586
älteren Mann, der über die Schwelle des Tanzsaales
tritt und verstörten Gesichtes mit suchenden Augen
herumschaut. Sie macht sich heftig los. „Das ist der
Nazl von uns. Was will denn der?" stößt sie halb
im Schreck hervor und eilt vom Ferdl fort auf den
Mann zu. „Ha, Nazl, suchst'leicht mich? Ja, wie
schaust denn aus?"
Der alte Bursche legt seine schwielige Rechte auf
die runde Schulter des Dirndls. „Ja, Sepherl, mußt
halt nicht zu viel erschrecken! Ich bring' dir eine
böslete Botschaft. Heimgehen sollst halt und das
gleich. D' Muatter ist gäh krank geworden."
Starr sieht das Dirndl den Knecht an. „Mein Gott!"
kommt es -ganz leise über ihre Lippen; im nächsten
Augenblick hat sie den Tanzsaal verlassen, und während
der Knecht langsam, mit schwerem Schritt den Flur
entlang stapft, ist sie schon weit außer dem Hause.
Jedoch nicht allein. Der Ferdl hat die schlimme Bot-
schaft mit angehört und ist, als die Sephi davonlief,
derselben in aller Eile gefolgt. „Ich kann dich doch
nicht in der stockfinsteren Nacht mutterseelenallein Heim-
rennen lassen!" meint er, als er an ihrer Seite dahin-
hastet. „Daß dir was geschäh'!" und da sie keine
Silbe erwidert und nur ihr gepreßter Atem hörbar
wird, fängt er in herzlichem Bedauern aufs neue an:
„Gelt ja, dein Muatterl?! So was zu hören, das
mnß einem durch und durch gehen! Ich kann mir das
denken. Hast gewiß auch dein Muatterl recht gern?
Mein Gott, wenn ich mir vorstell', daß ich auch ein-
mal so eine Botschaft hören sollt', ich mein', ich könnt'
mein Herz nimmer ,derhabew vor lauter Wehthu!
Arm's Dirndl! Ja, wenn's doch bald wieder besser
würd'!"
„Gelt, hast auch deine Muatter gar so viel gern?"
fragte da die Sephi mit schmerzlich bewegter Stimme.
„Ah du, die meine — ich kann dir's nicht sagen, wie
gut als die ist!"
Der Ferdl sieht der Sephi ihr Gesicht nicht in der
fast gänzlich finsteren Nacht, aber es ist ihm, als wüßte
er's gewiß, daß Thränen über ihre Wangen lausen.
„Sephi, flenn nicht! Schau, 'leicht ist's gar nicht so
arg und dein Muatterl ist morgen schon wieder völlig
gesund. Ja, ja, ganz gewiß wird's so sein!"
Herzlich klingen die Worte an das Ohr des Mäd-
chens, es kommt schier ein wenig Beruhigung in ihr
verstörtes Gemüt, aber da die Rede kaum geendet, er-
klingt mit einemmal ein klagendes Läuten von dem
nahen Kirchturm — das Zügenglöcklein. Und die
Sephi stößt einen lauten Schreckensschrei aus und
jammert hellauf: „Mein Gott, sie geht's an, sie geht's
an!" Dabei geht es wie ein Krampf durch ihren
Körper, die Füße unter ihr erbeben heftig, dann fühlt
sie ein Mattwerden ihrer Glieder, einen dumpfen, be-
täubenden Schmerz vom Herzen zu ihrem Gehirn aus-
steigen, es dreht sich alles rund um sie, und ein tiefer,
schwerer Seufzer entflieht ihren Lippen.
