Zllnstrirte Welt.
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Peitschenknallen bemerkbar machte. „Ich darf mit dem
Bewußtsein vor den Richter treten, daß kein Fehl
mein Leben verdunkelt, der mich das Walten der Ge-
rechtigkeit fürchten lassen müßte. Ein blind Hassender,
nein, nnr ein Wahnwihcher.Konnte es wagen, mich
mit dem Schmutze der unglaublichsten Anschuldigung
zu bewerfen. Aber ihm fall sein Recht werden — sein
Recht und seine Strafe!"
Der geistliche Herr, der selten aus seiner Gemessen-
heit hcrausfiel, flog vor Erregung.
„Adieu für ein paar Stunden, mein Kind. An:
Abend bin ich zurück."
Er trennte sich mit einer Liebkosung, und wahrend
der Wagen rasch dahinrolltc, stand Helge am Fenster
und sah dem Gefährt mit thränenverdunkelten Augen
nach. Ihre Hände hingen herab, und die schlanken
Finger zitterten. Der grausame Schlag wirkte auf
sie um so niederschmetternder, als er ihrem jungen
Herzensglücke all die Freudigkeit nahm und sie mit
einem angstvollen Ahnen fast erdrückte. Eine einzige
Trostgestalt erhob sich vor ihren Augen: ihr Verlobter,
ihr Ernst, der dem Vater bcistehen sollte mit Rat und
That, der für den im Innersten gekränkten Mann-
und für sie! - cintreten würde mit dem ernsten,
freudigen Eifer der Liebe.
Ernst Dürhns war auf seinem Bureau und be-
grüßte den Geistlichen, der seine Bedrückung nicht ver-
bergen konnte, fragend.
„Sieh mich an, mein Junge," forderte der Pastor
in heißer Aufwallung, „ob ich aussehe wie einer, der
ein beladenes Gewissen unter glatter Maske zu bergen
vermöchte! Ein Bube hat die Feder gegen mich an-
geseht. um mich mit einem Striche aus der Reihe der
Ehrlichen zu beseitigen und mich zu brandmarken als
einen Verworfenen! Sieh mich an, Jung, und sag,
daß du glaubst!"
„Lieber Vater, dir muß etwas Schlimmes begegnet
sein," sagte Ernst beunruhigt. „Aber . . er schüttelte :
den Kopf, und über seine Züge flog gleich darauf ein
Lächeln, „du bist bei deinem Sohne, Vater, der dich
verehrt und liebt und niemals auch nur an die Mög- j
lichkeit eines von dir begangenen Unrechtes glauben
könnte. Eine Bubenhand kann sich gegen dich aus-
strecken, das Wohl — aber dich brandmarken? Un-
möglich, unmöglich! Du bist erregt, du stehst zu
schwarz. Komm, Vater — dein alter Platz; ich setz'
mich zu dir. So! — Na, weißt du, man kennt dich !
gar nicht wieder." Und plötzlich kam wieder die Un-
ruhe über ihn, und ein lebhaftes Interesse drängte die
Frage hervor: „Im Ernste, Vater, bist du, der über I
jeden Zweifel erhaben ist, thatsächlich von einem Buben
beleidigt worden?"
„Ich bin's!"
Des Pastors Hand fuhr in die Tasche und holte
den Bries Skagens hervor.
„Erinnerst du dich des halb blöden Menschen, den
ich in mein Haus genommen hatte und der seit einem
Jahr daraus verschwunden ist?"
„Ja, ich habe in der Zeitung auch eine Notiz ge-
lesen, die den Großbauern, den Bruder des Ver-
schollenen, ziemlich unverblümt in Verdacht zu ziehen
sucht."
„Derselbe Bauer erklärt, die Notiz irre sich lediglich
in der Person. Da — lies!"
Dürhns nahm das Schriftstück und durchflog es.
Plötzlich sprang er ans.
„Schurke!" stieß er hervor. „Ah! Jetzt begreife
ich. Tas mußte packen. Das erschüttert auch mich.
Kalt und dürr spricht er's aus! Aber der Mensch
ist verrückt; seine Bosheit ist Wahnsinn! — Komm
zur Ruhe, Vater. Mit diesem Wische halten wir den
elenden Verleumder in der Hand!"
