tote Einerlei eine fesselnde Ab-
wechslung brachte. Johannsen blieb stehen, heftete
den erstaunten Blick aus das blendende, schimmernde
Weiß und schloß in pochender, betäubender Er-
regung die schmerzenden Augen, um vor seineni
Innern die weite, weiße Fläche des Friesenlandes,
das schneeige Vorland nach der See und das fern
wogende, tief dunkelblaue Meer wie ein feenhaftes
Traumgebilde erstehen zu lassen. Ein tiefes Stöhnen
entrang sich seiner Brust, als er wieder aussah und
wie erwachend den ihn umgebenden steinernen Käfig
neu erkannte. Er taumelte in eine Ecke und lehnte
das graue, schmerzende Haupt gegen die kalte Mauer,
während heiße Thränen ihm über die Wangen
tropften. Erst nach Minuten fühlte er die Kraft,
schwankend seinen Gang wieder auszunehmen. Ihn
fröstelte, er zog den Ueberzieher mechanisch fester
an, schlug den Kragen hoch und beschrieb den engen
Kreis mit so beschleunigtem Schritte, als seine
Kräfte es zuließen... Er sah und dachte nichts
mehr, er empfand nur die ihn körperlich belästigende
Kälte und den bannenden, brennenden, seelischen
Jammer über seine trostlose Lage. Er keuchte vom
raschen Gange und hörte wie aus dumpfem, fernem
Brausen seinen Namen rufen, ohne zu erfassen, daß
in der aus den Hof mündenden Flurthür des Zellen-
gebäudes ein Aufseher erschienen war, der rasch
hintereinander den Namen wirklich ausries. Erst
als der Beamte auf den Hof und vor Johannsen
hintrat, hielt dieser in seiner Wanderung inne und
stieß mit vor innerer Erschütterung vibrierender
Stimme leise ein fragendes: „Ist meine Zeit schon
um?" hervor.
„Nein, Sie sollen zum Herrn Staatsanwalt ge-
führt werden. Kommen Sie schnell. Ich habe schon
ein paarmal gerufen; Sie hörten mich nicht."
Johannsen schritt dem Aufseher voraus, wurde
von einem zweiten Beamten in Empfang genommen
und ohne Aufenthalt nach dem Zimmer des Staats-
anwalts geleitet.
Carlsen stand hinter seinem Schreibtisch. Er
hielt ein Schriftstück in der Hand, musterte den
Verurteilten flüchtig und nahm sogleich das Wort.
Seine Stimme klang fest und schneidend wie immer.
„Ich habe Ihnen eine Eröffnung zu machen. Nach
Jllustr. Welt. 1898. 17.



Der Kleine Doktor.

Nach dem Gemälde von L. van Gelder.

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