„Mein Gott, Sepherl, was ist's denn?" schreit der
Ferdl mit einemmal auf, und gleich darauf: „Jetzt
ist's hingefallen, 's Dirndl! So was, so was, mein
Gott!" Er tastet mit den Händen suchend nach ihr,
die er zu Boden fallen gehört. Er greift auch schnell
den bewußtlosen Körper. Da nimmt er denselben
hastig in seine Arme, drückt den Kopf Sephis gegen
seine Schulter, hält die Last fest an die Brust gepreßt
und läuft damit davon. Er weiß den Weg gut genug
trotz der Finsternis, da man auf demselben zur Stadt
muß. Mit seinem jagenden Lauf hat er das Gehöfte
bald erreicht. Aber wie er über die Wiese quer hinüber-
eilt zum Hause, regt sich die Sephi in seinen Armen.
Gleich darauf hebt ein schwacher Seufzer ihre Brust.
Der Ferdl, der bereits vor dem Hause steht, läßt sie
zu Boden, hält sie aber mit einem Arme fest um-
schlossen, während er mit der freien Hand den Thür-
klopfer sucht, um 'jemand herbeizurufen, der die Thür
öffnet. Diese steht jedoch offen, wie er bald merkt,
und nun geleitet er die Sephi fürsorglich ins Haus.
Einmal stößt er in der Dunkelheit, da er den Haus-
flur nicht kennt, gegen irgend ein Gerät, welches
polternd umsällt. Das ist gehört worden, eine Thür
wird gleich darauf aufgerissen, und mit einem Licht in
der Hand kommt ein alter Mann heraus. „Sephi!"
ruft er, „bist es denn du, Sephi?"
Seine Augen, die die Helle gewohnt sind, vermögen
nicht sofort die Dunkelheit zu durchdringen. In das
Dirndl ist bei dem Rus Plötzlich Leben gekommen.
Es entzog sich den stützenden Armen des Begleiters
und wollte vorwärts hasten. Aber eine sonderbare
Schwäche in den Gliedern machte den Gang der Sephi
zu einem taumelnden, langsamen. Schluchzende Laute
entrangen sich dabei ihren Lippen: „Muatterl! Mei'
Muatterl!"
Der Alte stieß die Thür weit auf, welche hinter
ihm zugefallen war. „Geh nur, geh nur, Sepherl,
sonst siehst es nimmer!" murmelte er mit schmerzlich
zitternder Stimme, und dann sah er endlich den jungen
Burschen, der in der Mitte des Flurs stand und der
Sephi mit dem Blick folgte. Auf seinen Holzpantoffeln
schlurfte der Alte heran; der auf den Flursteinen aus-
Illustrirte Welt.
gestreute Sand knirschte laut. „Ja, wer ist denn das?"
Und da der alte Mann im selben Angenblick die
flimmernde, flirrende Guirlande erblickte, welche den
schwarzen, Weichen Filzhut des Burschen bekränzte,
sügte er, sich selbst die Frage beantwortend, hinzu:
„Aha, bist der Zubräut'ger von der Hochzeit! Bist
'leicht mit der Sepherl hergegangen, daß der arme
Hascher nicht allein gewesen ist?"
Der Ferdl nickte. „Mei', das Dirndl! Ganz weg
ist's, umgesallen ist's auf halbem Weg, und ich hab'
sie hertragen müssen. Wie steht's denn drinnen?
Liegt sie denn wirklich im Sterben, d' Bäurin?"
Trübselig schaute ihn der alte Mann an. „Ja,
ja, unser Herrgot hat s' lieber wie wir und will sie zu
ihm nehmen! Der Schlag hat sie getroffen, und vor
einer Stund' hat der Bader gesagt, es gab' keine
Hilf' mehr. Jetzt liegt sie schon in den letzten Zügen.
Mei', o mei', s°o ein gächer Todesfall, der jagt einem
ins Blut einen Schrecken, daß 's Herz schier nimmer
schlagen mag! Mei', o mei'!"
Und seufzend, stöhnend wandte sich der Alte um
und schlurfte der Stubenthür zu; nach wenigen Schritten
aber blieb er wieder stehen und fragte, ohne sich um-
zusehen: „Gehst'leicht gleich wieder zurück oder kommst
ein Wenig in die Stuben? Wie du willst!"