Der Pastor atmete schwer.
„Ich wollte dich ersuchen . . ."
„Weiß schon, weiß schon," fiel Ernst Dürhns ein.
„Für Gelichter seinesgleichen sorgt der Staatsanwalt.
Er soll nicht lange auf sich warten lassen. Wir in-
des — für uns liegt keine Veranlassung vor, uns
weiter zu quälen; durchaus keine. Darf ich den Wisch
gleich behalten? Ich habe ein solches Dokument noch
nicht gesehen. Herrgott, was ist die Welt schlecht!
Ten Staatsanwalt Carlsen in Flensburg — du weißt
wohl, daß das in nnserni Fall zuständige Landgericht
dort seinen Sitz hat — habe ich schon wiederholt als
einen sehr energischen Herrn kennen gelernt, mit dem
schlecht Kirschen essen, der aber für solche Halunken
gerade der Rechte ist. Machen wir kurzen Prozeß,
Vater! — Eine Zigarre gefällig? Hat dir die letzte
Sorte geschmeckt, die ich dir besorgt habe? Hier habe
ich übrigens auch noch eine andre, Sumatra mit
Havanna-Deckblatt, pikant, aber doch leicht. Ich mag
das schwere Zeug selbst nicht. Ich sehe, du hast als
echter Raucher die Streichhölzer auch heute nicht ver-
gessen . ."
Johannsen lächelte trübe.
„Ich fühle mich etwas beruhigt, nun ich mich aus-
gesprochen habe," entgegnete er, „und die Sache in
deinen Händen weiß. Was ein Haken werden will.
krümmt sich beizeiten. Das hat sich traurig bewahr-
heitet an diesem Glieds einer geraden, ehrenhaften
Familie. Er war als Knabe zügellos und ist es als
Mann noch erhöht. Ich bin übrigens froh, Ernst,
daß meine Tochter sich einen Juristen ausgesucht hat.
Ich wäre sonst ratlos gewesen und ans den Gedanken,
den Staatsanwalt anznrufen, gar nicht gekommen.
Ist eine Beleidigung — und weiter liegt doch wohl
nichts vor? — denn nicht Sache der Privatklage?"
„Das kommt sehr darauf an, lieber Vater." Ernst
war froh, daß der verleumderischen Schandthat die
am tiefsten verletzende Spitze abgebrochen schien, und
lenkte durch eine sachliche juristische Erörterung die
Unterhaltung noch weiter in ruhiges Fahrwasser.
„Die Verfolgung der einfachen Beleidigung," führte
er aus, „namentlich, wenn sie geringfügiger Natur
ist, geschieht allerdings im Wege der Privatklage. Aber
auch der Staatsanwalt ist ich will dir sogar deu
Paragraphen der Strafprozeßordnung nennen, der ihm
sein Verhalten vorschreibt; es ist der Paragraph 152
— zur Erhebung der öffentlichen Klage verpflichtet,
sobald gerichtlich strafbare Handlungen in Frage stehen,
und für diese zureichende thatsächliche Anhaltspunkte
vorliegen Diesen thatsächlichen Anhalt giebt in unserm
Falle die von feiten Skagens gegen dich erhobene
schriftliche Anschuldigung. Auch der gegen Beleidigungs-
Prozesse denkbarst eingenommene Staatsanwalt könnte
hier die Verfolgung, schon in Rücksicht ans die Trag-
weite der Beschuldigung — der schwersten, die sich
ersinnen läßt — nicht von sich weisen, ganz abgesehen
davon, daß es sich durch deine Stellung als Geistlicher
nm die Wahrung eines augenfällig wichtigen öffent-
lichen Interesses handelt. Zu erwägen bleibt für uns
also nicht die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft,
sondern nur die Frage, wie weit die Klage auszudehuen,
mit andern Worten: auf Grund welches Paragraphen
des Strafgesetzbuches sie zu erheben ist. Ich für meinen
Teil bin der°entschiedenen Ansicht, daß in dem Falle
Skagen eine Beleidigung in schwerster Form vorliegt,
welche die Anwendung auch des strengsten Paragraphen
wohl rechtfertigt. Das ist der unter 187. Ent-
schuldige —!"
