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erst von Berlin gekommen war, schien so ruhig und
heiter wie in seinen besten Tagen.
Ein Buchmacher verneigte sich und trat ihnen halb
in den Weg:
„Wünschen Sie noch Wetten, Herr Brandes? Aus
,Coriolan'? 5:1?"
„Wieviel? 5:1?"
Konrad suhlte, wie Brandes' Arm, der eben noch
so ruhig in dem seinigen gelegen hatte, zu zittern
begann.
„Ja, 5:1. Ein schöner Kurs."
Brandes verneinte kurz, und sie gingen weiter. Noch
einige Male blieb Brandes bei den bekanntesten Buch-
machern stehen und fragte scheinbar gleichgültig:
„Wie lang ,Coriolan'?"
„5:1, Herr Brandes."
„Aber wie ist das möglich? Gestern abend wurde
in Berlin 2:1 geboten."
Die Buchmacher zuckten devot die Achseln:
„Es ist hier in Hamburg für .Coriolan' keine Stim-
mung. Die Leute wetten nur noch .Lucifer'."
„Schön, danke!"
In Streits Hotel hat man das schöne Alsterbecken
vor Augen, dort stand Brandes lange am Fenster und
schaute hinaus.
„Die Ratten verlassen das Schiff, die Buchmacher
haben das Zutrauen verloren, und sie werden recht
behalten."
Konrad suchte ihn zu trösten:
„Was wissen diese Leute von.Coriolan'? Gar nichts.
Das Ganze ist ein Manöver der Wettbörse."
Eine Stunde später kam der Trainer, den Brandes
hatte holen lassen, von Horn herein und zuckte gleich-
mütig die Achseln:
„Das sind Redereien. .Coriolan' ist so gut, wie er
nur sein kann. Er frißt gut und geht so ausgezeichnet
wie immer. Wenn ein Pferd .Coriolan' schlägt, so ist
das .Lucifer', alle andern spielen im Rennen die Rollen
von Statisten. Und wenn man 5:1 gegen.Coriolan'
wettet, so müssen Sie, Herr Brandes, die Wette nehmen.
Wenn ich ein reicher Mann wäre, würde ich ein Ver-
mögen auf .Coriolaw riskieren."
Er ging, und Brandes war ruhiger geworden. In
den Kirchen läutete es, die geputzten Leute gingen in
der Sonne spazieren, Kirchgänger mit dein Gesangbuch
unterm Arm kehrten heim, und als nach Schluß des
Gottesdienstes die Geschäfte geöffnet wurden, kamen die
Hamburger Dienstmädchen mit Körben aus allen
Häusern, hübsche, dralle Dinger mit nackten Armen in
Hellen Kattunkleidern, Weißen Schürzen und niedlichen
Häubchen.
Dann folgte noch die Mittagsstunde zwischen zwölf
und eins, in der das Frühstück eingenommen wurde
und in der alle Hotels und Restaurants überfüllt
waren. Um ein Uhr kam am Klosterthor der letzte
Berliner Extrazug au, der noch weitere tausend Derby-
Besucher brachte, und dann endlich begann die große
Ausfahrt. Immer dichter stauten sich aus den beiden
Straßen, die von Hamburg nach Horn führen, die
Equipagen und Droschken, während rechts und links
an der stundenlangen Fahrstraße viele Tausende Neu-
gieriger Posto faßten, welche den Derby-Korso kritisch
musterten.
Wenn die großen Hamburger Millionäre in ihren
kostbaren Wagen vorbeikamen stießen sich die Leute
ehrfürchtig an und nannten einander die Namen der
Senatoren und Größen.
Und dann plötzlich ging eine lebhaftere Bewegung
durch die endlose Reihe:
„Da kommt Brandes!"
Jeder Hamburger kannte ihn, denn seit zwanzig
Jähren waren die Farben seines großen Rennstalls
in der alten Sport- und Hansastadt, die seine Vater-
stadt war, die populärsten.
