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490

Es war ein breiter, geräumiger, mit Ziegelpflasterung
versehener Flur, durch welchen sie zur Wohnstuben-
thür hinschritten. Links von dieser Thür befand
sich die Küche, und durch die nur leicht angelehnte,
niedere Thür derselben tönten lustige Laute — Scherz-
worte und Gelächter aus weiblichem Mund.
Der Bauer machte eine halb unwillige Gebärde nach
der Thür hin. „Das Weibervolk hat halt alleweil die
,Gaudi' im Kopf, wenn sich unsereins vor lauter Sorgen
schon nimmermehr auskennt."
„Mein, laß ihnen die Freud', Barier!" meinte der
Knecht. „Ein Lachen im Haus ist wie der Sonnen-
schein aus der Wiese."
Der Bauer sah ihn ein wenig von der Seite an.
„Bist du einer! Für dich ist der Regen, den man
schon gar nimmer braucht, auch noch eine Gottesgab'!
Jetzt da schaut's her!"
„Freilich, freilich! Ist ja lauter Wasser, was es
regnet, und wenn wir das Wasser nicht hätten, du, da
wären wir lang schon verdürstet und das Vieh und
die Felder halt auch, mein Bauer!"
„Mit dir läßt sich nichts richten," meinte da der
Bauer lachend. „Du weißt überall eine schicksame Red'
daraus. Na so, jetzt geh in die Stuben hinein und
nimm dir einen Weihbrunnen aus dem Krügel da,
damit der Segen Gottes dabei ist bei deinem Einstand
in mein Haus."
Der Knecht that, wie ihm geheißen worden: in
frommer Weise bekreuzte er sich Gesicht und Brust mit
den in Weihwasser getauchten Fingern. Dann wollte
er dem Bauer zum Tische hin folgeu. Aber er blieb
stehen. Und seine Augen schauten in Verwunderung
und Staunen auf die schlanke, hochgewachsene Dirne,
die da vorne beim Tische gesessen hatte und sich nun
langsam erhob. „Wen bringt denn der Vater da
mit?" fragte sie mit einer Hellen, anmutenden Stimme.
„Einen neuen Knecht. Für den Hannesvetter thut
er mir gut passen; nachher kann der Hannes bald
Ernst machen mit seinem Heiraten." Und indem der
Bauer sich zu dem Burschen herumwandte, fügte er
kurz hinzu: „Das ist mein einziges Kind und zugleich
meine Wirtschafterin — die Franzi."
Den Blick nicht von dem Mädchengesicht abwendend,
kam der Bursche jetzt langsam heran. Der Ausdruck
des Staunens wich nicht von seinen Zügen; mit einem
eignen, leuchtenden Schimmer in den blaugrauen Augen
schaute er in das schmalgerundete, bräunliche Angesicht
vor ihm. So ein schönes Dirndl war ihm noch nie
begegnet; — wie zwei Sternlein hell und klar und
goldrg glänzend standen die lichtbraunen Augen in dem
schönen Gesicht, und wie eine dunkelrote Rosenblüt'
vom Garten draußen, so sammetweich und leuchtend
erschien der kleine, Weiche, volle Mund. So ein Dirndl,
so ein Dirndl! Gerad' das Herz jauchzt einem, wenn
man so eine anschaut!
Die hartgearbeitete, feste Hand des Burschen streckt
sich nach vorwärts mit einer raschen Bewegung, „'leicht
ist sie zu stolz, daß sie mir die Hand giebt!" denkt er
sich; er hat eben einen Zug in ihrem Antlitz wahr-
genommen, der ihn erkennen läßt, daß sie gar wohl
weiß, wer sie ist.
„Grüß Gott!" sagt er laut. „Ich »erhoff', daß
sich die Franzi an mich gewöhnen mag! Bin sonst
gerad' kein zuwiderer Mensch. Mein Nam' ist Lorenz
Fraunberger."
Wider sein Erwarten reicht ihm die Franzi die
Hand mit einer freundlichen Gebärde. „Grüß dich
auch Gott!" erwidert sie. „Wenn du ein braver,
fleißiger Mensch bist, nachher ist es uns eine Freud'
und ein Nutzen, daß du im Haus bist."
Dem Mädchen scheint es, als fahre der Bursche
heftig zusammen und als verfärbe sich sein Gesicht,
aber sie ist sich nicht gewiß darüber, denn nun richtet
sich der Lenz stracks in die Höhe, lacht, daß seine weißen
Zähne sichtbar werden, und streckt gäh die Arme weit
vor sich hin, daß die Rockärmel sich eilends zurück-
schieben und das feste, starke Handgelenk sich dem Auge
bietet. „Ich sag' es dir wie eben erst deinem Vater:
wenn du meine Arm' siehst, nachher merkst, daß die
Arbeit nicht lang aus mich zu warten braucht."