Der Anwalt ging an einen Bücherschrank und kam
mit dem Strafgesetzbuch zurück.
„Der Paragraph lautet — ich bitte, ihn dir vor-
lesen zu dürfen:
„,Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf
einen andern eine unwahre Thatsache behauptet oder
verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder
in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder
dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird wegen
verleumderischer Beleidigung mit Gefängnis bis zu
zwei Jahren und, wenn die Verleumdung öffentlich
oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen
oder Darstellungen begangen ist, mit Gefängnis nicht
unter einem Monat bestraft/
„Den noch folgenden Absatz über die Strafherab-
setzung bei Annahme mildernder Umstände kann ich
fortlassen; er kommt für uns schwerlich in Betracht,
da der Bauer seine Beschuldigung mit vollster Ueber-
legung schriftlich niedergelegt hat. . ."
„Erlaube einen Augenblick." fiel Johannsen ein,
der auch als schwer Gekränkter unwandelbar gerecht
blieb. „Diese mildernden Umstünde geben mir doch
zu denken. Würde nicht eine Strafmilderung darin
gefunden werden, wenn der Bauer trotz allem in Er-
regung gehandelt hätte?"
Ernst Dürhus zuckte die Achseln.
„Der Nachdruck ist darauf zu legen, ob er .wider
besseres Wissen' gehandelt hat. Wird das konstatiert,
und zugleich damit die Schwere der Beschuldigung er-
wogen, so dürfte ernstlich von mildernden Umständen
nicht die Rede sein."
„Wider besseres Wissen," wiederholte der Pastor
nachdenklich. Er erzählte von seinem Besuche bei
Skagen, wie er geglaubt habe, dem über den Bauern
umlaufenden Gerüchte gegenüber dessen Interesse wahren
zu sollen, und wie Skagen erst im letzten Augenblicke
den Spieß nmgedreht habe.
„Natürlich, vollbewußt, zu seiner eignen Ver-
teidigung," folgerte Dürhus lebhaft.
„Nein, Ernst, ich will so weit nicht gehen," sagte
Johannsen entschieden. „Wider besseres Wissen —
nein, das glaube ich nicht. Zu seiner Verteidigung:
ja. In der Erregung: ja. In der Uebereilung: ohne
Zweifel. Aber mit voller, teuflischer Absicht: nein."
„Lieber Vater, du ehrst dich selbst, wenn du deinen
Gegner schonst; aber deine Güte ist diesmal am un-
rechten Platze."
„Das hat weiter keine Gefahr. Ich null nicht eine
Uebereilung mit einer solchen erwidern; darum: ver-
meide, wenn es geht, diese harte Formel: .wider besseres
Wissen'."
Der junge Anwalt gab ungern nach, blätterte
wieder in dem Strafgesetzbuch und sagte etwas ver-
stimmt :
„Hm, dann müssen wir diesen Paragraphen ganz
fallen lassen und uns auf den vorhergehenden be-
schränken. Freilich kann man das ja auch thun, ohne
dadurch - hm. . ." er sah einen Moment abgelenkt
umher „ohne dadurch—der weitergreifenden Sühne
vorzubeugen. Ergiebt die Verhandlung doch die Aus-
sage .wider besseres Wissen', so wird das Gericht von
selbst aus die schärfere Ahndung überzugehen wissen.
Bestehen bliebe ja auch noch die Möglichkeit — hm
einer Irreleitung Skagens. Wie das Gerücht ihn be-
lasten konnte, so wäre ja immerhin ein andres zur
Belastung eines andern denkbar, und durch Mißver-
stehen oder halbes Erfassen wäre ja selbst der wider-
sinnige Schluß auf dich nicht einfach abznweisen . ..
Also gut! Paragraph 186. Er weicht im Grunde
auch nur wenig ab. Willst du hören? Er besagt:
„.Wer in Beziehung auf einen andern eine That-
sache behauptet oder verbreitet, welche denselben ver-
ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung
herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese
Thatsache erweislich wahr ist, wegen Beleidigung mit
Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Haft
oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn
die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreitung von
Schriftwerken, Abbildungen oder Darstellungen be-
gangen ist, mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert
Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren be-
straft.'"
