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4

Thäter

i ich schließe aus ihr auf einen tüchtigen Kanzelredner.
! Aber der Appell an die Herzen hat mir nicht imponiert,
und ich muß mir die Freiheit wahren, die Ergießung
als das zu bezeichnen, was sie ihrem oratorisch um-
hüllten Kerne und dem offenkundigen Zwecke nach war:
ein Theatereffekt! Für solche ist aber die Gerichts-
stelle nicht der Ort, und ich konstatiere, daß der
Eindruck auf die Staatsanwaltschaft der gegenteilige
von dem war, ans dessen Erzielung es abgesehen sein
mochte.
„Es will mich bedünken, als hätte der Angeklagte
mit einem schlichten Bekenntnis seiner Schuld sich

besser gedient, als mit dem pathetischen Hinweise auf
eine Lücke in seinem Gedächtnis oder aus die Mög-
lichkeit, die That in Geistesabwesenheit begangen zu
haben Die Berufung aus einen Geistesdesekt ist ja
ein beliebtes Auskunstsmittel in unsrer Zeit, um
die Verantwortung für eine Handlung, wenn sie un-
bequem zu werden droht, kurzerhand abzulehnen. Aber
gleichviel: das Geständnis des Angeklagten war nicht
durchaus erforderlich, weder das ganze noch das halbe;
ich begrüße es lediglich als den Schlußstein des Be-
weisbaues, den die Untersuchung auf unumstößlich

sicheren Fundamenten aufgerichtet hat. Ich beschränke
mich auf die kurze Zusammenfassung dessen, was das
Verfahren gegen den Angeklagten ergeben hat."
Der Staatsanwalt nahm ein Blatt mit Aufzeich-
nungen zur Hand und fuhr forl:
„Als von dem der Beleidigung bezichtigten Bauern
Dierk Skagen in bestimmtester Form die Gegen-
beschuldigung gegen den Pastor Niels Johannsen er-
hoben und nach allen Richtungen hin durch Zeugen
belegt wurde, war ich mir darüber im klaren, daß
der Bauer unmöglich den Wahnsinn begangen haben
könne, blindlings Behauptungen aufzustellen und Namen
anzuführen, daß vielmehr seinen Angaben
ein gewisser Thatbestand unbedingt zu
Grunde liegen müsse. Die Untersuchung
gab mir über alles Erwarten recht und
gestaltete sich derart lückenlos, daß die
Verurteilung des Angeklagten hätte erfolgen
müssen, auch wenn er sich nicht zu einem
Geständnis herbeigelassen hätte. Niemand,
auch der Herr Verteidiger nicht, wird die
Beweise aus der Welt schaffen können,
welche die Exhumation erbracht hat. Der
Tote ist da und mit keiner Leistung der
Beredsamkeit wegzuleugnen! Und keine De-
duktion wird den Nachweis erschüttern, daß
der Tote ein Ermordeter, und daß der Er-
mordete niemand anders war als der ver-
schollene Peter Skagen! Für den Mord
spricht die Feststellung der Aerzte, die
Identität des Toten bezeugen unwiderleglich
die Merkmale, die der Vernichtung wider-
standen haben. Ist aber die Rekognition
des Toten nicht umzustoßen, so ergiebt sich,
wie vom Herrn Vorsitzenden schon betont
wurde, in unbarmherziger Logik, daß der,
der den Toten in der ungeweihten Erde
heimlich und nächtlich bestattet hat, der An-
geklagte, Pastor Niels Johannsen, war,
denn drei vollwertige Zeugen haben ihn bei
seiner Arbeit gesehen. Hat aber der An-
geklagte Niels Johannsen die Bestattung
vorgenommen, so war er auch der Mörder,
denn er hätte nicht, wie ebenfalls schon
hervorgehoben wurde, die Totengräberarbeit
für einen andern besorgt und ebensowenig
Veranlassung zu heimlicher Bergung ge-
habt, wenn der Peter Skagen etwa ohne
fremdes Zuthun plötzlich und zufällig aus
dem Leben geschieden wäre. Um ein Werk
von fremder Hand konnte es sich auch darum
nicht handeln, weil niemand außer, dem
Pastor im Hause zugegen war. War er
aber allein dort, so war er allein der
— und da das erstere seststeht, ist zugleich
der Beweis für das zweite erbracht.
„Ich habe selten einen Kriminalfall erlebt, der so
klar gelegen hätte wie dieser, und ich gebe meiner
innersten Ueberzeugung Ausdruck, wenn ich ausspreche,
daß der Angeklagte nicht bloß der That an sich,
sondern auch des vorsätzlichen Mordes überführt ist.
Er allein hatte, trotz seines spruchweislich umschreiben-
den Leugnens, ein Interesse an der Beseitigung des
ihm lästigen Menschen, er hatte seiner ungeistlichen
Wut gegen den unnützen Gast in wiederholten.
42

