Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Der Kitt ums Glück.
Sportroman
von
Wilhelm Weyer-Jörster.
Erstes Kapitel.
Kugelwechsel, fünfzehn Schritt Bar-
riere. Ani 24. August morgens sechs Uhr am
Rheinufer zwischen Rastatt und Iffezheim.
Seine Durchlaucht der Prinz von Reichenberg
als Sekundant des Herrn Georg Brandes. Herr Baron
von Rosse als Sekundant des Herrn C. W. Kalm.
Herr Rittmeister von Carlotta als Unparteiischer.
So lautete das Protokoll, das C. W. Kalm seit
gestern nachmittag auswendig kannte.
Er hatte zu schlafen versucht, aber das Protokoll
ließ ihm keine Ruhe. Gegen Mitternacht
wurde es im Hotel Fran^ais still, und
über das Thal von Baden-Baden breitete
sich solches Schweigen, daß C. W., aus
dem Fenster lehnend, das Plätschern des
Baches vernahm.
Ich habe es selbst so gewollt, dachte
er trostlos, es ist durchaus meine eigne
Schuld.
Dunkle Wolken lagen über den Bergen
des Schwarzwaldes, die Nacht war som-
merlich warm.
Er versuchte zu rauchen, aber die Zi-
garre schmeckte abscheulich bitter.
„Ich hätte in Chicago bleiben sollen,
oder nach Paris gehen, wo man sich,
amüsiert! O ich Narr!"
Er hätte am liebsten vor Aerger und
Aufregung geweint, dann überlegte er
sich, daß Ruhe für ihn dringend notwen-
dig sei, und begab sich wieder zu Bett.
Aber der Schlaf kam nicht.
Ein Mann, der dreizehn Millionen
in der Bank von England hat und sich
totschießen lassen will -- ein Wahnsinn!
„Ich bin verrückt," sagte er und stand
wieder aus, „total verrückt! Dieser Bran-
des knallt mich zusammen wie eine Fliege
Morgen abend liege ich hier tot, und am
Freitag werde ich beerdigt."
Vor Aerger und Angst weinte er jetzt
wirklich, die ersten Thränen, die Herr
Kalm seit undenklichen Zeiten vergoß!
Chicago! Wie war er da so glücklich
gewesen! Das Geld wurde scheffelweise
verdient, und abends hatte man die reizend-
sten Amüsements.
Eines Tages aber hatte C. W. Heim-
weh bekommen. Im Michigangarten spielte
eine Wiener Damenkapelle die „Lorelei",
und C. W. faßte an jenem Abend einen
großen Plan. Männer wie er mußten im
alten Lande kolossale Erfolge erzielen
können.
Wie? das war eine nur nebensäch-
liche Frage.

Während der Ozeanfahrt erwog er alles, und vier-
zehn Tage später wohnte er in Berlin, hatte zwölf
Rennpferde gekauft und als Leiter den Baron von
Rosse engagiert.
„Was ich unternehme," sagte er zu diesem, „wird
im großen Stil ausgeführt. Amerika habe ich satt,
denn es ist im Grunde genommen ein gemeines Land.
Ich bin dreiundvierzig Jahre alt und will jetzt gesell-
schaftlich emporsteigen."
Und der alte Baron, ruiniert, hoffnungslos, sah
zu ihm auf wie zu einem Wunderthüter. Dreißig
Jahre hatte er in dem vornehmen Leben Berlins ge-
standen, erst als junger, glänzender Offizier, dann als
berühmter Rennreiter, wieder später als Sportsman
großen Namens. Langsam war die Jugend gegangen,
mit der Jugend die Spannkraft und mit der Spann-
kraft das Glück. Und jetzt, da er vor der Verzweif-
lung stand, trat dieser Deutschamerikaner in sein Leben
als Retter!

„Ich bin kein Knauser," sagte C. W., „ich zahle
Ihnen tausend Mark Monatshonorar, oder meinet-
wegen auch mehr. Sagen wir zwölfhundertundfünfzig
Mark. Dafür stoßen Sie mir die Thüren aus. Sie
wissen, was ich meine?"
„Ja."
„Ich bin wie ein Kind, alles Glänzende macht mir
Spaß. Ich will mit Leuten verkehren, die etwas be-
deuten, und Sie werden mich einführen. In den Klub,
später vielleicht sogar bei Hose. Das wäre ausgezeichnet!
Menschen, die nichts davon verstehen, sagen: ,Das kostet
immenses Geld', aber das ist Unsinn. Das, was das
kostet, holt man zehnmal heraus. In Kreisen, wo die
Banknoten knüppeldick sitzen, kann man auch Geschäfte
machen. Man macht ein Spielchen mit diesen Leuten
oder leiht ihnen gelegentlich Geld, Sie verstehen mich."
Ja, der Baron verstand ihn. In dem merk-
würdigen Vertrag, den Herr Kalm ihm anbot, lag
nichts Unehrenhaftes, aber als sie zum ersten Male
Arm in Arm Unter den Linden prome-
nierten, war der alte Baron aschgrau. Er
hatte das Gefühl, daß seine Bekannten
ihn erstaunt musterten, und daß sie sich
leise znraunten, der alte Baron von Rosse
sei nicht länger ein Ehrenmann.
Drei Uhr morgens. C. W. begann sich
anzukleiden. Noch drei Stunden, oder drei
und eine halbe Stunde, dann würde er
bleich und still auf dem Rasen liegen, das
Opfer dieser wahnsinnigen Europareise.
Und wenn er es sich recht überlegte, so
hatte er in den sechs deutschen Monaten
nichts erreicht, absolut gar nichts! Seine
Rennpferde liefen zu langsam, das Geld
ging faßweise durch den Schornstein, und
von den vornehmen Bekanntschaften, die
Herr von Rosse hatte vermitteln sollen,
war sehr wenig zu merken gewesen. Er
hatte das Gefühl, mit dieser Expedition
schmählich Fiasko gemacht zu haben, und
nun folgte zur Krönung des Ganzen ein
toddrohendes Duell.
Allerdings mischte sich in diese trüb-
seligen Meditationen ein andrer Gedanke:
Vielleicht habe ich Glück und treffe
zuerst!
Und diese Hoffnung hatte für ihn
etwas außerordentlich Angenehmes.
Der Mensch, der den Vorzug gehabt
hätte, von Herrn Kalm geliebt zu werden,
existierte nicht, aber ebensowenig gab es
ein menschliches Wesen, das C. W. mit so
giftigem, ohnmächtigem, galligem, grim-
migem Haß beehrte als Herrn Georg
Brandes.
In der ersten Zeit seines deutschen
Aufenthalts hatte C. W. diesen Herrn
förmlich verehrt.
„Das ist mein Mann," sagte er da-
mals zu dem alten Baron, „Leute wie
Brandes staune ich an, die bewundere ich.
Ein früherer Bankcommis, der den größ-
ten Rennstall der Welt besitzt und in



„HefalTe ich dir?"

Jllustr. Welt. I8SS. 1.
 
Annotationen