Johannsens strenges Rechtlichkeitsgefühl verlangte,
daß er den Paragraphen noch einmal selbst, Wort für
Wort wägend, durchlas. Daun reichte er das Buch
dem Anwalt wieder hinüber.
„Danach stelle den Antrag."
Dürhus klappte das Buch zu und warf eS auf
seinen Schreibtisch.
„Na, wie du wünschest! Und nun wieder das
Gesicht hell und die Sorge fortgejagt. Meine arme
Helge. Oder weiß sie nicht . .?"
„Sie hat selbst gelesen. — Wie lange wird sich
das Verfahren hinziehen?"
„Das läßt sich schwer bestimmen — ein paar
Monate, denk' ich, werden darüber ins Land gehen."
„Du sollst eine makellose Braut heimführen, mein
Junge; so lange wird die Hochzeit aufgeschoben."
„Aber Vater!" protestierte der Ueberraschte. „Kein
Mensch in der ganzen Welt könnte dich oder Helge
beflecken. . ."
„Es bleibt dabei, mein Sohn."
„Nein, nein, laß dich umstimmen," drängte Dür-
hns. „Alle Welt soll mich beneiden nm meine Braut
und nm meinen zweiten Vater, den keine freche Lüge
zu verunglimpfen vermag . . ."
„Es würde ein Schatten auf euer junges Glück
fallen, und das soll nicht sein. Es bleibt dabei. Be-
gleite mich zu deinen Eltern. Sie werden auf meiner
Seite stehen."
„Ich erhoffe das Gegenteil, Vater!"
Im Elternhause des jungen Anwalts gestaltete sich
die Scene noch einmal bewegt. Aber gerade die sanfte
Mutter pflichtete unerwartet Niels Johannsen bei und
erreichte, daß die Vertagung der Hochzeit gegen den
Wunsch des Bräutigams zum Beschluß erhoben wurde.
DieAusarbeitung des Antrages auf Strafverfolgung
Dierk Skagens nahm den Anwalt bis zum späten
Nachmittag in Anspruch. Tann fuhr er im Wagen
des Schwiegervaters mit nach Holby hinaus und suchte
angesichts der verstörten Braut ruhig und heiter zu
erscheinen.
Siebentes Kapitel.
Der Richter am Amtsgericht Tondern stand an
einem der verstaubten Fenster seines Kabinetts und
musterte ungeduldig den dicht bewölkten Himmel. Ein
heftiges Gewitter entlud sich über die Stadt; strömen-
der, hageluntermischter Regen hüllte Straßen und
Häuser in einen grauen Schleier, der Donner grollte
und krachte ununterbrochen, Blitze durchleuchteten grell
die fast abendliche Dunkelheit.
Der Amtsrichter war verdrießlich. Das Unwetter
konnte gut und gern noch eine Stunde andauern, und
so lange durfte er nicht daran denken, nach seiner
ziemlich entfernten Wohnung sich ans den Weg zu
machen. Daheim wartete die Fran mit dem Essen,
sein Magen knurrte unzufrieden, die aus der Schule
gekommenen Kinder mußten warten gleich ihm — es
war ärgerlich. Hätte er sich entschließen können, gleich
nach der Sitzung aufzubrechen, ohne erst in die Zu-
stellung der Flensburger Staatsanwaltschaft in Sachen
Johannsen contra Skagen sich zu vertiefen, so wäre
es jedenfalls möglich gewesen, sein Heim vor Ausbruch
des Wetters zu erreichen.
Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und
nahm von neuem das staatsanwaltschaftliche Schrift-
stück zur Hand. Eine sinnlose Frechheit, diese An-
schuldigung des obstinaten Bauern gegen Niels Jo-
hannsen, den Pastor von Holby!
Der Richter fuhr sich mit den Fingern durch das
leicht ergraute Haar und ließ die Hand schwer auf
die Akten fallen. Dierk Skagen? Skagen? Er er-
innerte sich dunkel des alten Großbauern dieses Namens.