Brandes saß in einem einfachen Hotelwagen neben
Konrad. Er sah blaß aus und ließ seine Augen
unruhig und nervös über die Reihen der Menschen
gehen. Er rechnete. Seit Tagen that er nichts mehr
als rechnen. Immer dieselben eintönigen Zahlen. Ja,
wenn „Coriolan" gewann, war alles gut! Der Derby-
Preis mit seinen fünfzig- oder sechzigtausend Mark
war dabei ganz gleichgültig, der große, enorme Gewinn
lag in den Wetten. Nicht in den lumpigen Buch-
macherwetten, sondern in den riesigen Beträgen, die
er in den Klubs zu Berlin und Budapest aus „Coriolan"
seit zwei Jahren sestgelegt hatte.
„Wie er elend aussieht!" sagten die Leute, und sie
fühlten beinahe Mitleid mit ihm. Sie hatten in den
Sportzeitungen gelesen, daß alle Sachverständigen
an den Sieg „Lucisers" glaubten, und der arme Brandes,
den man in Hamburg so gern hatte, fuhr einem trüben
Tage entgegen. Aber schließlich war die Sache ja
nicht weiter schlimm:
„Was liegt dem Brandes an den paar Millionen!
Der weiß ohnehin nicht, wohin mit dem Gelde. Und
seine Tochter hat vor vier Wochen den Prinzen von
Reichenberg geheiratet, den reichsten Mann in Ruß-
land!"

Zllustrirte Welt.

In einer Droschke ziemlich schäbigen Kalibers saß
C. W. neben dem Baron und rauchte, was er sich
neuerdings an Stelle des in Berlin unhaltbaren Tabak-
kauens angewöhnt hatte, Zigaretten.
Auch er rechnete. Aber er war weder blaß noch
niedergedrückt, sondern schob die Zahlen seiner wahr-
scheinlichen Gewinne mit Fröhlichkeit im Kopse hin
und her.
„Wenn .Lucifer' dieses Vieh von ,Coriolan' schlägt,"
sagte er behaglich, „so gebe ich fünftausend Mark für
die Armen. Oder sechstausend. Und das ist keine leere
Rederei, sondern mein fester Vorsatz. Das schwör' ich."
Der alte Baron lächelte und lobte diese Absicht,
denn auch er war in der behaglichsten Laune.
Wie würde sich mit diesem Erfolge „Lucisers" sein
Leben wandeln! Alle seine kleinen Ersparnisse und
beträchtliche Summen darüber hinaus — mühsam
von C. W. und andern entliehen — waren auf
„Lucifer" angelegt, und wenn der Schwarze gewann,
woran kaum noch jemand zweifelte, so war Herr von
Rosse wohlhabend und konnte dem Alter leidlich sorgen-
frei entgegensetzen. Und wie würde man von allen
Seiten ihn rühmen! Er hatte „Lucifer" gekauft, er
hatte das Pferd gemanaget, der größte Teil des wunder-
baren Erfolgs kam auf sein Conto!
Immer dichter schob sich die unendliche Wagenreihe
zusammen, und der ganze lange Weg durch Wands-
beck und Horn wurde im Schritt gefahren. Man war
zufrieden, als man endlich die buntbeflaggten Tribünen
der Derby-Bahn aus den Bäumen auftauchen sah.
Und dann dieses Gedränge auf dem Sattelplatze!
Man wurde gestoßen von allen Seiten, und wer seinen
Platz aus der Tribüne glücklich erkämpft hatte, fand
kaum den Mut, noch einmal hinab zu gehen.
In der Ferne, jenseits der Sattelplatzbauten, sah
man in großen und kleinen Trupps die Rennpferde
promenieren, und nun endlich ertönte das Glockensignal,
und der erste Akt des Derby-Dramas nahm seinen
Anfang.
Langsam wurden die Nummern der Pferde auf-
gezogen, dann, unmittelbar daneben, die Namen der
Jockeys.
