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434

Sllustrirte Welt.

Glück in der Einsamkeit, fern von dem Getümmel
der Welt.
„Sie tanzen nicht, liebster Graf?" fragte eine
schnarrende Stimme neben ihm.
Botho wandte sich um und blickte in das wein-
gerötete Antlitz des kleinen, dicken Rittmeisters von
Heckendorff.
„Ich sand keine Dame mehr," entgegnete er kurz.
„Wollte auch die jüngeren tanzlustigen Herren nicht
berauben."
„Vortrefflich! Sie zählen sich wohl nicht mehr zu
den jüngeren Herren? Alle Wetter, liebster Graf,
was soll denn unsereins sage»! Doch Sie haben recht,
der Tanz ist ein sehr thörichtes Vergnügen. Kommen
Sie, Graf, ich weiß etwas Besseres . . ."
„Wohl wieder ein Spielchen arrangiert?" fragte
Botho lächelnd.
„Erraten!"
„Das war nicht schwer zu erraten," meinte Botho
trocken.
Der kleine Rittmeister lachte auf. „Ja, was wollen
Sie, bester Gras? Ich bin nun einmal eine Spiel-
ratte! Teufel, womit soll sich ein Mann in meinen
Jahren" — bei diesen Worten fuhr er sich über das
spärliche Haupthaar und das runde Bäuchlein
„denn sonst unterhalten? Das Tanzen ist vorüber,
die Damen wollen auch nichts mehr von unsereinem
wissen, ein guter Trunk und ein kleines seu unter
guten Freunden — das bleibt, das verläßt uns nicht."
Er faßte Botho lachend unter den Arm und führte
ihn in das Spielzimmer, in dem sich schon einige
Herren versammelt hatten. Diener reichten Kaffee
und verschiedene Liqueure. Aber auch Champagner
wurde getrunken, und einzelnen der Herren merkte man
die Wirkung des Weines bereits in bedenklicher Weise an.
Der kleine Rittmeister wurde lärmend begrüßt.
„Wo stecken Sie denn, Heckendorff? Warten schon
seit Ewigkeit auf Sie. Müssen uns noch Revanche
geben — Teufel, hatten Sie ein Glück vorgestern!" j
So tönten die Rufe durcheinander. Herr von !
Heckendorff verbeugte sich nach allen Seiten in spöttischer
Weise.
„Bin den Herren sehr dankbar, daß Sie auf mich
gewartet haben. Mußte aber erst die Erlaubnis
unsers liebenswürdigen Wirtes einholen . . ."
„Halten Sie keine Volksreden, Heckeudorff!" rief
ein baumlanger Gutsbesitzer lachend. „Da sind die
Karten — voll»! — Kairos votrs sou!"
Der Rittmeister nahm Platz und mischte die Karten.
Botho war niemals ein Liebhaber des Spiels ge-
wesen. In den letzten Wochen hatte er sich jedoch
mehrmals verleiten lassen, an einer Partie teilzu-
nehmen; das Spiel zog ihn von seinen Gedanken ab;
er dämpfte gleichsam die Bewegung seiner Seele durch
diese künstliche Aufregung. Anfangs hatte er sich ver-
ächtlich von dem Treiben der Spieler abgewandt, nach
und nach jedoch zog der teuflische Zauber der Karten
ihn in seinen Baun, und nach einigen Tagen fand
man ihn stets unter den Herren, welche sich um die
Bank des kleinen Rittmeisters zu scharen pflegten.
Auch heute abend nahm er am Spieltisch Platz.
Was sollte er auch anders beginnen? Am Tanz
mochte er sich nicht beteiligen, die Unterhaltung uiit
den Damen langweilte ihn, den ganzen Abend einsam
unter der fröhlichen Gesellschaft umherzuirren, kam i
ihm lächerlich vor, so gesellte er sich denn lieber zu
den Spielern — da ging doch die Zeit hin!
Aus dem Tanzsaal tönten die sentimentalen Walzer-
melodien herüber. Ab und zu hörte man das fröhliche
Auflachen einer Dame, die mit ihrem Tänzer vorüber-
ging. Das Spielzimmer füllte sich mehr und mehr.