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Peitschenknallen bemerkbar machte. „Ich darf mit dem
Bewußtsein vor den Richter treten, daß kein Fehl
mein Leben verdunkelt, der mich das Walten der Ge-
rechtigkeit fürchten lassen müßte. Ein blind Hassender,
nein, nnr ein Wahnwihcher.Konnte es wagen, mich
mit dem Schmutze der unglaublichsten Anschuldigung
zu bewerfen. Aber ihm fall sein Recht werden — sein
Recht und seine Strafe!"
Der geistliche Herr, der selten aus seiner Gemessen-
heit hcrausfiel, flog vor Erregung.
„Adieu für ein paar Stunden, mein Kind. An:
Abend bin ich zurück."
Er trennte sich mit einer Liebkosung, und wahrend
der Wagen rasch dahinrolltc, stand Helge am Fenster
und sah dem Gefährt mit thränenverdunkelten Augen
nach. Ihre Hände hingen herab, und die schlanken
Finger zitterten. Der grausame Schlag wirkte auf
sie um so niederschmetternder, als er ihrem jungen
Herzensglücke all die Freudigkeit nahm und sie mit
einem angstvollen Ahnen fast erdrückte. Eine einzige
Trostgestalt erhob sich vor ihren Augen: ihr Verlobter,
ihr Ernst, der dem Vater bcistehen sollte mit Rat und
That, der für den im Innersten gekränkten Mann-
und für sie! - cintreten würde mit dem ernsten,
freudigen Eifer der Liebe.
Ernst Dürhns war auf seinem Bureau und be-
grüßte den Geistlichen, der seine Bedrückung nicht ver-
bergen konnte, fragend.
„Sieh mich an, mein Junge," forderte der Pastor
in heißer Aufwallung, „ob ich aussehe wie einer, der
ein beladenes Gewissen unter glatter Maske zu bergen
vermöchte! Ein Bube hat die Feder gegen mich an-
geseht. um mich mit einem Striche aus der Reihe der
Ehrlichen zu beseitigen und mich zu brandmarken als
einen Verworfenen! Sieh mich an, Jung, und sag,
daß du glaubst!"
„Lieber Vater, dir muß etwas Schlimmes begegnet
sein," sagte Ernst beunruhigt. „Aber . . er schüttelte :
den Kopf, und über seine Züge flog gleich darauf ein
Lächeln, „du bist bei deinem Sohne, Vater, der dich
verehrt und liebt und niemals auch nur an die Mög- j
lichkeit eines von dir begangenen Unrechtes glauben
könnte. Eine Bubenhand kann sich gegen dich aus-
strecken, das Wohl — aber dich brandmarken? Un-
möglich, unmöglich! Du bist erregt, du stehst zu
schwarz. Komm, Vater — dein alter Platz; ich setz'
mich zu dir. So! — Na, weißt du, man kennt dich !
gar nicht wieder." Und plötzlich kam wieder die Un-
ruhe über ihn, und ein lebhaftes Interesse drängte die
Frage hervor: „Im Ernste, Vater, bist du, der über I
jeden Zweifel erhaben ist, thatsächlich von einem Buben
beleidigt worden?"
„Ich bin's!"
Des Pastors Hand fuhr in die Tasche und holte
den Bries Skagens hervor.
„Erinnerst du dich des halb blöden Menschen, den
ich in mein Haus genommen hatte und der seit einem
Jahr daraus verschwunden ist?"
„Ja, ich habe in der Zeitung auch eine Notiz ge-
lesen, die den Großbauern, den Bruder des Ver-
schollenen, ziemlich unverblümt in Verdacht zu ziehen
sucht."
„Derselbe Bauer erklärt, die Notiz irre sich lediglich
in der Person. Da — lies!"
Dürhns nahm das Schriftstück und durchflog es.
Plötzlich sprang er ans.
„Schurke!" stieß er hervor. „Ah! Jetzt begreife
ich. Tas mußte packen. Das erschüttert auch mich.
Kalt und dürr spricht er's aus! Aber der Mensch
ist verrückt; seine Bosheit ist Wahnsinn! — Komm
zur Ruhe, Vater. Mit diesem Wische halten wir den
elenden Verleumder in der Hand!"
