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Zllustrirte Welt.
nachdenkt, so ist es gar nicht so auffallend: die
Leute reisen bis nach Kuba und Mexiko und sogar
bis nach Indien wegen der Orchideen, wegen einer
jämmerlichen Blume, die abgeschmackterweise "oben auf
einem Baume wächst. Warum sollte dann nicht ein
junger Mann nach Deutschland gehen wegen einer
schönen Prinzessin, die auf ebener Erde spaziert und
sprechen und denken und fühlen kann. Sie ist doch
wohl mehr wert als eine Orchidee!"
Fräulein Morris lachte nachsichtig. „Ich wußte
wirklich nicht, daß solche Ritterlichkeit am Ende des
neunzehnten Jahrhunderts existierte," sagte sie; „aber
das ist schön und ermutigend. Ich hoffe sicher, daß
Sie Erfolg haben werden, und ich wünschte, wir wären
nahe genug, um Ihre Fortschritte verfolgen zu können.
Ich bin noch niemals die Vertraute gewesen, wenn es
sich um eine wirkliche Prinzessin handelte; das macht
es noch interessanter. Darf man fragen, welchen Plan
Sie entworfen haben?"
Carlton bezweifelte, daß er überhaupt schon Pläne
gemacht habe. „Ich muß erst an Ort und Stelle sein,"
sagte er, „und dann Erkundigungen einziehen. Mög-
licherweise verfolge ich Ihre Idee und suche um die
Erlaubnis nach, ihr Bild malen zu dürfen; nur ist es
mir unangenehm, meine gesellschaftliche und geschäft-
liche Seite zu vermengen. Indessen," fuhr er nach
einer Pause, schuldbewußt lachend, fort, „habe ich das
eigentlich schon gethan. Ich bereitete sie gewissermaßen
auf mein Kommen vor, indem ich ihr Studien von
zwei Bildern, die ich letzten Winter in Berlin gemalt
habe, zuschickte, eins von einem der Minister und eins
von Ludwig, dem Tragöden des Schauspielhauses. Ich
ließ sie durch meinen Londoner Agenten besorgen, damit
sie glauben solle, einer ihrer englischen Freunde habe
sie gesandt, und ich sagte dem Mann, er solle niemand
verraten, woher sie kämen. Mein Gedanke dabei war,
es könnte mir vielleicht nützen, wenn sie schon etwas
von mir weiß, ehe ich in Person vor ihr erscheine.
Es war eine Art Empfehlungsbrief, den ich mir selbst
geschrieben."
„In der That," meinte Fräulein Morris, „Sie
werben königlich. Geben Sie immer Ihre Gemälde
fort an diejenigen, deren Photographie Ihnen gefällt?
Ich muß doch nachsehen, ob ich nicht eine Photographie
meiner Schwester im Koffer habe; sie gilt nämlich für
sehr schön."
„Warten Sie nur ab, bis Sie dies Bild gesehen
haben; dann werden Sie mich schon besser begreifen,"
versetzte Carlton.
Der Dampfer erreichte Southampton früh am Nach-
mittag, und Carlton belegte ein Coupö in dem Expreß-
Löwen im Kampfe mit einem Büffel.
zug nach London für Frau Downs, ihre Nichte und
für sich selbst und ein daranstoßendes für ihre Kammer-
zofe und Nolan. Es war ein herrlicher Tag. Carlton
verwandte kein Auge von den vorüberfliegenden Fel-
dern und Dörfern und ließ von Zeit zu Zeit Ausrufe
des Entzückens über die reinlichen Wege, die grünen-
den Bäume und Hecken, die roten Dächer der Wirts-
häuser und die viereckigen Türme der Dorfkirchen hören.
„Hecken sind doch besser als Stacheldrahtzäune,
nicht wahr?" fragte er. „Sehen Sie jenes Mädchen,
welches wilde Blumen pflückt? Sie sieht gerade aus,
als stände sie für ein Bild einer illustrierten Zeitung.
