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462

Illustrirte Welt.

„Ja!" !
„Ich meine diesen hier?"
Flüchtig drehte er sich herum. „Ja. der erste rechts.
Er ist ein wenig groß, es ist noch ein altes Schloß, j
aber — dauerhaft," entschuldigte er sich.
Es war kein Zweifel mehr. Er war es. Dauerhaft
schien er auch zu sein. Zu der Zeit, da man vor der
Stadt noch mit Strauchdieben und Räubern zu käm-
pfen hatte, wäre er recht praktisch gewesen.
Die Augen auf das Monstrum gerichtet, stieg ich !
kopfschüttelnd die Treppe hinab: So groß hatte ich
mir das Glück nicht gedacht. Nun, wenigstens konnte
man ihn nicht so leicht verlieren.
Bald zeigten sich aber Schwierigkeiten. In welche
Tasche sollte ich ihn stecken. Die Hosentaschen bargen
kaum die halbe Länge. Steckte ich ihn in die Flügel-
taschen meines Rockes, so lugte er neugierig zwischen
den Rockschößen hervor. Es konnten nur noch die
inneren Rocktaschen in Betracht kommen. Zwar konnten
auch sie das Kleinod nicht ganz aufnehmen, doch schützte
es der Rock vor unbefugten Augen. Nur mir selbst
war es vergönnt, ihm hin und wieder einen liebevollen
Blick zuzuwerfen.
Nachdem mir mein Portemonnaie den guten Rat
gegeben, mich heute mehr dem Naturgenuß zu widmen,
machte ich mich auf, zur Thür hinaus, an der Kirche
vorbei, den Berg hinauf.
In vollen Zügen sog ich die würzige Luft ein.
So wohl war mir in meinem Leben noch nicht ge-
wesen. Mit Schaudern dachte ich an all die herrlichen
Tage, die wir, über Büchern hockend, elend vertrauern
mußten. Schildern sollten wir in Aufsätzen die Herr-
lichkeit der Natur, die wir nicht kannten, nur gesehen
hatten, wie sie der Vogel von seinem Käsig aus sieht.
Ich sah und konnte mich nicht satt sehen an der all-
mählich hervorbrechenden Pracht des Frühlings. Blu-
men, Vögel, alles kam mir anders vor, im Gefühl der
Freiheit betrachtet.
Eben bückte ich mich, ein Veilchen zu pflücken, da
— ich fuhr zurück — ein Stoß in die Seite, — was
war das? Mein Hausschlüssel, das Symbol der Frei-
heit. Lachend ging ich weiter und schloß mich einem
Landmann an, der ausging, seinen Weizen zu besehen.
Er schilderte mir von seinem Standpunkte aus die
Schönheit der Natur, daß die Wiesen nicht so herrlich
prangten, wenn sie nicht ordentlich gedüngt wären, und
daß seine Kartoffeln nicht so groß sein könnten, wenn
er nicht so — viel Salpeter gestreut hätte. Die Welt-
regierung schien ihm überhaupt große Sorge zu machen.
Plötzlich brach er ab.
„Was haben Sie da für ein närrisches Ding?"
„Wo?"
„Da, in Ihrem Rock? Wohl zum Zuschlägen?
Ist hier nicht nötig. Die Gegend ist sicher."
„Um so besser!" renommierte ich, drängte den Vor-
witzigen zurück und knöpfte den Rock zu.
Ungefähr zwei Stunden mochte ich gewandert sein,
vorbei an einer Herde mit ihrem Hirten, der stumpf-
sinnig — bei einem Hirten heißt es eigentlich träume-
risch — in die Ferne blickte, durch schattige Wälder
und schmucke Wiesen; da erreichte ich ein ziemlich
großes Dorf mit einem annehmbaren Gasthof, in dem
ich einkehrte. Mein Appetit regte sich.
„Was giebt es zu essen?"
Die Frage hätte ich mir ersparen können; selbst-
verständlich gab es srische Wurst und alten Kuhküse.
Ich bestellte Wurst und aß mit Wohlbehagen.
Die Aussührung meines Entschlusses, nur einmal
einzukehren, wurde mir in unerwarteter Weise er-
leichtert. Zufällig kam ein Bekannter von mir herein,
und über dem Austausch der verschiedenen Erlebnisse und
Neuigkeiten verstrichen die Stunden schnell und unbe-
merkt, daß mir zu weiterer Rast keine Zeit mehr blieb.
Jetzt sah mich mein Freund an; er hatte es schon
einigemal gethan, was mir nicht entgangen war.
„Was hast du denn?"
„Ja; was hast du denn da?" Er griff nach mir
und zog meinen Hausschlüssel hervor. „Du sammelst
wohl Altertümer?"
„Mein Hausschlüssel!" erklärte ich.
„Na, dessen brauchte sich ja Petrus nicht zu schämen,
den kannst du bald als Spazierstock gebrauchen."
Etwas gekränkt, steckte ich den Schlüssel ein und
knöpfte den Rock fester zu. Mehrere Gäste waren neu-
gierig herbeigetreten, um das „Altertum" zu sehen.
Einige wagten sogar zu behaupten, das sei überhaupt
kein Hausschlüssel, was ich freundlich, aber bestimmt
zurückwies.
Endlich verabschiedeten wir uns. Ein Händedruck,
ein „Baldiges Wiedersehen", und fort ging's in der
einbrechenden Dämmerung dem Städtchen zu. Ehe ich
heimkam, war es längst Nacht und kein Licht mehr im
Hause zu sehen.
Vor mir lag in tiefem Frieden mitten in dem
schönen Berggarten das Haus, das eigentümlich dem
Küster gehörte und mir auf längere Zeit Obdach zu
geben hatte. Ich näherte mich demselben auf dem
ebenen Kieswege, mich dabei ängstlich rechts haltend.