Der Pastor atmete schwer.
„Ich wollte dich ersuchen . . ."
„Weiß schon, weiß schon," fiel Ernst Dürhns ein.
„Für Gelichter seinesgleichen sorgt der Staatsanwalt.
Er soll nicht lange auf sich warten lassen. Wir in-
des — für uns liegt keine Veranlassung vor, uns
weiter zu quälen; durchaus keine. Darf ich den Wisch
gleich behalten? Ich habe ein solches Dokument noch
nicht gesehen. Herrgott, was ist die Welt schlecht!
Ten Staatsanwalt Carlsen in Flensburg — du weißt
wohl, daß das in nnserni Fall zuständige Landgericht
dort seinen Sitz hat — habe ich schon wiederholt als
einen sehr energischen Herrn kennen gelernt, mit dem
schlecht Kirschen essen, der aber für solche Halunken
gerade der Rechte ist. Machen wir kurzen Prozeß,
Vater! — Eine Zigarre gefällig? Hat dir die letzte
Sorte geschmeckt, die ich dir besorgt habe? Hier habe
ich übrigens auch noch eine andre, Sumatra mit
Havanna-Deckblatt, pikant, aber doch leicht. Ich mag
das schwere Zeug selbst nicht. Ich sehe, du hast als
echter Raucher die Streichhölzer auch heute nicht ver-
gessen . ."
Johannsen lächelte trübe.
„Ich fühle mich etwas beruhigt, nun ich mich aus-
gesprochen habe," entgegnete er, „und die Sache in
deinen Händen weiß. Was ein Haken werden will.
krümmt sich beizeiten. Das hat sich traurig bewahr-
heitet an diesem Glieds einer geraden, ehrenhaften
Familie. Er war als Knabe zügellos und ist es als
Mann noch erhöht. Ich bin übrigens froh, Ernst,
daß meine Tochter sich einen Juristen ausgesucht hat.
Ich wäre sonst ratlos gewesen und ans den Gedanken,
den Staatsanwalt anznrufen, gar nicht gekommen.
Ist eine Beleidigung — und weiter liegt doch wohl
nichts vor? — denn nicht Sache der Privatklage?"
„Das kommt sehr darauf an, lieber Vater." Ernst
war froh, daß der verleumderischen Schandthat die
am tiefsten verletzende Spitze abgebrochen schien, und
lenkte durch eine sachliche juristische Erörterung die
Unterhaltung noch weiter in ruhiges Fahrwasser.
„Die Verfolgung der einfachen Beleidigung," führte
er aus, „namentlich, wenn sie geringfügiger Natur
ist, geschieht allerdings im Wege der Privatklage. Aber
auch der Staatsanwalt ist ich will dir sogar deu
Paragraphen der Strafprozeßordnung nennen, der ihm
sein Verhalten vorschreibt; es ist der Paragraph 152
— zur Erhebung der öffentlichen Klage verpflichtet,
sobald gerichtlich strafbare Handlungen in Frage stehen,
und für diese zureichende thatsächliche Anhaltspunkte
vorliegen Diesen thatsächlichen Anhalt giebt in unserm
Falle die von feiten Skagens gegen dich erhobene
schriftliche Anschuldigung. Auch der gegen Beleidigungs-
Prozesse denkbarst eingenommene Staatsanwalt könnte
hier die Verfolgung, schon in Rücksicht ans die Trag-
weite der Beschuldigung — der schwersten, die sich
ersinnen läßt — nicht von sich weisen, ganz abgesehen
davon, daß es sich durch deine Stellung als Geistlicher
nm die Wahrung eines augenfällig wichtigen öffent-
lichen Interesses handelt. Zu erwägen bleibt für uns
also nicht die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft,
sondern nur die Frage, wie weit die Klage auszudehuen,
mit andern Worten: auf Grund welches Paragraphen
des Strafgesetzbuches sie zu erheben ist. Ich für meinen
Teil bin der°entschiedenen Ansicht, daß in dem Falle
Skagen eine Beleidigung in schwerster Form vorliegt,
welche die Anwendung auch des strengsten Paragraphen
wohl rechtfertigt. Das ist der unter 187. Ent-
schuldige —!"