Unentschlossen, zögernd versetzte der Ferdl: „Möcht'
lieber ein wenig warten!" Es war ihm plötzlich, als
ginge die Sterbende ihn recht nahe an, als wäre sie
eine liebe Verwandte von ihm. Ins Wirtshaus mochte
er jetzt nicht zurück.
Der Luftzug von der halb offenstehenden Hausthür
hob die weißen Haare des alten Mannes, daß sie wirr
um den Kopf flogen, und trieb mit dem Licht sein
Spiel, als wolle er es auslöschen. Rasch schützte der
Alte mit der Rechten die Flamme. „Wart nur, wart
nur! 'Leicht erwartest den Geistlichen, um den wir
geschickt haben wegen der letzten Oelung. Nachher er-
hältst den Segen und kannst mitbeten für die arme
Seel'! Komm nur!"
In der Wohnstube drinnen stellte der Alte das
Licht auf den großen, viereckigen Eichentisch, nahm
dann einen Stuhl mit beiden Händen aus und trug
denselben zu dem mächtig großen, braunen Kachelofen
heran. „Da, sitz dich nieder," raunte er. „Wenn der
geistlich' Herr kommt, nachher wird eh' die Stuben
voller Nachbarsleut', die mitbeten wollen."
Da saß denn der Ferdl geraume zehn Minuten auf
dem Stuhl, hatte die Hände im Schoß gefaltet und
betete mit murmelnden Lippen für die Sterbende. Von
der Kammer nebenan drang halb unterdrücktes Schluchzen
herüber, das Röcheln der kämpfenden Brust der Sterben-
den und das schwere Atmen eines Mannes. Manch-
mal erklang auch die Stimme des alten Mannes tief-
bewegt und zugleich sanft zuredend: „Schau, Sephi,
gehab dich nicht gar so! Schau, unser Herrgott hat
s' halt lieber wie wir — mußt dir denken! Ist eine
gute Seel' von einem Leut' gewesen, eine brave Muatter;
die kommt ganz gewiß in den Himmel. Sie hat ihn
schon verdient mit ihrer Gutheit und Barmherzigkeit
— vergönn ihr ihn. Schau, dableiben darf halt keines,
unser Herrgott will auch was haben von uns!"
Der Ferdl stand plötzlich auf, er hielt es nicht
mehr aus da; in sein Gemüt war ein Bangen ge-
kommen — einmal kam ja auch für ihn die Zeit, wo
seine Blutter von ihm ging, seine liebe, gute Mutter!
Und das Bangen seines Herzens wurde so groß, so
mächtig, zu einer ihn aufjagenden Angst — er mußte
zur Mutter, mußte sehen, daß sie jetzt noch gesund
aussah. Leise, auf den Fußspitzen schlich er hinaus.
Beim „Löwen" empfing man ihn mit lauten Zu-
rufen, wo er denn so lange geblieben. Aber die meisten
erkannten doch gleich an seinem traurig schauenden
Gesicht, daß etwas Ernstes ihn ferngehalten. Er ging
auf den Bräutigam zu, der inmitten des Saales stand,
einen Arm um die Braut gelegt, bereit zum Tanze.
„Müßt mich schon g'raten heut," sagte er. „Ich
komm' von einer Sterbenden; da mag ich nimmer
tanzen heut und geh' lieber heim. So ein Zuschauen,
wenn eins stirbt, das nimmt einem alle Lustigkeit."
„Ja, ist 'leicht gar beim Oberleitner wer im Sterben?"
fragten einige, die gesehen hatten, wie die Sephi geholt
worden war.