denn links ging es steil bergab. Jetzt stand ich vor
der Thür.
Es ist ein denkwürdiger Augenblick im Leben des
Junggesellen, da er zum erstenmal den Hausschlüssel
in Thätigkeit setzt! Ich fühlte es. Langsam stellte ich
den Stock beiseite, langsam — solche Momente müssen
genossen werden — knöpfte ich den Rock auf und
nahm „ihn" aus seinem Versteck. Zunächst galt es
nun, das Schlüsselloch zu finden und dann mit dem
Schlüssel in die rechte Verbindung zu setzen. Genau
betrachtete ich die Fläche des Schlosses; richtig, hier
war etwas Schwarzes; ich bewegte den Schlüssel in
der Richtung auf den dunkeln Fleck, kam aber, wie es
schien, aus der Richtung. Nun strich ich mit der Hand
über das Schloß; hier war es, der kleine Finger ging
hinein, aber — der Schlüssel nicht. Ich nahm meine
ganze Geometrie zusammen, fällte ein Perpendikel durch
die Mitte des Schlosses, dachte mir eine Horizontale
durch das untere Viertel desselben, im Schnittpunkte
mußte doch das Schlüsselloch liegen, und — wahr-
haftig — da war es, doch — das Schlüsselloch war groß
— der Schlüssel aber größer — kurzum, er paßte nicht.
O Schicksalstücke!
Ich war wie aus den Wolken gefallen. Klopfen
mochte ich nicht, so machte ich mich denn auf und
schlich um das Haus herum, vielleicht war die
Hintere Hausthür offen. An der Rückseite des Hauses
stieg ich den Hügel hinauf, es war die reinste Hoch-
gebirgstour, ich fand ähnlich wie bei einer solchen auch
keine Hinterthür. Es ging ein Stück eben, und wieder
stand ich an einer Ecke. Ich kalkulierte, daß es jetzt
bergab gehen müsse, fand auch meine Vermutung glän-
zend bestätigt; einen Schritt noch, ich glitt aus und
fuhr mit erklecklicher Geschwindigkeit bergab. Doch es
war mir zum Heil; am Ende der Rutschpartie stand
ich wieder vor der Hausthür.
Auf einmal war es mir, als ob mein rechtes Bein
Frühlingslüfte fühle, einen leisen Hauch nur, aber-
bemerkbar; schnell griff ich danach, und, o Schrecken,
ein klaffender Riß in der Examenhose nahm meine
Hand auf. Sie, die allen Schrecken des Examens Trotz
geboten, war jetzt elend unterlegen. Ein Wutgeheul
entrang sich meiner Brust. Mit beiden Händen ergriff
ich die Thürklinke, strampelte mit beiden Füßen gegen
die Hausthür und vollführte einen Höllenlärm. Diese
Art und Weise, Aufmerksamkeit zu erregen, hatte ich
einen Schimpanse im Zoologischen Garten zu Stutt-
gart mit Erfolg anwenden sehen, der seinen Nachbar
Orang-Utan aus seiner trägen Ruhe bringen wollte.
Auch ich erzielte einen überraschenden Erfolg. In
Windeseile stürmte der Küster nebst Frau die Treppe
herunter und ließen mich ein. Wortlos standen wir
uns gegenüber. Ich zeigte, als mir nichts Besseres
einfiel, meinen Hausschlüssel vor.
„Der Kirchschlüssel!" entfuhr es ihr.
Er leuchtete genau hin. „Wahrhaftig, der Kirch-
schlüssel!"
Da entfiel er meiner Hand. Also nicht einmal ein
falscher Hausschlüssel? Und mit welchem Stolz hatte
ich ihn getragen, sein Lob gesungen, es war ein falsches
Lied.
Da spielte ich meinen letzten Trumpf aus. Langsam
drehte ich mich herum, stellte mein rechtes Bein zurück
und sah hinter mich, um mich an ihrem Schrecken zu
weiden. Beide richteten ihr Augenmerk auf die Unglücks-
stelle, während ich die entsprechende Schilderung des
Unfalls gab und heimlich dachte: das geschieht euch
recht, daß ich meine Hose zerrissen habe, warum habt
ihr mir den Kirchschlüssel gegeben.
„Erzählen Sie es nicht weiter, unser Logis kommt
in Mißkredit, wir bekommen keinen Mieter wieder!"
lamentierten sie. Da kam ich mir vor wie ein Fürst,
der dem unterworfenen Feind den Frieden diktiert.
Hochherzig nahm ich die mir gebotene Genugthuung
an, daß nämlich der Schneider morgen in aller Frühe
den Schaden auf des Küsters Kosten heilen solle.
Seitdem begegne ich jedem neuen Hausschlüssel mit
dem größten Mißtrauen, da ich hinter jedem, auch dem
kleinsten, einen Kirchschlüssel vermute.