Der Anwalt ging an einen Bücherschrank und kam
mit dem Strafgesetzbuch zurück.
„Der Paragraph lautet — ich bitte, ihn dir vor-
lesen zu dürfen:
„,Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf
einen andern eine unwahre Thatsache behauptet oder
verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder
in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder
dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird wegen
verleumderischer Beleidigung mit Gefängnis bis zu
zwei Jahren und, wenn die Verleumdung öffentlich
oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen
oder Darstellungen begangen ist, mit Gefängnis nicht
unter einem Monat bestraft/
„Den noch folgenden Absatz über die Strafherab-
setzung bei Annahme mildernder Umstände kann ich
fortlassen; er kommt für uns schwerlich in Betracht,
da der Bauer seine Beschuldigung mit vollster Ueber-
legung schriftlich niedergelegt hat. . ."
„Erlaube einen Augenblick." fiel Johannsen ein,
der auch als schwer Gekränkter unwandelbar gerecht
blieb. „Diese mildernden Umstünde geben mir doch
zu denken. Würde nicht eine Strafmilderung darin
gefunden werden, wenn der Bauer trotz allem in Er-
regung gehandelt hätte?"
Ernst Dürhus zuckte die Achseln.
„Der Nachdruck ist darauf zu legen, ob er .wider
besseres Wissen' gehandelt hat. Wird das konstatiert,
und zugleich damit die Schwere der Beschuldigung er-
wogen, so dürfte ernstlich von mildernden Umständen
nicht die Rede sein."
„Wider besseres Wissen," wiederholte der Pastor
nachdenklich. Er erzählte von seinem Besuche bei
Skagen, wie er geglaubt habe, dem über den Bauern
umlaufenden Gerüchte gegenüber dessen Interesse wahren
zu sollen, und wie Skagen erst im letzten Augenblicke
den Spieß nmgedreht habe.
„Natürlich, vollbewußt, zu seiner eignen Ver-
teidigung," folgerte Dürhus lebhaft.
„Nein, Ernst, ich will so weit nicht gehen," sagte
Johannsen entschieden. „Wider besseres Wissen —
nein, das glaube ich nicht. Zu seiner Verteidigung:
ja. In der Erregung: ja. In der Uebereilung: ohne
Zweifel. Aber mit voller, teuflischer Absicht: nein."
„Lieber Vater, du ehrst dich selbst, wenn du deinen
Gegner schonst; aber deine Güte ist diesmal am un-
rechten Platze."
„Das hat weiter keine Gefahr. Ich null nicht eine
Uebereilung mit einer solchen erwidern; darum: ver-
meide, wenn es geht, diese harte Formel: .wider besseres
Wissen'."
Der junge Anwalt gab ungern nach, blätterte
wieder in dem Strafgesetzbuch und sagte etwas ver-
stimmt :
„Hm, dann müssen wir diesen Paragraphen ganz
fallen lassen und uns auf den vorhergehenden be-
schränken. Freilich kann man das ja auch thun, ohne
dadurch - hm. . ." er sah einen Moment abgelenkt
umher „ohne dadurch—der weitergreifenden Sühne
vorzubeugen. Ergiebt die Verhandlung doch die Aus-
sage .wider besseres Wissen', so wird das Gericht von
selbst aus die schärfere Ahndung überzugehen wissen.
Bestehen bliebe ja auch noch die Möglichkeit — hm
einer Irreleitung Skagens. Wie das Gerücht ihn be-
lasten konnte, so wäre ja immerhin ein andres zur
Belastung eines andern denkbar, und durch Mißver-
stehen oder halbes Erfassen wäre ja selbst der wider-
sinnige Schluß auf dich nicht einfach abznweisen . ..
Also gut! Paragraph 186. Er weicht im Grunde
auch nur wenig ab. Willst du hören? Er besagt:
„.Wer in Beziehung auf einen andern eine That-
sache behauptet oder verbreitet, welche denselben ver-
ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung
herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese
Thatsache erweislich wahr ist, wegen Beleidigung mit
Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Haft
oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn
die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreitung von
Schriftwerken, Abbildungen oder Darstellungen be-
gangen ist, mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert
Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren be-
straft.'"
