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Der Mt ums Glück.
Kportroman von Wilhelm Weyer-Körster.
Dreiundzwanzigstes Kapitel. 10
«-^Aonrad hatte die wenigen Wochen, die ihm bis
zum Antritt seiner neuen Stellung blieben, zu
einer Fahrt nach Insterburg verwenden wollen.
Es schien ihm ein schöner Gedanke, die Stätten,
wo sein Vater gewandelt, wieder zu sehen, den Jugend-
bekannten die Hand zu drücken und noch einmal die
Wälder und Wiesen und Seen seiner ostpreußischen
Heimat zu durchstreifen.
Er mußte lächeln, wenn er sich vorstellte, mit welchen
erstaunten Augen die Jnsterburger ihn begrüßen würden.
Als ärmlicher Bursche war er vor wenigen Jahren
fortgezogen, und als großer Herr käme er wieder.
Aber aus der Reise wurde nichts. Ein andres
Ereignis trat in sein Leben, das alle Pläne und Ab-
sichten weit in den Hintergrund drängte.
An einem Nachmittage ging er zu den Griottes,
um sie von seiner Jnsterburger Reise zu verständigen;
sie wohnten jetzt in Schöneberg, das damals mächtig
auszublühen begann und aus einem schmutzigen Dorfe
zum bürgerlich anständigen Vororte sich entwickelte.
Die Wohnung war sehr klein, zwei Zimmerchen und
eine Küche, aber sie hatte einen behaglichen Zug, war
hübsch tapeziert und von den Frauen mit allerhand
kleinem Zierrat nett herausgeputzt.
Griotte war kein Komödiant mehr, sondern königlich
preußischer Hoftheater-Souffleur, er war nicht mehr
Bohemien, sondern Bürger, er brauchte kein großes
Berliner Zimmer, in dem seine Stimme donnern und
brausen konnte, sondern der kleinste Wohnraum war
ihm genügend. Sechs oder sieben Stunden des Tages
saß er in dem kleinen schwarzen Kasten, der im Schau-
spielhaus des Königs nicht größer ist als im Volks-
theater des Ostens, und seine Freizeit wurde mit
allerhand Schreibarbeiten ausgefüllt. Die Rollen
unterstanden seiner Obhut; er schrieb und korrigierte
sie, verfertigte die Soufflier- und Regiebücher, kopierte,
unterstrich mit roter Tinte und nahm auf feine alten
Tage noch Schreibstunden, in denen feine vorher
krackelfüßige Schrift steif und elegant wurde.
Wie aller Dinge, so nahm er sich auch feines neuen
Berufs mit großem Eifer an.
„Jede Thätigkeit hat," so sagte er häufig, „eine
leise Verwandtschaft mit ernster Kunst. So auch die
meinige. Gute Souffleure sind ungeheuer selten, weil
die meisten nicht im stände sind, ihrer Stimme die
feine Modulation zu verleihen. Oder auch einfach des-
halb, weil sie sich nicht die Mühe geben. Gebt, bitte,
acht, wie ich die Vokale zum Ausdruck bringe. Und
achtet auf mein ,w."
Und während Frau Griotte und Annie in dem
zweiten Zimmer im letzten Winkel saßen, hockte Griotte
vorn an der Entreethür und las flüsternd den Monolog
Wallensteins. Als er fertig war, mußten sie ihr Ur-
teil abgeben.
„War jedes Wort verständlich? Gut accentuiert?"
Natürlich lobten sie ihn, und das machte ihn
glücklich.
„Auch der Souffleur", sagte er dann, „ist ein Glied
in jener langen Reihe von Künstlern, die dem Dichter-
Jllustr. Welt. IMS. IO.

werke Bühnenleben verleihen. Und so fein muß sein
Verständnis für die Dichtung sein, so scharf muß er
seine Kollegen auf der Bühne zu individualisieren
wissen, daß man gut thäte, nur wirkliche Künstler,
also zum Beispiel ältere Schauspieler wie mich, in
diesem Berufe zu verwenden. Eine umsichtige und

feinfühlende Leitung des königlichen Schauspielhauses
hat das erkannt und hat nach diesem Prinzipe gehandelt."
Sein Debüt als Souffleur, sein erstes öffentliches
Auftreten (mit der rechten Öffentlichkeit hat dieser
Beruf allerdings wenig zu thun) fand am siebenten
Dezember statt, in der Neueinstudierung des Hamlet.

Photographie-Verlag von Franz Hanfstaengl in München.


Vor dem Weihnachtsfest. Nach dem Gemälde von Karl Voß.

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