„Freilich, die Bänrin selber. Der Schlag hat sie
getroffen." Und langsam wandte sich der Ferdl ab
und ging zu seinen Eltern hinein in die andre Stube,
brachte ihnen gleichfalls die trübe Nachricht und bat,
heimzufahren. Daß über des Buchenhofers Gesicht ein
merkliches Zucken lies und die Buchenhoferin völlig
blaß geworden war bei der Anhörung der Botschaft,
das bemerkte weder der Ferdl noch sonst ein andres
von den Gästen. Es hatte eben niemand acht auf die
beiden, da man von der schmerzlichen Kunde zu sehr
überrascht worden. Und der Ferdl, der hatte mit sich
selber zu schaffen.
11
Der nächste Tag war beinahe vergangen. Die
Buchenhoferin saß am Fenster in der Wohnstube und
mühte sich, trotz der Dämmerung, die sich schon herein-
schlich zu den kleinen Scheiben, noch recht schöne, kleine
Stiche zu machen an dem Flicken, den sie auf die
Achsel eines weißen Linnenhemdes setzte.
Der Bauer aber saß am Tisch und rechnete dabei
auf einer leeren Seite des Kalenders aus, wie viel der
Acker kosten würde, welchen sie demnächst vom Nachbar
Hubinger kaufen wollten, da das Grundstück diesem
seil war aus Geldnot. „Es macht sich schier, daß wir
genug haben mit die zweihundert Gulden, die wir im
Kasten drinnen liegen haben," sagte er zuletzt. „Wird
sich gerad' ergehen! Na ja, und bis wir wieder Geld
brauchen zu was anderm, derweilen fließt wieder wo
eins zu."
„Derweilen werden die zwei Kalbeln zum Ver-
kaufen," meinte die Franzi kurzhin und nähte eifrig
weiter.
Da stampfte eins vor der Thürschwelle draußen
den Schnee oder Schmutz von den Schuhen, und dann
kam Ferdl herein. Er trug seine Pelzmütze in der
Hand, seine Schneeflöckchen hingen noch daran, die nun
weit umher im Zimmer flogen, als er die Mütze nun
kräftig hin und her schwang. „So ein Wetter!" stieß
er hervor und blies die Tropfen von zergangenem
Schnee von seinen Schnurrbartspitzen, „'s Holz haben
wir hinaufgeräumt aus den Hüttenboden, die Bördeln,
die noch draußen gelegen sind, weil wir keinen Platz
gehabt haben früher. Ich und der Wastl haben zu-
sammengeholfen. Aber der Schnee fliegt, daß man
schier die Hand vor den Augen nicht sieht!"
„Bist dalket!" meinte die Buchenhoferin aufstehend
und ihre Arbeit zusammenlegend. „Muß es denn gerat)'
heut sein, das? Ist so lang gelegen, das Holz, ein
Tag mehr oder weniger, wär' alles eins gewesen."
„Na, morgen und übermorgen haben wir eine
andre Arbeit, Muatter!" Und die Mütze an die
Ofenstange hängend, hielt der Ferdl dann seine kalten
Hände gegen die warmen Kacheln. Nach einer Weile
fügte er hinzu: „Mei', wenn morgen auch so ein
Wetter ist, wenn die Oberleitnerin eingegraben wird!
Da gehen nicht viel mit. Na, mich hält 's Schneiden
nicht aus, ich geh' schon mit."
Der Buchenhofer hatte mittlerweile den Kalender
an die Wand gehängt und seine Pfeife, in der das
Feuer erloschen war, in eine Fensterecke gestellt; nun
kehrte er sich mit rascher, jäher Wendung herum, maß
den Sohn mit einem Blick heißen Zornes und sagte
schroff: „Na, du gehst nicht mit! Wir auf dem
Buchenhof haben mit den Oberleitnerleuten nichts zu
schaffen, heut nicht und gar nie. Merk dir's!"