Da geht ein Lachen über das ernste, stolze Gesicht
der Franzi hin. Und wie sie dabei den Lenz anschaut,
merkt man wohl, daß er ihr mit einemmal wohlgefällt.
„Und umbringen thust gewiß auch niemand — a so
ist nachher mit der Bravheit auch nichts zu fürchten,"
sagt sie scherzend und lacht, hält aber gleich wieder
in ihrem Lachen inne, denn nun hat sie es deutlich
wahrgenommen, wie die Züge des Lenz einen Moment
hindurch einen seltsam starren Ausdruck haben, und
wie es blaß, wie in Leichenfarbe über das Gesicht hin-
zieht. Und der Blick feiner Augen wendet sich von ihr
ab und geht unstet durch die Stube. Sie hört auch
einen schweren, gepreßten Atemzug. Gleich daraus
sieht er freilich wieder wie vorhin aus — aber sie weiß,
daß sie sich nicht getäuscht hat. Und sie wundert sich,
weshalb er einen Augenblick so verändert war, denn
auf ihre Worte schiebt sie es nicht, er hat dazu einen
viel zu guten Eindruck aus sie gemacht.

Zllustrikte Welt.

Die Thür wird jetzt hastig aufgestoßen, und die
Großmagd kommt herein, einen Krug voll Most herein-
bringend. Da langt die Franzi aus der Tischlade
einen mächtigen Laib schwarzen Brotes, und der Bauer
wendet sich zu dem neuen Knecht. „Wirst wohl Durst
und Hunger haben nach deinem weiten Weg, sitz dich
hin zum Tisch und stärk dich; bis zum Essen da dauert
es schon noch eine Weil'."
„Heut gar," meinte die Großmagd, eine derbe,
dralle, ältliche Dirne, lachend. „Heut ist bei uns ein
b'sonderer Festtag. Unser Bauer ist ein Anton von
Padua und da ist heut sein Tag (Namenstag). Da
muß halt doch eine ordentliche Schüssel voll Krapfen
auf den Tisch kommen, sonst wär' es eine Schänd'
und eine Lumperei! Und Krapfen, meine Leut', die
geben eine Arbeit! Ist nicht gerad' so, daß man dazu-
geht und sind schon fertig auch."
Und mit dem Kopfe zu wiederholten Malen nickend
zur Bekräftigung ihrer Rede, ging die Magd aus der
Stube. Der Lenz aber hatte jetzt nichts Eiligeres zu
thun, als vor den Bauer hinzutreten und ihm „viel
Glück und langes, gesundes Leben" zu wünschen an
seinem Namensfesttag. Halb schwermütig nickte der
Bauer dazu: „Mein', ich bin nimmer der alte wie
früher einmal! Seit mein Weib gestorben ist, ist
meine meiste Lebensfreud' dahin. Kann mich gäh ein-
mal hinunterreißen, die Jahr' dazu sind da. Wenn
ich nur meine Franzi nicht allein zurücklass', das ist
mein einziger Wunsch!"
