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Illukrirte Mell.

dazu eignet. Er ist zwar noch nicht bestraft, doch
scheint er mir ziemlich leichtsinnig zu sein."
„Mein lieber Kniese, darüber beruhigen Sie sich
nur, den Leichtsinn werde ich ihm schon austreiben.
Im übrigen habe ich den Mann auch genügend kennen
gelernt, um meiner Sache sicher zu sein. Schicken >^ie
ihn mir gleich mal zu."
Hämerling, ein echtes Leipziger Kind, erschien und
stand stramm vor seinem Hauptmann da.
„Wollen Sie Bursche bei mir werden, Hämerling?"
„Jawohl, Herr Hauptmann," antwortete Hämer-
ling, indem er dachte: „Wie kommt der gerade auf mich?"
„Können Sie gut mit Pferden umgehen?"
„Sehr gut, Herr Hauptmann, ich bin zwei Jahre
Droschkenkutscher gewesen."
Wenn das gerade kein Trost in Bezug auf die
Pferdepflege war, so dachte der Hauptmann: „Ich werde
ihm schon aus die Finger gucken, daß er bald seine
Sache kann."
„Dann übernehmen Sie von Glimper alles, morgen
geht er, wie Sie wissen, weg; sollte es nötig sein, so
bleibt er auch noch einen Tag!"
Die Wohnungsfrage war noch nicht gelöst. Eine
Unmenge Wohnungen hatte Niemeyer schon angesehen.
Entweder waren sie zu groß und zu teuer oder zu
klein, oder zu weit von der Kaserne entfernt. Zwei
oder drei schienen ihm geeignet, aber es fehlte der Stall
am Hause, und in der ganzen Nachbarschaft war keiner
auszutreiben.
Der Rentner Schümerich in der Königsstraße, wel-
cher die eine der Wohnungen zu vermieten hatte, meinte:
„Mei kutester Herr Hauptmann, eene Wohnung mit
Ferd wer'n Se wohl schwerlich in der Stadt finden.
Da missen Se schon nach Stetteritz ziehen."
Der Mann wollte ihn wohl foppen; ärgerlich wan-
derte er weiter. Seine Compagnie lag in der Pleißen-
burg, er durfte also nicht außerhalb der Stadt wohnen.
Endlich fand er eine Wohnung in der Sidonienstraße,
die seinen Ansprüchen genügte.
Zwar fehlte auch hier der Stall, doch befand sich
einer im Nebenhaus, wie die Besitzerin sagte. Der
Stall war auch ganz gut, für drei Pferde eingerichtet,
nur hatte den einen Stand ein Droschkenkutscher ge-
mietet. Derselbe war gerade anwesend, als Niemeyer
den Stall besichtigte.
„Ich möchte mein Pferd hier einstellen," sagte er
zu dem Droschkenkutscher, einein dicken, gutmütig aus-
sehenden Mann. „Ist Ihr Pferd auch ruhig?"
„O ja, Herr Hauptmann, das is eene Berte von
einen Dierchen; die hat bei'n Gardereitern gedient, schon
lange is es her, aber Soldatenferd is se noch. Se
wer'n sahn, Herr Hauptmann, die vertragen sich gut.
Un auf Ordnung wird Se hier ooch im Stall gehalten,
da sorgt schon meene Frau mit dervor, die Se hier
hintenraus wohnt."
Es war eine braune Stute, die im Stall stand,
aber sie schien schon recht lange den alten Rumpelkasten
von Droschke aus dem Hose durch die Straßen ge-
schleppt zu haben; jedenfalls war das arme Tier in
den Flanken schon ganz abgescheuert, die Ohren bam-
melten bedenklich am Kops herum, ein Zeichen von
großer Altersschwäche, und die Kniee deuteten daraus
hin, daß sie wiederholt unfreiwillig Bekanntschaft mit
dem Pflaster gemacht hatten. Ein richtiger Großstadt-
droschkengaul!
Niemeyer mietete Wohnung und Stall; er konnte
beide gleich beziehen, und ehe eine Woche verging, war
alles tadellos eingerichtet.
Hämerling machte sich ganz gut. Mit dem Droschken-
kutscher Papermann hatte er vald enge Freundschaft
geschlossen. Er half ihm oft bei der ihm bekannten
Arbeit des Anschirrens und Droschkeuputzens, und dieser
lud ihn dafür in dem anliegenden Keller zu einem
Kümmel oder einer Flasche Gose ein.