I hört plötzlich die Mutter in ihrem Rücken einen starken Flügel-
schlag, sie dreht sich um, und alle Adern werden ihr zu Eis:
ein gewaltiger Adler ist heruntergeschossen, denn er hat das
j weiße Bündel für gute Beute angesehen, vielleicht für ein Lamm,
seine Fänge haben das Linnenzeug gepackt, und vor den entsetzten
Augen der Mutter erhebt er sich mit der Beute in die Lüfte,
um sie hinaufzutragen in seinen Horst hoch droben an den Ab-
stürzen des Berges. Doch nur einen Augenblick dauert die
Lähmung der unglücklichen Mutter, ihr gellender Schrei ruft
den Mann zur Stelle, dem sie mit fliegenden Worten das Vor-
gefallene berichtet. Aber thatenlose Verzweiflung ist dem Aelpler
fremd; dem Räuber nach, um ihm die Beute wieder abzunehmen,
das ist der erste aufblitzende Gedanke, und so gefährlich die Aus-
! sührung erscheint, ohne Zögern und ohne Furcht suchen sich
' beide den Weg zum Horst, den sie mit ihren scharfen Augen
schon von unten entdeckt haben, so unscheinbar die paar Reiser
und Stecken an dem grauen Gestein haften. Keine Wand ist
ihnen zu steil, der geübte Fuß findet immer wieder eine Stelle
zum Aufsetzen, und wäre sie auch nur eine schmale Leiste am
brüchigen Gestein; die Hand und das Knie hilft mit zum Halten
und Emporziehen. Die Mutterliebe ersetzt, was der Mann an
Kraft und Uebung voraushat, ja die Frau klimmt sogar rascher
empor. Und das anscheinend Unmögliche gelingt, sie haben die
steile Hohe bezwungen, dort oben klingt es wie leises Wimmern,
wie heiseres Piepsen, auf der Felsnadel daneben sitzt der alte
j Adler, als ob er ausruhen wollte von dem belasteten Ausflug.
Mit übermenschlicher Kraft hebt sich die Frau von Tritt zu
Tritt empor, während der Mann keuchend nachkommt. Jetzt ist
sie am Nest, ein lauter Freudenschrei, lebend, ja unbeschädigt,
keinen Tropfen Blut am Weißzeug liegt das Kind im Adlernest
neben den jungen Vögeln, die ihre gelben Schnäbel aufsperren.
Von dem Schrei erschreckt, ist der alte Adler aufgeflogen; hier
oben hat er noch nie einen Menschen erblickt. Die Mutter reißt
das Kind an sich, entschlossen, es gegen den Adler zu verteidigen,
wenn er sich auf sie stürzen wollte. Aber — ist es Zufall, ist es
Gottes Fügung, im gefährlichsten Augenblick tauchen am Fuße
der Wand Menfchen auf; Bergsteiger sind's, die auf anderm
Wege heraufgekommen sind und jetzt zu Zeugen werden, wie
Mutterliebe Heldenthaten vollbringt. Ihr lautes Geschrei scheucht
den Adler, Mutter und Kind sind gerettet. . .
Es ist manches Jahr seitdem Lahingegangen, aus dem Nazi
ist inzwischen der kühnste Bergsteiger und Gemsenjäger weit und
breit geworden. Der Xaver und die Vroni haben die Geschichte
oft erzählen müssen, welcher Gefahr er als kleines Büberl ent-
rissen wurde. In der Wallfahrtskirche zu St. Georgenberg hängt
ein schlichtes Votivbild, gemalt auf ein dünnes Brett aus Lärchen-
holz. Am Boden knieen ein Bauer und eine Bäuerin in der
Tracht des Innthals; zwischen ihnen liegt ein Kind, in weißes Zeug
eingewickelt; in der linken oberen Ecke schwebt ein großer Vogel,
in der rechten aber ist die Jungfrau Maria zu sehen im steif-
abstehenden Brokatkleid; unter dem Bild hängt eine Tafel mit
der Aufschrift: „Die heilige Mutter Gottes hat geholfen."
-tz-