Die älteren Herren zogen sich vom Tanze zurück, und
in den Pausen erschienen auch die jungen Herren, um
mit einigen Goldstücken ihr Glück zu versuchen. Neben
dem Spielzimmer befand sich das Rauchzimmer. Dichte
Dampfmolken ballten sich um die Lampen und Kerzen
zusammen und schwebten über den Häuptern der Gäste,
die sich um die Bank des Rittmeisters drängten.
Champagner und dunkelroter Burgunder erhitzten die
Gemüter mehr und mehr, man vergaß, daß das Spiel
zur Unterhaltung dienen sollte, die Leidenschaft steigerte
sich, man setzte höher und höher, und Hunderte, ja
Tausende rollten in Goldstücken oder flatterten in
Bankscheinen über den grünen Tisch.
„Sie haben Pech, lieber Graf," rief der Rittmeister
Botho zu, dessen Satz er eben einzog. „Würde mich
freuen. Ihnen einmal eine tüchtige Summe auszahlen
zu können."
Botho lachte rauh und heiser auf, indem er sich
erhob. „Wohin wollen Sie, bester Graf?" fragte Herr
von Heckendorff erstaunt— „doch nicht schon aufhören?"
„Ich habe kein Geld mehr bei mir . . ."
„Ah, was das anbetrifft — bitte nur zu poin-
tieren . . ."
„Nein, ich danke. Ich spiele nur bar."
„Zum Henker, so nehmen Sie doch, so viel Sie
wollen, aus der Bank!"
Botho lächelte. Er hatte bereits eine bedeutende

Summe verloren und wollte eigentlich aufhören. Aber
der Eifer des kleinen Rittmeisters belustigte ihn.
„Ich werde neue Truppen holen, Herr Rittmeister,"
entgegnete er. „Mein Geldschrank birgt noch einige
Geldrollen."
Er verbeugte sich tief und entfernte sich. Aber er
vernahm doch noch ein spöttisches Auflacheu und die
Worte: „Ja, wer einen reichen Schwiegervater hat..."
Botho wollte sich hastig umwenden, doch besann er
sich eines andern. Wozu heftig werden? — Hatte
der Spötter nicht recht? Stammte all das Geld,
welches er am Spieltisch verlor, nicht aus der Tasche
des reichen Börsenmaklers? War die Welt nicht be-
rechtigt zu glauben, daß er sich dem reichen Mann
verkauft habe? Hatte seine eigne Familie ihn nicht
verlaust?
Er trat in den Saal. Eine heiße Luft schlug ihm
entgegen, angefüllt mit Staub und dem schweren Duft
der verschiedenen Parfüms. Die Musik spielte einen
flotten Galopp, und die Paare wirbelten in raschem
Tanze an Bothos geblendeten Augen vorüber. Lachen
und lautes Geplauder, Fächerwinlen und Rauschen der
seidenen Gewänder! Schelmisches Scherzen und heim-
liches Flüstern! Heiße Blicke — glühende Wangen,
lachende Lippen, blendend weiß schimmernde Nacken
und Arme, erhitzte Gesichter, zerknitterte Roben, zer-
tretene, verwelkte Blumen — wie das alles in tollem
Wirrwarr an seinen Augen vorüberzog! Der Anblick
des bunten, glänzenden und eiteln Treibens schnitt
schmerzhaft in sein nach Glück und Liebe hungerndes
Herz. Wie verachtete er die hohle, glänzende, nichtige
Welt, wie haßte und verabscheute er sie! Er wünschte
sich zurück in die stille Einsamkeit des letzten Sommers,
er sehnte sich nach dem Alleinsein mit seiner Gattin,
die er mit gewaltiger, tiefer Leidenschaft liebte, die
er von sich gestoßen in beleidigendem Mißtrauen, deren
sanftes, stilles Wesen er für Heuchelei, für Maske ge-
halten, die er jetzt in dem tollen Treiben der Gesell-
schaft fürchtete, ganz aus den Augen zu verlieren, die
ihn verachten, die ihn hassen mußte, weil er sie so
tief, so tödlich beleidigt hatte.
Aber war es nicht noch Zeit, sich mit ihr zu ver-
söhne»? Morgen war der glänzende Schwarm zer-
stoben, morgen waren sie wieder allein; konnte er ihr
denn nicht alles gestehen, was sein Herz quälte, konnte
er sie nicht beschwören, offen und wahr gegen ihn zu
sein, ihm alles zu sagen, selbst das Demütigende für
ihn, daß sie um jenen schändlichen Plan gewußt —
er wollte ihr alles, alles verzeihen, er liebte sie ja
und glaubte daran, daß auch ihr Herz ihm gehörte,
daß sie sich ihm zu eigen gegeben, weil sie ihn liebte.