Derjenigen Zuschauer, die von dem Wesen der Wett-
rennen nicht viel verstanden, bemächtigte sich eine
erregte Enttäuschung, denn von den zweiundvierzig en-
gagierten Pferden sollten nur acht an dem Rennen
teilnehmen. Aber die Sportverständigen belehrten sie
eines Bessern:
„Von den acht könnten sechs auch ruhig zu Hause
bleiben, denn wirklich in Betracht kommen nur ,Coriolan'
und .Lucifer'."
Und da —!
Allenthalben reckte man die Hälse, stand aus und
schaute auf die breite grüne Rennbahn, wo eben ein
großer Rappe langsam den Rasen betrat. Sein Reiter
trug eine grcllrvte Seidenjacke, „Lucifer".
„Lucifer!"
„Der Favorit!"
„Der das Rennen gewinnen wird."
„Lucifer!" Zehntausend sprachen den Namen, und
in der Loge III nahe der Mitte saß C. W. und hörte
das Namengeschwirr: „Lucifer".
Die Musik spielte, der Rappe ging langsam mit
weit ausgreifendem Schritt, dann plötzlich nahm sein
Reiter die Zügel zusammen, und in langem prachtvollem
Galopp zog der Hengst an den Tribünen vorbei.
„Lucifer!" C. W. dachte an Chicago und seine
amerikanischen Freunde, lauter Plebejer, Schweinehändler
und Getreidejobber. Die hockten nun immer noch drüben,
betrogen und wurden betrogen, während er, C. W„
auf der Hamburger Derby-Tribüne saß und binnen jetzt
und einer Viertelstunde der meist beneidete Mann
an der Elbe sein würde. Fürsten und Magnaten waren
sein Umgang geworden, und selbst die sahen mit
Neid aus Loge ill, wo der geniale Besitzer des besten
Rennpferdes still und anspruchslos sein Pferd be-
obachtete.
„Ja," sagte er vor sich hin, „man hat es zu etwas
gebracht."
Sechs andre Pferde kamen auf die Bahn, neu-
gierig gemustert aber wenig geschätzt, und dann gab
es noch einmal ein:
„Ah!"
„Coriolan."
Wie Gold glänzten die Haare des Fuchses, den
Frauen gefiel er ungleich besser als sein gefürchteter
Gegner.
Aber die Männer, durch die Lektüre der Sport-
zeitungen erzogen und geklärt, fanden den Fuchs „zu
leicht" und gaben ihm wenig Chance.
Mr. Graham, der berühmteste aller Jockeys, saß
aus dem Hengst im Sattel, Mr. White, der Trainer,
führte das Tier am Zügel. Neben ihm ging Brandes.
„Das ist Brandes! Der da!"
Noch einmal richteten sich alle Augen auf den
großen Sportsman, dann bekam „Coriolan" den Kopf
frei und zog in ruhigem Kanter hinter den sieben
andern Pferden zum Start.

179

Niemand sah mehr auf Brandes, der langsam die
Tribünen hinaufschritt und in der Mittelloge Platz
nahm.
„Na? Aufgeregt?" fragte lachend Carlotta, und
Brandes entgegnete ruhig:
„Nicht, daß ich wüßte."
Er war in der That nicht aufgeregt. Er hatte
sein Exempel abgeschlossen und blickte kalt in das nahe
Ende. In zehn Minuten würde er ein ruinierter
Mann sein, nach Hause fahren und nach Rußland den
Abschiedsbrief senden.
Abschied von Käthchen!
Wie ein Meer wogte die Menschenmasse auf dem
Sattelplatze, die Aufregung hatte ihren Höhepunkt
erreicht. Von den Zehntausenden, die hier draußen
auf den Horner Wiesen waren, den Fürsten und Prinzen,
Offizieren und Sportsmen, Senatoren und Kaufherren,
Handwerksleuten und Bankcommis, Kellnern und Schif-
fern war fast jeder einzelne an dem großen Rennen
beteiligt. Irgend einen Geldbetrag hatte wohl jeder
gewettet, und die Frage, wer der Sieger sein würde,
war sür viele dieser aufgeregten Menschen beinahe eine
Existenzfrage.