Der Friesenpastor
Kriminalroman
von
Dietrich Weden.
Elftes Kapitel.
ach Wiederaufnahme der Verhandlung er-
folgte die Vernehmung der Entlastungs-
zeugen. — Niels Johannsen hatte seinen
Platz auf der Anklagebank wie-
der eingenommen. Er war leichenblaß,
starrte regungslos vor sich nieder und schien
weder zu sehen noch zu hören, was um
ihn vorging.
Als der letzte Zeuge abgetreten war,
erhob sich der Staatsanwalt, um in kurzer,
schonungsloser Rede zusammenzufassen, was
zu Ungunsten des Angeklagten zu deuten
war. Aus Haltung und Gebärden des hohen,
hageren Mannes war nicht zu erkennen, ob
irgend ein Moment während der Verhand-
lung seine persönliche Teilnahme hatte rege
werden lassen; er stand hochaufgerichtet,
seine Züge waren verschlossen, seine Stimme
klang metallisch fest.
„Wir erleben," begann er, „das zum
Glück in deutschen Landen seltene Schau-
spiel, daß vor die Schranken des Straf-
gerichts ein Mann gerufen wird, der mehr
als ein andrer vor dieser Stelle geschützt
sein sollte. Ich erblicke weder in einem
Berufe noch im Grade der Bildung ein vor-
beugendes Mittel gegen menschliches Irren
und Fallen; wenn aber ein Mann, der
durch ein Vertrauensamt ausgezeichnet und
durch hohe Bildung fähig war, die Trag-
weite seiner Handlungen zu ermessen, doch
jählings zu Fall kommt, so hat er damit
die Achtung vor seinem Stande und den
daraus entspringenden Pflichten um so
schärfer verletzt und darf nicht den An-
spruch erheben auf Rücksichten, die er selbst
verwirkt hat. Ich lasse dahingestellt, was
dem heutigen Angeklagten aus seiner Ver-
gangenheit nachzurühmen ist; ich will nicht
untersuchen, ob das von den geehrten Herren
Entlastungszeugen aufgerollte Bild dieser
Vergangenheit so fleckenlos war, daß die
That, die den Gegenstand der Anklage
bildet, davon um so greller und zu um so
schärferer Ahndung herausfordernd ab-
stechen würde. Aber es ist meines Amtes, das zweifel-
los vorliegende Verbrechen zur Aufklärung und Sühne
zu bringen, und in dieser Aufgabe kann mich keine
Sentimentalität, keine Rücksicht auf Alter und Würde
beirren, die ich überall anders lebhaft anerkenne, nur
nicht hier.
„Ich hätte aus dem Geständnis des Angeklagten
gern ein zu seinen Gunsten sprechendes Moment her-
geleitet, wenn der Angeklagte mir dies nicht durch die
Verklausulierung seiner Aussage abgeschnitten hätte.
Die Rede des Angeklagten war mir interessant, und
Jllustr. Welt. I8S8. 14.
 
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