Verwundert, da er nicht wußte, welcher Ursache
dieses schroffe Verbot entstammte, blickte der Ferdl
zuerst wortlos aus den Vater, bis er endlich in die
ungestümen Worte ausbrach: „Hast denn eine Feind-
schaft mit die Leut'? Und wennschon — ist ja eine
Leich', die ich aus ihrem letzten Weg begleit'; ins
Grab hinein giebt man doch niemand einen Haß mit."
Mit wuchtigen Schritten ging der Bauer in der
Stube hin und her, die Hände aus dem Rücken ge-
faltet. „Denk dir, wie du willst! Wenn ich sag',
daß du nicht mitgehst, ist's basta und Punktum! Ich
leid' keine Widerred', auf dem Buchenhof schaff' ich
und nicht du!"
Die Buchenhoferin kniete vor dem Ofen und legte
mächtige Scheite in die Glut. Langsam erhob sie sich
jetzt. „Na, mit der Leich' mag er M mitgehen," kam
es in sanft überredendem Ton von ihren Lippen.
„Einer Toten die letzte Ehr' geben, da soll man nie-
mand aufhalten. Und sie ist uns ja nie zuwider ge-
wesen, die Oberleitnerin, sie ist von jeher ein gutes
Leutl gewesen."
Der Bauer stand still, mit einem Ruck. Er war
seinem Weib zugewendet und sah von unten heraus
mit einem lauernden Blick in ihr Gesicht empor.
Seine Nasenflügel zitterten leise, und das Lauern im
Blick wurde während seiner Worte zu einem tückischen
Funkeln. „Meinst? Na ja, so gut hält, daß sie den
armen, verstoßenen Burschen an ihr Herz genommen
hat. Dasselb' ist eine Gutheit, ganz gewiß; ich muß
dir beistimmen. Ha ha, aber Wundern thut's mich
doch, daß gerad'du ihr dies zur Gutheit anrechnest!"
Er hatte in deutlichem Hohn gesprochen, und nun
sah er, wie in die blassen Wangen seines Weibes das
Blut stieg und dieselben mit dunkler Glut färbte.
Sie blieb lautlos, die Franzi, doch ihr Blick sprach
beredt für tausend Worte; der ganze ehrliche Stolz
ihrer Natur bäumte sich aus und leuchtete in ihren
Augen wie eine lodernde Flamme. Es war bei diesem
Schauen, als kämpften seine und ihre Augen einen
stummen Kampf, aber das Feuer in ihren Augen
dämpfte sich nicht, nur aus den seinen verschwand
allgemach das drohende, haßvolle Starren, aufslackernd
und ihre Gestalt unstet hinab- und hinausirrend, schauten
sie plötzlich wie scheu und bezwungen zu Boden; er
machte eine rasche Wendung, durchmaß noch einigemal
die Stube mit seinem schweren Schritt und fiel dann
auf einen beim Tisch stehenden Stuhl nieder.
Die Franzi aber hatte mit einem Fuß ein Scheit,
älteren Mann, der über die Schwelle des Tanzsaales
tritt und verstörten Gesichtes mit suchenden Augen
herumschaut. Sie macht sich heftig los. „Das ist der
Nazl von uns. Was will denn der?" stößt sie halb
im Schreck hervor und eilt vom Ferdl fort auf den
Mann zu. „Ha, Nazl, suchst'leicht mich? Ja, wie
schaust denn aus?"
Der alte Bursche legt seine schwielige Rechte auf
die runde Schulter des Dirndls. „Ja, Sepherl, mußt
halt nicht zu viel erschrecken! Ich bring' dir eine
böslete Botschaft. Heimgehen sollst halt und das
gleich. D' Muatter ist gäh krank geworden."
Starr sieht das Dirndl den Knecht an. „Mein Gott!"
kommt es -ganz leise über ihre Lippen; im nächsten
Augenblick hat sie den Tanzsaal verlassen, und während
der Knecht langsam, mit schwerem Schritt den Flur
entlang stapft, ist sie schon weit außer dem Hause.