Und diese Liebe würde alles überwinden, alles ver-
zeihen, alles vergessen! Diese Liebe würde sich der
Sonne gleich über die nächtigen Schatten des Miß-
trauens, des Unglaubens, des Hasses, der Zwietracht
erheben, die trüben Nebel ihres Lebens verscheuchen
und den goldenen Tag des Glückes zurücksühren.
Er schaute sich suchend im Saale um, er fand seine
Frau nicht. In einer lauschigen Ecke unter breiten
Palmenwedeln sah er dagegen seine Schwester mit
Lieutenant von Wetterstein sitzen. Der junge Offizier
hatte Metas Hand ergriffen und blickte ihr zärtlich in
das errötende Gesicht, während sich ihre Augen in
glücklicher Verschämtheit senkten.
Ein Gefühl des Neides schlich sich in Bothos Herz.
Weshalb konnte er nicht auch so glücklich sein wie
jene beiden? Weshalb wollte der düstere Schatten
nicht verschwinden, der sich gespensterhaft zwischen ihm
und Charlotte erhob, wenn er sich ihr nahen wollte?
War er nicht ein Thor, sich durch diesen Schatten
zurückschrecken zu lassen?
Er durchschritt den Saal und gelangte zur Veranda.
Kühl und erfrischend wehte ihm die Nachtluft ent-
gegen. Aufatmend trat er in das Freie. Die Lampions
waren zum großen Teil erloschen, nur hier und da
schwankte noch eine der bunten Laternen in dem leichten
Winde, der in den dunkeln Gebüschen flüsterte und
die Kronen der hohen Bäume bewegte.
An dem Geländer der Veranda standen die Ge-
stalten eines Herrn und einer Dame. Sie schienen
in eifrigem Gespräch begriffen; jetzt erfaßte der Herr die
Hand der Dame, welche diese ihm mit herzlicher Ge-
bärde entgegenstreckte. Der Herr beugte sich tief herab
und küßte die Hand — Botho lachte schrill auf. Er-
halte Charlotte und seinen Bruder erkannt.
Diese drehten sich hastig nach ihm um. Der Licht-
schein erhellte das bleiche, erschreckte Antlitz Charlottens;
Bernwart trat auf den Bruder zu.
„Suchtest du uns, Botho?" fragte er, sich rasch
fassend, aber doch mit leicht bebender Stimme.
„Der Zufall führte mich her," entgegnete Botho
mit spöttischem Lächeln. „Der Zufall ist ein unan-
genehmer Gesell, er reißt einem schonungslos die Binde
von den Augen..."
Charlottens Lippen entschlüpfte ein leiser, schmerz-
licher Ausruf. Bernwarts Stirn verfinsterte sich.
„Ich hoffe nicht, Bruder," sprach er drohend, „daß du
mich beleidigen willst. . ."

„Wie sollten dich meine Worte beleidigen, aber
meine Augen sind nicht mehr blind, wie sie früher
waren."
„Botho, ich bitte dich . . . mäßige dich . .. Denke
an die Ehre deiner Gattin! An die Ehre unsers
Namens!"
„Denk du an die Ehre unsers Namens! Ich werde
die Ehre meines Hauses zu schützen wissen."
Er wandte sich ab. Bernwart wollte ihn halten,
Botho wies ihn schroff zurück. „Du wirst wissen,
was deine Pflicht ist — ich glaube dir, daß ihr die
Ehre meines Hauses, die Ehre unsers Namens noch
nicht verletzt habt. Das muß dir und ihr genügen."
Er schritt davon, ohne sich nach Charlotte umzu-
blicken, die schluchzend aus einen Stuhl sank. Als
Botho wieder den dunsterfüllten Ballsaal betrat, unter-
schied er keinen Ton, keine Farbe mehr; wie eine
blendende, schimmernde, sturmerregte See brandete
und wogte das bunte, lärmende Bild des Balles vor
seinen Augen, vor seinen Ohren auf und ab. Ein
! wüster Traum schien ihn zu umfangen; er zerteilte
die Wogen des leuchtenden, brandenden, tobenden Meeres,
ohne zu wissen, wohin er ging, ohne zu bemerken, daß
man ihm erstaunt nachblickte. Plötzlich fühlte er sich
am Arm ergriffen. Seine Mutter stand neben ihn«
und schaute ihm besorgt in das geisterblasse Gesicht.