Johannsens strenges Rechtlichkeitsgefühl verlangte,
daß er den Paragraphen noch einmal selbst, Wort für
Wort wägend, durchlas. Daun reichte er das Buch
dem Anwalt wieder hinüber.
„Danach stelle den Antrag."
Dürhus klappte das Buch zu und warf eS auf
seinen Schreibtisch.
„Na, wie du wünschest! Und nun wieder das
Gesicht hell und die Sorge fortgejagt. Meine arme
Helge. Oder weiß sie nicht . .?"
„Sie hat selbst gelesen. — Wie lange wird sich
das Verfahren hinziehen?"
„Das läßt sich schwer bestimmen — ein paar
Monate, denk' ich, werden darüber ins Land gehen."
„Du sollst eine makellose Braut heimführen, mein
Junge; so lange wird die Hochzeit aufgeschoben."
„Aber Vater!" protestierte der Ueberraschte. „Kein
Mensch in der ganzen Welt könnte dich oder Helge
beflecken. . ."
„Es bleibt dabei, mein Sohn."
„Nein, nein, laß dich umstimmen," drängte Dür-
hns. „Alle Welt soll mich beneiden nm meine Braut
und nm meinen zweiten Vater, den keine freche Lüge
zu verunglimpfen vermag . . ."
„Es würde ein Schatten auf euer junges Glück
fallen, und das soll nicht sein. Es bleibt dabei. Be-
gleite mich zu deinen Eltern. Sie werden auf meiner
Seite stehen."
„Ich erhoffe das Gegenteil, Vater!"
Im Elternhause des jungen Anwalts gestaltete sich
die Scene noch einmal bewegt. Aber gerade die sanfte
Mutter pflichtete unerwartet Niels Johannsen bei und
erreichte, daß die Vertagung der Hochzeit gegen den
Wunsch des Bräutigams zum Beschluß erhoben wurde.
DieAusarbeitung des Antrages auf Strafverfolgung
Dierk Skagens nahm den Anwalt bis zum späten
Nachmittag in Anspruch. Tann fuhr er im Wagen
des Schwiegervaters mit nach Holby hinaus und suchte
angesichts der verstörten Braut ruhig und heiter zu
erscheinen.
Siebentes Kapitel.
Der Richter am Amtsgericht Tondern stand an
einem der verstaubten Fenster seines Kabinetts und
musterte ungeduldig den dicht bewölkten Himmel. Ein
heftiges Gewitter entlud sich über die Stadt; strömen-
der, hageluntermischter Regen hüllte Straßen und
Häuser in einen grauen Schleier, der Donner grollte
und krachte ununterbrochen, Blitze durchleuchteten grell
die fast abendliche Dunkelheit.
Der Amtsrichter war verdrießlich. Das Unwetter
konnte gut und gern noch eine Stunde andauern, und
so lange durfte er nicht daran denken, nach seiner
ziemlich entfernten Wohnung sich ans den Weg zu
machen. Daheim wartete die Fran mit dem Essen,
sein Magen knurrte unzufrieden, die aus der Schule
gekommenen Kinder mußten warten gleich ihm — es
war ärgerlich. Hätte er sich entschließen können, gleich
nach der Sitzung aufzubrechen, ohne erst in die Zu-
stellung der Flensburger Staatsanwaltschaft in Sachen
Johannsen contra Skagen sich zu vertiefen, so wäre
es jedenfalls möglich gewesen, sein Heim vor Ausbruch
des Wetters zu erreichen.
Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und
nahm von neuem das staatsanwaltschaftliche Schrift-
stück zur Hand. Eine sinnlose Frechheit, diese An-
schuldigung des obstinaten Bauern gegen Niels Jo-
hannsen, den Pastor von Holby!
Der Richter fuhr sich mit den Fingern durch das
leicht ergraute Haar und ließ die Hand schwer auf
die Akten fallen. Dierk Skagen? Skagen? Er er-
innerte sich dunkel des alten Großbauern dieses Namens.