Amüsante Wissenschaft.
Einen Teller mit einem Radieschen in die Höhe zu heben.
Man kennt das Kunststückchen, niit einem Stückchen Leder, dem
sogenannten Klebleder, einen Pflasterstein in die Höhe zu heben.
Man nimmt ein rundes Stückchen Leder, durchbohrt es in seinem
Mittelpunkt und zieht durch das Loch einen Bindfaden, in dessen
unteres Ende man einen Knoten geschlagen hat. Der Knoten
und das Loch müssen sich genau decken. Feuchtet man nun das
Leder gut an, bringt es aus den Stein und drückt es mit dem


Einen Teller mit einem Radieschen in die Höhe zu heben.

Gerettet!
«Bild S. 4S0 u. 4SI.t
Der Xaver hat eine kleine Wiese hoch droben an der steilen
Leite, schon über dem schütteren Lärchenwald, hart an der jäh
aufsteigenden Wand des Unnütz. Viel trägt sie nicht, aber es
wäre doch schade um das gute Heu, hat die Vroni noch heute
morgen gemeint, als kaum der Tag graute. „Woaßt wos,
Xaverl, steig'n mer aufi, heil no, glei in der Früh und mähn's.
An Biss'n Brot, a Glast Schnaps und an Kas nimmst mit,
af d' Nacht sam mer eh wieder z' Haus." — „Hast recht,
Vroni," entgegnet der Mann — „aber wos rs mit 'n Bübei?"
„Ah, das trog i mit aufi, 's kloane Hascherl konn nit alloa
bleib'n; 's könnt si jo nit dawehr'n vor lauter Flieg'n." Und
so sind sie denn hinaufgestiegen; das Mähen hat die Frau über-
nommen, der Xaver hat im nahen Wald Reisig und dürre Beste
geklaubt; das Kind haben sie fest eingewickelt und hingelegt,
daß es schlafen könne. Wer konnte an Gefahr denken! Da

Fuß fest gegen denselben, und zwar so, daß möglichst alle Lust
zwischen dem Leder und dem Stein entweicht, so hastet infolge
des Luftdrucks ersteres so fest auf dem letzteren, daß bei senk-
rechtem Anziehen der Schnur der Stein mit dem Leder in die
Höhe gehoben wird. Der Stein darf schon recht schwer sein und
er wird sich dennoch heben lassen. Dasselbe Experiment kann
man auch bei Tische mit einem Radieschen oder einem kleinen
Rettich und einem Teller anstellen. Man schneide das Radieschen
oder den Rettich durch und höhle das in das Wurzelende des-
selben auslaufende Stück leicht aus. Man drücke dieses, nun-
mehr einen Saugnapf darstellende Ende gegen die Tellerfläche
und reibe es auf derselben fest (ein vorheriges Anfeuchten ist
wegen des in dem Rettich enthaltenen Saftes nicht nötig).
Rettich und Teller hasten nunmehr so fest aneinander, daß, wenn
man den Rettich an seinem Wurzelende senkrecht in die Höhe
hebt, der Teller mitgehoben wird, gerade so, als ob der Rettich
an ihn angeleimt sei.
 
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