„Bist du krank, mein Sohn?"
Er strich sich mit der Hand über die Augen.
Dann lachte er auf, daß die Gräfin erschreckt zurückwich.
„Nein, meine teure Mama," entgegnete er spöttisch,
„ich bin nicht krank. > Fürchtet nicht, daß ich euch das
Spiel verderbe, das ihr so fein eingefädelt habt. Ich
spiele meine Rolle weiter, als lustige Person, als
sterbender Fechter, wie ihr wollt — ihr könnt ruhig
sein, ihr könnt unbesorgt weiter leben in Saus und
> Braus, der Kaufpreis ist bezahlt — es war mein
Herz — meine Ehre . . ."
„Um des Himmels willen, was sprichst du? Du
hast zu viel getrunken . . ."
„Mag sein, Mama, daß der Champagner aus inir
spricht. Aber du weißt ja, im Wein liegt Wahrheit.
Und im Wein liegt Glück und Vergessen — Vergessen
um jeden Preis!"
Graf Balten ging-vorüber.
„Wie ist's, GM Balten," rief Botho, „wird noch
gespielt?"
„Allerdings,", näselte der kleine blonde Lieutenant.
„Rittmeister Heckendorff hat fabelhaftes Glück."
„Nun, so werde ich versuchen, ob ich dieses Glück
nicht brechen kann," lachte Botho. „Kommen Sie,
Graf, Sie spielen doch noch mit?"
„Bedaure sehr," entgegnete dieser in leichter Ver-
legenheit. „Bin für nächsten Tanz mit Frau Gemahlin
engagiert."
„Ah, das ist etwas andres! Bemühen Sie sich
nur aus die Veranda - wünsche viel Vergnügen!
— Adieu, Mama. Im Wein liegt Wahrheit nur
allein . . ."
Trällernd schritt er davon und verschwand im
Spielzimmer. Ueberrascht und erschreckt schaute ihm
die Gräfin nach, während um die dünnen Lippen des
blonden Lieutenants ein spöttisches Lächeln zuckte.
Rittmeister von Heckendorff setzte eben die drei
letzten Taillen an; den Tisch umstanden nur noch
wenige Spieler.
„Nichtsda!" rief Botho, näher tretend. „Ich hoffe,
Herr von Heckendorff, Sie geben mir heute nacht noch
Revanche?"
„Wenn Sie es wünschen, Herr Graf . . ."
„Hier auf die Dame dreitausend Mark —"
„Alle Wetter!"
„Sie nehmen an?"
„Selbstverständlich."
^NournkL äone! Uaites votro so»!'
Und das Spiel nahm seinen Fortgang.
7.
Ein trüber, nebeliger Herbsttag lastete schwer aus
Schloß und Park Osterhagen. Der Glanz des Festes
war verflogen; außer den nächsten Verwandten des
Schloßherrn waren alle Gäste abgereist, und im Gegen-
satz zn der lärmenden Fröhlichkeit herrschte eine säst
feierliche Stille in den weiten Hallen und Säulen-
gängen des alten Gebäudes.
Die alte Gräfin war die einzige, welche ein mun-
teres Gesicht zeigte, als man sich zum ersten Frühstück
! im Speisesaal versammelte. Ernst und blaß sah Char-
z lotte drein, während Comtesse Meta sich zärtlich, aber
in leichter, jungfräulicher Verschämtheit an ihre
! Schwägerin schmiegte. Bernwart schien von einer
seltsamen Unruhe und Verlegenheit ergriffen. Botho
war nicht erschienen. Der Diener sagte, daß der Herr-
Gras schon früh sortgeritten sei, wahrscheinlich nach
dem einige Stunden entfernten Nebengute.
„Was habt ihr nur?" fragte die alte Gräfin, sich
lächelnd im Kreise umsehend. „Ihr seid ja alle, um
! mit Goethe zu reden, wie nasses Stroh? Du vor
allen andern. Meta, solltest doch ein fröhliches Gesicht
 
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