Es war ein warmer Ton, in dem diese letzten
Worte klangen, und ein tieszärtlicher Blick ging aus
den grauen Äugen des alten Mannes über die Gestalt
seiner Tochter hin. Sie mußte sich wohl selten zeigen,
diese herzliche Liebe zu seinem Kinde, denn die Franzi
stand einen Moment ganz überrascht, dann ging ein
Zucken, wie von heftiger innerer Bewegung über ihre
Züge, sie trat rasch vor den Vater hin, neigte sich und
küßte ihm ehrfurchtsvoll die schwielige Hand. „Unser
Herrgott wird es recht machen!" sagte sie leise mit zittern-
der Stimme. Dann verließ sie hastig die Stube. Dem
Lenz aber sank sein Kops tief auf die Brust und seine
Augen feuchteten sich. Und als er aus einmal den Kops
hob und der Franzi nachsah, war eine stille Freude
in seinem Blick bemerkbar. Der Freudenstrahl erlosch
indes gäh wieder, als der Bauer sich nun seufzend
aus die Wandbank niederließ und sagte: „Ist ein
Kreuz mit dem Dirndl! Sie will halt alleweil noch
nicht heiraten. Reden thät' ich gerad' genug dessent-
wegen. Und ich mein', dazubringen thu' ich sie halt
doch bald mit meinem vielen Reden. Ich will's ja
auch erleben und meine Freud' haben an einem braven
Schwiegersohn! Und der Bergmeyr Peter, der stünd'
mir recht gut zu, wär' ein tüchtiger Bauernsohn und
dazu ein sauberer, fescher Bub', der einer jeden gut
gefallen kann!" Eine Weile schwieg der Bauer stille,
um dann mit einem leichten Schmunzeln um die glatt-
rasierten Lippen wieder sortzusahren: „Aber mein
Dirndl ist halt eine Stolze; die laßt sich eine ganze
Weil' schön thun, bis sie ,ja' sagt! Gerad' so wie
ihre Mutter. Da hat es halt auch ein schönes ,Neichtl'
gebraucht, bis sie mir zugesagt hat, daß sie die Meine
werden will. Dafür aber ist sie ein Weib geworden,
so ein prächtiges Weib, daß ich sie nicht um die ganze
Welt hergegeben hätt' für eine andre. Ja, ja, her-
geben hab' ich sie halt doch einmal müssen — unserm
Herrgott droben! Da giebt es kein Aufbegehren —
dagegen. Aber wenn man eines so gern gehabt hat
und geht einem davon, nachher — magst es glauben.
Bub'! — da wird einem 's Sterben völlig leicht und
gut. Gerad' meine Franzi, die muß sich noch zuerst
besinnen und dem Peter sein Weib werden — nachher
geh' ich gern."
Verloren starrte der Bauer auf die Diele nieder;
er mochte sich nun schweigend seinem wehmütigen
Sinnen hingeben. Drüben aber saß der junge Bursche
beim Tische und schaute mit trübem Blick der großen
Fliege zu, die erst auf einem angebrochenen, aus dem
Tisch liegenden Stück Brot herumkroch und dann auf
dem Rand des Kruges herumlief, alle Augenblicke in
Gefahr geratend, in das goldige Naß hinunterzustürzen
zu einem kläglichen Ende. Sie lag auch auf einmal
drinnen und schwamm ein Weilchen in der beinah bis
zum Rande reichenden Flut, aber so viel sie sich auch an-
strengte, um wieder herauszukommen, es gelang ihr
nicht. Da geschah es, daß Lorenz seine Rechte hob
und der Fliege seinen Zeigefinger hinstreckte; als sie
auf denselben hinaufkroch, legte er die Hand auf den
Tisch und sah darauf nieder, bis sie sich erholt hatte
von dem unfreiwilligen Bade und endlich davonflog.
Ein völlig verlorener Blick aus den blaugrauen Augen
folgte dem Tiere, und der Blick zeigte, daß der Bursche,
ohne zu denken, bloß einem inneren Drange nach-
gebend, derart gehandelt hatte. Und als das mitleidige
Werk eben geschah, da kam es, daß der Bauer aus
seinem Sinnen sich riß, aufblickte und verwundert, mit
einem merkwürdigen Lächeln dem Thun des Burschen
zusah. Doch ließ er kein Wort darüber hören.
Im nächsten Augenblick wurde die Thür geöffnet.

die Großmagd kam herein, deckte den Tisch und trug
vorerst eine Schüssel voll Milchsuppe, sodann Sauer-
kraut, mit feingeschnittenem Schnittlauch bestreut, auf;
danach erst kamen die Krapfen an die Reihe — teller-
große Stücke, von denen acht auf eine Person berechnet
waren. Der Lenz merkte es gleich an diesem ersten
Abend, daß es mit dem Essen im Buchenhof ein gut
°Ding war.
2.
Sonnenwende! Ein glühheißer, sonniger Tag mit
einem klaren Himmel, an dessen tiefer, satter Bläue
nicht ein einziges Wölkchen zum Vorschein kam. Die
Arbeiter auf dem Felde verwünschten freilich diese
unmäßige Hitze, denn der Schweiß rann ihnen in
Strömen vom Gesichte. Der Buchenhofer indes rieb
sich in bester Zufriedenheit die Hände, da er sah, wie
prächtig in der heißen Sonne das am Tage zuvor in
aller „Gottesfrühe" gemähte Gras auf den Wiesen
dörrte. Am Spätnachmittag konnte mit dem Einfahren
des Heus von der Bergwiese, einem größeren Grund-
stück an einer Berglehne, begonnen werden, und am
Abend war diese Frucht des Feldes geborgen. Sonst
wurde ja der Sonnenwendetag als halber Feiertag
gehalten, aber diesmal vermochte der Bauer bei allem
guten Willen seine Leute von der Arbeit nicht los-
zugeben, da nach den vielen Regentagen jeder schöne
Tag ausgenützt werden mußte.