Ein schriller Glockenton wirkte in der kolossalen
Spannung der Massen wie eine elektrische Entladung,
alles stürzte vorwärts an die Barrieren, um besser sehen
zu können, die Glocke hatte den Beginn des Rennens
verkündet.
Einen Moment noch, dann wurde es auf dem weiten
Platze fast still, man redete nicht mehr, man beobachtete.
Dumpf trommelten die zweiunddreißig Hufe der
Pferde auf dem elastischen Rasen, und nun kamen die
Tiere zum ersten Male an den Tribünen vorbei.
„Lucifer" galoppierte als Fünfter in dem kleinen Rudel,
während Graham auf „Coriolan" vier Längen zurück
als Letzter ritt. Der Jockey saß so ruhig und gelassen,
als ob'er einen Spazierritt nach Blankenese aussühren
wolle. Jones, der in der roten Seidenjacke auf „Lucifer"
im Sattel war — gleichfalls ein Jockey ersten Ranges
— saß vornüber geneigt, scharf beobachtend, rechts und»
links spähend.
Da plötzlich ein Lärm auf den Tribünen! Rück-
sichtslose Leute sprangen auf die Bänke, um besser sehen
zu können, und selbst die, welche von dem Rennen nichts
verstanden, kamen in Aufregung.
Jones hatte ganz unerwartet den Favorit in
Schwung gebracht, war in fünf Sätzen seines Pferdes
an den andern vorbei an die Spitze gekommen und
zog jetzt immer weiter und immer weiter von seinen
Gegnern davon.
Und wo blieb „Coriolan"?!!
Die sechs andern Pferde waren schon jetzt, das
sah man, glatt geschlagen, aber wo blieb „Coriolan"?!
Er blieb m dem Rudel der sechs andern, und weiter
immer weiter flog der Rappe voraus. Es sah aus,
als ob er, wenn das so fort gehen würde, hundert
Meter vor den andern ans Ziel kommen müßte.
Man sah einen Mann aus den Tribünen in
Loge III, der auf einem Stuhle stand, wie toll gestiku-
lierte und in den Lärm hinein immerfort: „Bravo!"
schrie.
Alle Welt glaubte, der Mensch sei verrückt, als
aber wie ein Lauffeuer die Mitteilung über die Tribünen
ging: „Das ist Mr. Kalm, der Besitzer des Pferdes,"
— sand man sein Benehmen leicht erklärlich.
Und Brandes?
Er saß blaß auf seinem Stuhl, den Mund leicht
geöffnet. Der Krimstecher war ihm aus der Hand
geglitten und polternd zu Boden gefallen.
Leise sagte er vor sich hin: ,„Corry', Käthchen.
.Corry'. Sie hat immer so viel von dem Pferde
gehalten."
Zwanzig Längen vor den andern galoppierte
„Lucifer" die letzte Breitseite entlang, die rote Seide
leuchtete prächtig auf dem schwarzen Hengste, und die
Damen sagten — nein, sie kamen nicht dazu, ihrer
Bewunderung Ausdruck zu geben.
Denn wie ein Schreckensschrei ging es über den
weiten Platz:
„Jones! Die Peitsche!"
Man denke: Jones hatte zur Peitsche gegriffen!
„Lucifer" bekam die Peitsche! „Lucifer", der zwanzig
Längen voraus als der sichere Sieger galoppierte!
Aber es waren ja nicht mehr zwanzig Längen!
Es waren nicht mehr fünfzehn! Nicht mehr zehn!
Nicht mehr fünf!
„Coriolan!!"
Ein Brausen von Stimmen und Rufen:
„Coriolan!!"
Weit, weit zurück waren die übrigen sechs geblieben,
der Goldfuchs aber hatte mühelos Grahams leichter
Aufforderung gehorcht und lag jetzt keine zwei Längen
mehr hinter dem Favorit.
So kamen die beiden Pferde die Bahn heraus den
Tribünen entgegen.
Alle die zehntausend Blicke waren auf die kämpfenden
Tiere gerichtet, niemand schaute auf die Jockeys. Sonst
würde man gesehen haben, wie ein Lächeln über Mr.
 
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