Sie könnte doch wohl keine Blumen von einem Stachel-
drahtzaun Pflücken, nicht wahr? Und sehen Sie den
Burschen in Kniehosen dort weiter unten am Weg, der
sich an die Pforte lehnt? Ich bin fest überzeugt, er
wartet auf sie. — Und hier kommt ein Wagen," plau-
derte er weiter. „Sehen die roten Räder nicht gut
neben den Hecken aus? Es ist doch ein hübsches
Ländchen, dies England, nicht wahr? Es gleicht einem
Privatpark oder einem Musterdorf. Mich freut's stets,
wenn ich hierher zurückkehre; ja, sogar die Dampfwalze
und der Mann mit der roten Fahne davor sind ein
willkommener Anblick."
„Die Fahrt nach London," meinte Frau Downs,
„erscheint uns wohl so interessant, weil wir so lange
auf der See waren. Sie entschädigt mich für die ganze
Reise. Ja" — mit einem Seufzer — „trotz der Patent-
medizinplakate, die sie angefangen haben überall längs
der Bahn aufzustellen. Es ist schade, daß sie unsre
schlechten Gewohnheiten statt der guten nachahmen."
„Sie sind etwas langsam im Nachahmen über-
haupt," erklärte Carlton. „Wußten Sie, Frau Downs,
daß elektrisches Licht in London noch beinahe so selten
ist wie in Timbuktu? Ich sah einmal, daß in einer
Stadt im Westen eine Anlage von elektrischem Licht
in drei Tagen fertiggestellt wurde; mehr als hundert
Glühlampen brannten in einem einzigen Lokal, und der
Ingenieur, welcher die Anlage machte, erzählte mir
im Vertrauen, daß . . ."
Was ihm der Ingenieur im Vertrauen erzählt
hatte, erfuhr man niemals; denn in demselben Augen-
blick unterbrach Fräulein Morris ihn mit einem lauten
Ausruf.
„Herr Carlton, hören Sie doch!" Sie hatte eine
von den vielen Zeitungen gelesen, welche Carlton an
der Station gekauft hatte, und schwenkte sie jetzt hin
und her, ihre Augen auf die eine Seite derselben ge-
heftet.
„Aber liebe Edith," begann die Tante, „Herr
Carlton erzählte uns - "
„Ich weiß, ich weiß!" rief Fräulein Morris lachend.
„Aber dies interessiert ihn viel mehr als elektrisches
Licht. Wer ist wohl in London?" Sie hielt inne und
Zllustrirte Welt.
nachdenkt, so ist es gar nicht so auffallend: die
Leute reisen bis nach Kuba und Mexiko und sogar
bis nach Indien wegen der Orchideen, wegen einer
jämmerlichen Blume, die abgeschmackterweise "oben auf
einem Baume wächst. Warum sollte dann nicht ein
junger Mann nach Deutschland gehen wegen einer
schönen Prinzessin, die auf ebener Erde spaziert und
sprechen und denken und fühlen kann. Sie ist doch
wohl mehr wert als eine Orchidee!"
Fräulein Morris lachte nachsichtig. „Ich wußte
wirklich nicht, daß solche Ritterlichkeit am Ende des
neunzehnten Jahrhunderts existierte," sagte sie; „aber
das ist schön und ermutigend. Ich hoffe sicher, daß
Sie Erfolg haben werden, und ich wünschte, wir wären
nahe genug, um Ihre Fortschritte verfolgen zu können.
Ich bin noch niemals die Vertraute gewesen, wenn es
sich um eine wirkliche Prinzessin handelte; das macht
es noch interessanter. Darf man fragen, welchen Plan
Sie entworfen haben?"
Carlton bezweifelte, daß er überhaupt schon Pläne
gemacht habe. „Ich muß erst an Ort und Stelle sein,"
sagte er, „und dann Erkundigungen einziehen. Mög-
licherweise verfolge ich Ihre Idee und suche um die
Erlaubnis nach, ihr Bild malen zu dürfen; nur ist es
mir unangenehm, meine gesellschaftliche und geschäft-
liche Seite zu vermengen. Indessen," fuhr er nach
einer Pause, schuldbewußt lachend, fort, „habe ich das
eigentlich schon gethan. Ich bereitete sie gewissermaßen
auf mein Kommen vor, indem ich ihr Studien von
zwei Bildern, die ich letzten Winter in Berlin gemalt
habe, zuschickte, eins von einem der Minister und eins
von Ludwig, dem Tragöden des Schauspielhauses. Ich
ließ sie durch meinen Londoner Agenten besorgen, damit
sie glauben solle, einer ihrer englischen Freunde habe
sie gesandt, und ich sagte dem Mann, er solle niemand
verraten, woher sie kämen. Mein Gedanke dabei war,
es könnte mir vielleicht nützen, wenn sie schon etwas
von mir weiß, ehe ich in Person vor ihr erscheine.