Bei den ersten Fuhren, die, von stattlichen Ochsen
gezogen, schwer beladenindenHosraumhereinschwankten,
half der Bauer fleißig selber mit beim Abladen; als
aber dann die Wagen auf dem Felde alle beladen
waren, und der Großknecht bei jeder Fuhre mitging,
da hatte der Bauer nur das Zusehen für sich übrig.
Der Lenz stellte seinen Mann für zwei; er ordnete an,
half selber tüchtig mit und überwachte dabei die Arbeit
der andern mit kundigem, scharfem Blick. Es war
eine Herzensfreude für den Bauer, seinen neuen Knecht
so thätig wirtschaften zu sehen; auf den durfte er sich
verlassen wie auf sich selber.
„Bist ein Bub', der mich g'freut!" redete er den
Lenz an, als die Wagen endlich alle leer waren. „Da
hab' ich einen Fang gemacht mit dir, das muß ich
sagen. Und den diesmaligen Namenstag darf ich mir
im Kalender anmerken mit einem doppelten roten
Stricht."
Der Lenz wischte sich mit seinem roten, baum-
wollenen Sacktuch den in großen, unzähligen Tropfen
herabrinnenden Schweiß vom Gesicht. Mit glänzenden
Augen sah er den Bauer an. „Bist also zufrieden
mit mir? Das will ich haben und das ist mir eine
große Freud'. Mein Herr soll einen Knecht haben an
mir, der ihm in seiner Wirtschaft vorkommt als wie
das Schlagwerk bei einer Uhr."
Der Buchenhofer nickte gewichtig. „Ja, du bist
ein solcher. Schad' um dich; du wärst ein richtiger
Bauer, der es zu etwas bringen könnt'!"
„Meinst?" fragte der Lorenz. Nur das eine Wort
sprach er, aber es lag eine Fülle von frohem Hoffen,
von stolzer Freude und eigner Lust in dem einzigen
Wort; und dann glitten seine Blicke aufleuchtend auf
die hochgewachsene Mädchengestalt im blauen Kattun-
kleid hinüber, die eben unter die Hosthür drüben trat.
Wie Heller Sonnenschein brach es aus seinen Augen,
als der Franzi Gesicht sich seinem Blick zuwendete.
Ihr Blick traf voll in seinen. Und unter dem herz-
innigen, seligfrohen Blick der blaugrauen Mannes-
augen ging es heiß über das schöne Mädchengesicht hin;
eine warme, tiefe Röte färbte es bis zur Stirn hinauf,
die so reizvoll schön von dem weichen, goldigbraunen
Haar umrahmt wurde.
Sie schritt hastig heran, die Franzi. „Vater,"
sagte sie, „ich mein', jetzt wär' es halt doch einmal an
der Zeit, zu essen! Alles wär' schon lang gerichtet
und vergeht der ganze Geschmack daran mit dem langen
Stehen. Ist eine Zeit zum Arbeiten und eine Zeit
zum Essen, alles, wie es sich gehört."
Lächelnd betrachtete der Bauer das Mädchen.
„Gelt, heut hast du halt eine Angst, daß du mit deiner
Kochkunst sonst keine Ehr' einlegst, wenn es so lang
hergeht?! Na, wir gehen schon, richt nur gleich an!"
Nach dem Essen richteten sich die Dienstleute und
die Haustochter rasch ein wenig zusammen, um in Halb-
wegs ordentlicher Kleidung und sauber gewaschen und
gekämmt zu erscheinen. Es sollte zum Bergmeyr hinauf-
gehen aus die Berghalde, wo jedes Jahr ein mächtiges
Sonnwendseuer angezündet wurde und sich eine prächtige
Rundschau auf nah und fern, auf Thäler und Berges-
spitzen erbot.
Der Bauer blieb allein daheim, als „Haushüater".
Schwatzend, scherzend und lachend erstieg die kleine
Schar mitsammen den Berg, zuerst dicht auf einem
Häuflein beisammen, dann sich ein wenig voneinander
trennend. Die Franzi ging neben dem Lenz dahin,
wie es sich schier von ungefähr so gefügt hatte. Nach
dem Ausdruck ihrer Züge zu schließen, mochte die
Stimmung der Franzi nicht die beste sein. Ihre seinen
dunkeln Augenbrauen waren dicht zusammengeschoben.
 
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