Jedoch nicht allein. Der Ferdl hat die schlimme Bot-
schaft mit angehört und ist, als die Sephi davonlief,
derselben in aller Eile gefolgt. „Ich kann dich doch
nicht in der stockfinsteren Nacht mutterseelenallein Heim-
rennen lassen!" meint er, als er an ihrer Seite dahin-
hastet. „Daß dir was geschäh'!" und da sie keine
Silbe erwidert und nur ihr gepreßter Atem hörbar
wird, fängt er in herzlichem Bedauern aufs neue an:
„Gelt ja, dein Muatterl?! So was zu hören, das
mnß einem durch und durch gehen! Ich kann mir das
denken. Hast gewiß auch dein Muatterl recht gern?
Mein Gott, wenn ich mir vorstell', daß ich auch ein-
mal so eine Botschaft hören sollt', ich mein', ich könnt'
mein Herz nimmer ,derhabew vor lauter Wehthu!
Arm's Dirndl! Ja, wenn's doch bald wieder besser
würd'!"
„Gelt, hast auch deine Muatter gar so viel gern?"
fragte da die Sephi mit schmerzlich bewegter Stimme.
„Ah du, die meine — ich kann dir's nicht sagen, wie
gut als die ist!"
Der Ferdl sieht der Sephi ihr Gesicht nicht in der
fast gänzlich finsteren Nacht, aber es ist ihm, als wüßte
er's gewiß, daß Thränen über ihre Wangen lausen.
„Sephi, flenn nicht! Schau, 'leicht ist's gar nicht so
arg und dein Muatterl ist morgen schon wieder völlig
gesund. Ja, ja, ganz gewiß wird's so sein!"
Herzlich klingen die Worte an das Ohr des Mäd-
chens, es kommt schier ein wenig Beruhigung in ihr
verstörtes Gemüt, aber da die Rede kaum geendet, er-
klingt mit einemmal ein klagendes Läuten von dem
nahen Kirchturm — das Zügenglöcklein. Und die
Sephi stößt einen lauten Schreckensschrei aus und
jammert hellauf: „Mein Gott, sie geht's an, sie geht's
an!" Dabei geht es wie ein Krampf durch ihren
Körper, die Füße unter ihr erbeben heftig, dann fühlt
sie ein Mattwerden ihrer Glieder, einen dumpfen, be-
täubenden Schmerz vom Herzen zu ihrem Gehirn aus-
steigen, es dreht sich alles rund um sie, und ein tiefer,
schwerer Seufzer entflieht ihren Lippen.
„Mein Gott, Sepherl, was ist's denn?" schreit der
Ferdl mit einemmal auf, und gleich darauf: „Jetzt
ist's hingefallen, 's Dirndl! So was, so was, mein
Gott!" Er tastet mit den Händen suchend nach ihr,
die er zu Boden fallen gehört. Er greift auch schnell
den bewußtlosen Körper. Da nimmt er denselben
hastig in seine Arme, drückt den Kopf Sephis gegen
seine Schulter, hält die Last fest an die Brust gepreßt
und läuft damit davon. Er weiß den Weg gut genug
trotz der Finsternis, da man auf demselben zur Stadt
muß. Mit seinem jagenden Lauf hat er das Gehöfte
bald erreicht. Aber wie er über die Wiese quer hinüber-
eilt zum Hause, regt sich die Sephi in seinen Armen.
Gleich darauf hebt ein schwacher Seufzer ihre Brust.
Der Ferdl, der bereits vor dem Hause steht, läßt sie
zu Boden, hält sie aber mit einem Arme fest um-
schlossen, während er mit der freien Hand den Thür-
klopfer sucht, um 'jemand herbeizurufen, der die Thür
öffnet. Diese steht jedoch offen, wie er bald merkt,
und nun geleitet er die Sephi fürsorglich ins Haus.
