Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Der Lriesenpastor.
Kriminalroman
von
Dietrich Weden. s

Sechzehntes Kapitel.
neue Dienstknecht machte es sich in seiner
Kammer behaglich. Da an Stelle einer Lampe
nur ein Talgstummel vorhanden war. dessen
trüber Schein kaum ausreichte, die Umgebung
notdürftig erkennen zu lassen, legte Schmidt alsbald
die Kleider ab und begab sich zur Ruhe. Die lange
Eisenbahnfahrt und der mehrstündige Fußweg hatten
ihn ermüdet; das grobe, schwere Bettzeug berührte ihn
lästig, verbreitete aber bald eine wohlige Wärme und
ließ ihn sich behaglich dehnen. Er träumte eine Weile
mit offenen Augen und sank dann in tiefen Schlaf.
Früh ließ ihn ein starkes Pochen an die Kammer-
thür und der Ruf „aufstehen!" auffahren. Es war
noch stockdunkel; er tastete nach der auf dem Stuhl
bereitgelegten Schachtel mit Streichhölzern, machte
Licht und sah nach der Uhr. „Teufel noch mal,"
brummte er, „erst dreiviertel sechs." Das Frühauf-
stehen wurde ihm schwer, doch schüttelte er Müdigkeit
und Widerstreben rasch ab und kleidete sich an.
Auf der großen Diele wurde es lebendig. Die
Knechte und Mägde fanden sich zusammen, um den
Morgenkaffee einzunehmen. Der „Neue" wurde an-
gestaunt. Die Großmagd schob ihm Brot und Kaffee
hin und fragte:
„Wie heißt du?"
Schmidt hatte vor seiner Soldatenzeit im Hause
eines Bruders alle landwirtschaftlichen Arbeiten und
die ländlichen Gepflogenheiten kennen gelernt, und die
gerade Frage und das „Du" befremdeten ihn nicht.
„Heinrich," antwortete er ohne Verlegenheit.
„Und du?"
„Stine." Der Blick der robusten Magd glitt
forschend und, wie es schien, nicht ohne Wohlgefallen
über ihn hin.
Die Mahlzeit verlief schweigend.
„Still, Vadder will Müsi fangen!" scherzte Schmidt.
Die Großmagd stieß ein „Pst!" aus und wies mit
dem Daumen über die Schulter nach des Bauern
Schlafzimmer.
„Ach so," brummte Heinrich.
Die etwa zehnköpfige Gesellschaft trennte sich; jeder
ging an seine Arbeit. Schmidt folgte einem Knechte
in den Pferdestall und half. Bei dem Bruder und
in seiner Dienstzeit bei den Dragonern hatte er im
Umgang mit Pferden Uebung und selbst ein gewisses
Verständnis für ihren Wert gewonnen. Im Stall
des Großbauern standen ausgesucht gute Exemplare,
und Schmidt gab seiner Bewunderung offen Ausdruck.
Sein Genosse verhielt sich schweigend; was die Tiere
wert waren, wußte er allein.
Den Tag über wurde gedroschen. Schmidt führte
den Dreschflegel wie die andern. Aber die Arbeit
war ihm doch ungewohnt. Er mußte von Zeit zu
Zeit ermüdet ausruhen. „Das kommt noch von der
Krankheit," erklärte er. „Ein Rest steckt noch in den
Jllustr. Welt. IMS. 16.


Im Wer»ier.
Nach dem Gemälde von H. Moderfohn.

48
 
Annotationen