Im Dezember saßen die beiden neuen Freunde eines
Abends nach dem Füttern in der Wirtschaft zusammen.
Twaußen schneite und regnete es durcheinander, und
ein scharfer Wind pfiff durch die Straßen.
„Ich muß Heide schon wieder Nachtdroschke machen,"
sagte Papermann, „wenn nur das serchterliche Wetter
nich wäre. Fährt mer nich, so kommt isu e Schutz-
mann un notiert eenen, un mer kann en Dahler Straft
bezahlen. Gott stramich, es is leene Freide. Un mei
armes Ferd, das hält's kaum mehr aus. Da is eiersch
gut dran, das hat am Tage ene Stunde zu gehen, un
dann werd's gleich wieder in'n Stall gesteckt un ge-
fiddert un eingewickelt wie e kleenes Kind."
Nachdenklich saßen beide einige Zeit zusammen.
Papermann hob jetzt langsam sein müdes, dickes Haupt
und meinte: „Hämerling, du kannst mer eegendlich dei
Ferd mal einspannen lassen, wenn ich nachts fahre,
's merkt's ja keene Menschenseele, un de kriegst ooch
immer was ab vom Verdienst."
Hämerling fuhr erschreckt auf. Dieser Gedanke war
ja ganz verwegen. „Nee, Babermann, das geht nich,
wenn was bassiert mit dem Ferd oder wenn's der
Hauptmann nachts broochen sollte! Nee, nee, das kann
ich nich!"

„Na, Hämerling, du bist ja auch Droschkenkutscher
gewesen und wärscht's auch wieder wer'n wahrschein-
lich. Du weeßt ja, wie schnell mer in der Nacht fehrt,
kassieren kann eierm Ferdchen nischt, un Soldat bin
ich ja ooch gewesen; vor früh um sieben Uhr braucht
ihr eier Ferd nie, da is es auch noch dunkel; märschden-
deels brvocht ihr'sch erseht um neine oder um zähne.
Um sechs bin ich frih immer zu Hause, un ich will
dir 'ne Mark geben, wenn de mer's heite nacht ab-
läßt."
Einen harten inneren Kamps hatte Hämerling mit
sich durchzufechten. Die Pflicht seinem Herrn gegen-
über, andrerseits aber die Berufung auf die Kollegen-
schaft mit Papermann und endlich eine Mark! Der
Leichtsinn siegte, einmal konnte man es ja versuchen,
zumal da morgen Sonntag war und der Hauptmann
das Pferd doch nicht brauchte.
„Na, Babermann, einmal will ich's dir lassen, aber
wenn du d§M Ferde was bassieren läßt, ich sterze mich
in die Bleiße!"
Hämerling stand an diesem Abend eine furchtbare
Angst aus; er hatte Papermann alles weitere über-
lassen. Nachts quälten ihn die fürchterlichsten Träume,
er sah das Pferd durchgehen und in einen tiefen Ab-
grund stürzen, wo es zerschmettert lag. In Schweiß
gebadet fuhr er auf; er sah nach der Uhr, es war erst
zwölf. — Dann schlief er wieder ein; aus schwerem
Schlaf erwachte er gegen sechs Uhr. Schnell war er
angezogen und in dem Stall. Da stand sein Pferd
ganz schön zugedeckt, in der Krippe frisches Heu, es
fraß gut, nur schien es ziemlich müde zu sein. Er
revidierte die Beine, alles war in bester Ordnung.
Das ist ja auch nicht so gefährlich, so'n bißchen
Droschkenfahren in der Nacht, und für das Pferd ist
es vielleicht viel besser, wenn es etwas mehr Bewegung
hat, dachte er.
In der nächsten Woche wurde die Sache wiederholt
und dann ein förmlicher Vertrag geschlossen. Hämer-
ling wußte kaum mehr, wenn Papermann das Pferd
gebrauchte, er fand es morgens immer versorgt im
Stall. Das alte Pferd von Papermann hatte nun
wenigstens seine Nachtruhe.