Es war eine Art Empfehlungsbrief, den ich mir selbst
geschrieben."
„In der That," meinte Fräulein Morris, „Sie
werben königlich. Geben Sie immer Ihre Gemälde
fort an diejenigen, deren Photographie Ihnen gefällt?
Ich muß doch nachsehen, ob ich nicht eine Photographie
meiner Schwester im Koffer habe; sie gilt nämlich für
sehr schön."
„Warten Sie nur ab, bis Sie dies Bild gesehen
haben; dann werden Sie mich schon besser begreifen,"
versetzte Carlton.
Der Dampfer erreichte Southampton früh am Nach-
mittag, und Carlton belegte ein Coupö in dem Expreß-
Löwen im Kampfe mit einem Büffel.
zug nach London für Frau Downs, ihre Nichte und
für sich selbst und ein daranstoßendes für ihre Kammer-
zofe und Nolan. Es war ein herrlicher Tag. Carlton
verwandte kein Auge von den vorüberfliegenden Fel-
dern und Dörfern und ließ von Zeit zu Zeit Ausrufe
des Entzückens über die reinlichen Wege, die grünen-
den Bäume und Hecken, die roten Dächer der Wirts-
häuser und die viereckigen Türme der Dorfkirchen hören.
„Hecken sind doch besser als Stacheldrahtzäune,
nicht wahr?" fragte er. „Sehen Sie jenes Mädchen,
welches wilde Blumen pflückt? Sie sieht gerade aus,
als stände sie für ein Bild einer illustrierten Zeitung.
Sie könnte doch wohl keine Blumen von einem Stachel-
drahtzaun Pflücken, nicht wahr? Und sehen Sie den
Burschen in Kniehosen dort weiter unten am Weg, der
sich an die Pforte lehnt? Ich bin fest überzeugt, er
wartet auf sie. — Und hier kommt ein Wagen," plau-
derte er weiter. „Sehen die roten Räder nicht gut
neben den Hecken aus? Es ist doch ein hübsches
Ländchen, dies England, nicht wahr? Es gleicht einem
Privatpark oder einem Musterdorf. Mich freut's stets,
wenn ich hierher zurückkehre; ja, sogar die Dampfwalze
und der Mann mit der roten Fahne davor sind ein
willkommener Anblick."
„Die Fahrt nach London," meinte Frau Downs,
„erscheint uns wohl so interessant, weil wir so lange
auf der See waren. Sie entschädigt mich für die ganze
Reise. Ja" — mit einem Seufzer — „trotz der Patent-
medizinplakate, die sie angefangen haben überall längs
der Bahn aufzustellen. Es ist schade, daß sie unsre
schlechten Gewohnheiten statt der guten nachahmen."
„Sie sind etwas langsam im Nachahmen über-
haupt," erklärte Carlton. „Wußten Sie, Frau Downs,
daß elektrisches Licht in London noch beinahe so selten
ist wie in Timbuktu? Ich sah einmal, daß in einer
Stadt im Westen eine Anlage von elektrischem Licht
in drei Tagen fertiggestellt wurde; mehr als hundert
Glühlampen brannten in einem einzigen Lokal, und der
Ingenieur, welcher die Anlage machte, erzählte mir
im Vertrauen, daß . . ."
Was ihm der Ingenieur im Vertrauen erzählt
hatte, erfuhr man niemals; denn in demselben Augen-
blick unterbrach Fräulein Morris ihn mit einem lauten
Ausruf.
„Herr Carlton, hören Sie doch!" Sie hatte eine
von den vielen Zeitungen gelesen, welche Carlton an
der Station gekauft hatte, und schwenkte sie jetzt hin
und her, ihre Augen auf die eine Seite derselben ge-
heftet.
„Aber liebe Edith," begann die Tante, „Herr
Carlton erzählte uns - "
„Ich weiß, ich weiß!" rief Fräulein Morris lachend.
„Aber dies interessiert ihn viel mehr als elektrisches
Licht. Wer ist wohl in London?" Sie hielt inne und