Die Rekruten waren vorgestellt und wurden in die
Compagnie eingestellt. Müde war Hauptmann Nie-
meyer an einem kalten, nebeligen Februarabend nach
Hause gekommen und hatte sich, da die Anstrengungeil
des Tages ziemlich groß gewesen waren, schon um
halb zehn Uhr zu Bett gelegt. Hämerling war auch
gleich seinem Beispiel gefolgt, und bald lag das ganze
Haus in friedlichem Schlummer.
Was war das?! Hämerling schreckte auf. Die
elektrische Hausklingel vollführte einen furchtbaren Lärm.
In die Hosen, die Treppe herunter war eins. An
der Korridorthür stand schon der Hauptmann in Unter-
hosen, die Kerze in der Hand.
„Hämerling, machen Sie sofort die Hausthür auf.
Was mag nur los sein?!"
Hämerling öffnete.
Ein Unteroffizier der Compagnie stand vor der
Thür. „Alarm!" rief er ziemlich atemlos, und durch
die Stille der Nacht hörte man schon von der Pleißen-
burg aus die langgezogenen Töne des wohlbekannten
Signals herüberklingen.
„Herr Hauptmann steht oben, Herr Unteroffizier."
Dieser eilte hinauf. Schnell berichtete er dem Haupt-
mann:
„Seine Excellenz, der kommandierende General, ist
hier und hat eben alarmieren lassen. Das Regiment
soll aus den Exerzierplatz nach Gohlis rücken. Tic
Bataillone sollen gleich abmarschieren."
„Sagen Sie, ich würde nach Gohlis reiten, der
anwesende Offizier oder Feldwebel soll so lange die
Compagnie führen. Hämerling, Esel, wo steckt Er
denn?"
„Hier, Herr Hauptmann."
„Nur vorwärts in den Stall, das Pferd gesattelt,
bestes Zaumzeug aus, guten Sattel, gute Unterlage-
decke! In einer Viertelstunde muß der Gaul vor der
Thür stehen; jetzt ist es vier Uhr."
Hämerling raffte schnell alles zusammen und stürzte
in den Stall.
„Mein Himmel, das Pferd!" Beinah' sank er zu-
sammen. Papermann machte Nachtdroschke! „O Gott,
was sang' ich an? Wer weiß, wo der Kerl steckt!
Ich bin verloren, wenn ich das Pferd nicht schaffe.
Eine Viertelstunde Zeit, und fünf Minuten sind schon
vorüber. Himmel! Ich nehme dem Papermann seins,
dann hat der Hauptmann wenigstens ein Pferd!"
Mit Müh' und Not ließ sich der alte Gaul satteln;
bei Lampenlicht sah er beinah' so aus wie der Wallach
des Hauptmanns. Schwer kriegte er das Pferd aus
dem Stall, und kaum stand er mit ihm in der stock-
finsteren Nacht vor der Thür, als auch schon der
Hauptmann erschien. Ehe Hämerling irgend etwas
äußern konnte, saß Niemeyer im Sattel und ritt nach
Gohlis ab.
„Dir ist Wohl das Aufstehen zu früh geworden?"
raisonnierte er mit dem Pferd, welches gar nicht in

Trab kommen wollte, trotz verschiedener Sporenstiche.
„Na, warte, ich werde dir helfen."
Kaum hatte er das Tier aber in schnellere Gang-
art gebracht, als es zu stolpern anfing, und er infolge
der Gefahr, in der Dunkelheit hinzufallen, ruhig weiter
reiten mußte.
Ziemlich spät und schon erwartet von dem Bataillons-
kommandeur, der ihm zu seinem großen Aerger dar-
über Vorstellungen machte, kam Niemeyer auf dem
Platz an. Es war noch ganz dunkel, und nur mit
Mühe hatte er seine Compagnie gefunden.
Bald wurde abmarschiert ; eine große Uebung sollte
stattfinden.
Allmählich wurde es hell. Niemeyer wunderte sich,
daß sowohl Soldaten und Unteroffiziere als auch vorbei-
reitende Kameraden ihn so erstaunt betrachteten. Da
bemerkte er auf einmal die wackelnden Ohren seines
Pferdes. War das sein Hans? Im Nu war er vom,
Pferde herunter. „Um Himmels willen, was ist das?"
Die abgeschabte Flanke eines alten Kleppers starrte
ihm entgegen. Die Vorderbeine desselben standen so
krumm, wie sie nur bei einem alten Droschkengaul
stehen können. O welche Blamage! Und wie struppig
sah das Pferd aus! „Hämerling, wenn ich dich hätte,
zerreißen würde ich dich! Was hat der Kerl gemacht?
Mein Pferd hat er gestohlen!"
„Feldwebel, schreiben Sie auf: Gegen den Mus-
ketier Hämerling wird sofort nach dem Einrücken That-
bericht eingereicht. — Der Mann muß verhaftet werden!"
Da tönte von der Tete des Regiments das Signal
„Offizierruf". Was halss, Niemeyer stieg aus, und in
dem schärfsten Trab, den er herauspressen konnte, eilte
er an dem Regiment vorbei. Ueberall glaubte er Lachen
und höhnende Bemerkungen zu vernehmen; er hätte in
die Erde sinken mögen. Als Letzter langte er beim
Oberst an.
„Herr Hauptmann Niemeyer, ich muß bitten, daß
Sie sich etwas mehr beeilen, wenn ich ,Offizierruf-
blasen lasse, besonders da Excellenz hier ist. Aber was
haben Sie denn da für ein Pferd?"
„Herr Oberst, das meinige ist heute morgen lahm
geworden."
„Ja, meine Herren, dann halten Sie sich solche
Pferde, die gesund sind, wenn sie gebraucht werden.
Aber mit so einem Tier, heute gerade, wo Excellenz
hier ist! Nein, nein, das gefällt mir gar nicht. Sie
stellen das ganze Regiment bloß. Ein Offizier auf
einem solchen Pferd! — Nun kommen Sie, meine
Herren, Excellenz wartet dort schon."
Alle berittenen Offiziere konnten sich des Lachens
kaum mehr enthalten. Es sah auch zu komisch aus:
Dieser alte Gaul mit dem schönen neuen Sattel- und
Zaumzeug, und auf ihm der elegante Offizier mit Lack-
stiefeln und tadelloser Gewandung. Ihm geschah es
aber ganz recht, dem Streber!
Niemeyer war außer sich. Seine Karriere schien
ihm gefährdet. Und als erst Seine Excellenz, ihn
mitleidig ansehend, sagte: „Na, Herr Hauptmann, Sie
könnten sich auch wohl mal ein andres Pferd kaufen,"
da konnte er kaum die Thränen der Wut und des
Aergers zurückhalten. Daß gerade ihm das passieren
mußte!
Hämerling war in Todesängsten zurückgeblieben.
Papermann mußte er suchen, jeden Augenblick konnte
der Hauptmann zurückkommen. Wie rasend rannte er
durch die Straßen jeder einsam dahinrollenden Droschke
nach, aber immer war es nicht Papermann.
Schweißtriefend und atemlos langte er gegen sechs
Uhr in der Sidonienstraße wieder an, als gerade
Papermann gemächlich von der andern Seite in die-
selbe einfuhr.
„Babermann, ich bin verloren! Du hast mich auf
dem Gewissen!" brüllte er ihn an.
„Was hast de denn, mei Kindchen," sagte Paper-
mann ruhig.
„Alarm war, und der Hauptmann hatte keen Ferd."
„Alarm?" Papermann wäre wirklich beinahe vom
Bock gefallen. „Ojeh, das ist schlimm! Was haste
denn gemacht?"
„Dei Ferd hab' ich ihm gegeben. Er weeß es noch
gar nich, es war so dunkel."
„Meine alte Stute! Hämerling, de bist Wohl ganz
verrickt, die hält's ja gar nicht mehr aus; se hat sich
gestern frih erscht wieder die Kniee frisch aufgeschlagen!
Na, nu is aber nischt mehr ze machen."
„Ja, aber ich! Dir kann's schon gleich sein."
„Warte mal! — De sagst, de hättest in der Dunkel-
heet de Ferde verwechselt, und dann wollen wir weiter
sehen, was sich machen läßt."
Um zwölf Uhr mittags rückte das Regiment ein.
Niemeyer wollte absitzen, doch der Oberst, der immer
noch ärgerlich war, sagte: „Sie führen Ihre Com-
pagnie zu Pferde nach Hause, Herr Hauptmann!"
Ganz geknickt ritt er nun mit gezücktem Schwert
an der Spitze seiner Compagnie den bekannten Weg
über den Augustusplatz und durch die Grimmaische
Straße. Wie ganz anders aber als beim Einzug nach
dem Manöver. Die Musik ließ ihre heiteren Weisen
 
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