Einmal stößt er in der Dunkelheit, da er den Haus-
flur nicht kennt, gegen irgend ein Gerät, welches
polternd umsällt. Das ist gehört worden, eine Thür
wird gleich darauf aufgerissen, und mit einem Licht in
der Hand kommt ein alter Mann heraus. „Sephi!"
ruft er, „bist es denn du, Sephi?"
Seine Augen, die die Helle gewohnt sind, vermögen
nicht sofort die Dunkelheit zu durchdringen. In das
Dirndl ist bei dem Rus Plötzlich Leben gekommen.
Es entzog sich den stützenden Armen des Begleiters
und wollte vorwärts hasten. Aber eine sonderbare
Schwäche in den Gliedern machte den Gang der Sephi
zu einem taumelnden, langsamen. Schluchzende Laute
entrangen sich dabei ihren Lippen: „Muatterl! Mei'
Muatterl!"
Der Alte stieß die Thür weit auf, welche hinter
ihm zugefallen war. „Geh nur, geh nur, Sepherl,
sonst siehst es nimmer!" murmelte er mit schmerzlich
zitternder Stimme, und dann sah er endlich den jungen
Burschen, der in der Mitte des Flurs stand und der
Sephi mit dem Blick folgte. Auf seinen Holzpantoffeln
schlurfte der Alte heran; der auf den Flursteinen aus-
Illustrirte Welt.
gestreute Sand knirschte laut. „Ja, wer ist denn das?"
Und da der alte Mann im selben Angenblick die
flimmernde, flirrende Guirlande erblickte, welche den
schwarzen, Weichen Filzhut des Burschen bekränzte,
sügte er, sich selbst die Frage beantwortend, hinzu:
„Aha, bist der Zubräut'ger von der Hochzeit! Bist
'leicht mit der Sepherl hergegangen, daß der arme
Hascher nicht allein gewesen ist?"
Der Ferdl nickte. „Mei', das Dirndl! Ganz weg
ist's, umgesallen ist's auf halbem Weg, und ich hab'
sie hertragen müssen. Wie steht's denn drinnen?
Liegt sie denn wirklich im Sterben, d' Bäurin?"
Trübselig schaute ihn der alte Mann an. „Ja,
ja, unser Herrgot hat s' lieber wie wir und will sie zu
ihm nehmen! Der Schlag hat sie getroffen, und vor
einer Stund' hat der Bader gesagt, es gab' keine
Hilf' mehr. Jetzt liegt sie schon in den letzten Zügen.
Mei', o mei', s°o ein gächer Todesfall, der jagt einem
ins Blut einen Schrecken, daß 's Herz schier nimmer
schlagen mag! Mei', o mei'!"
Und seufzend, stöhnend wandte sich der Alte um
und schlurfte der Stubenthür zu; nach wenigen Schritten
aber blieb er wieder stehen und fragte, ohne sich um-
zusehen: „Gehst'leicht gleich wieder zurück oder kommst
ein Wenig in die Stuben? Wie du willst!"
Unentschlossen, zögernd versetzte der Ferdl: „Möcht'
lieber ein wenig warten!" Es war ihm plötzlich, als
ginge die Sterbende ihn recht nahe an, als wäre sie
eine liebe Verwandte von ihm. Ins Wirtshaus mochte
er jetzt nicht zurück.
Der Luftzug von der halb offenstehenden Hausthür
hob die weißen Haare des alten Mannes, daß sie wirr
um den Kopf flogen, und trieb mit dem Licht sein
Spiel, als wolle er es auslöschen. Rasch schützte der
Alte mit der Rechten die Flamme. „Wart nur, wart
nur! 'Leicht erwartest den Geistlichen, um den wir
geschickt haben wegen der letzten Oelung. Nachher er-
hältst den Segen und kannst mitbeten für die arme
Seel'! Komm nur!"
In der Wohnstube drinnen stellte der Alte das
Licht auf den großen, viereckigen Eichentisch, nahm
dann einen Stuhl mit beiden Händen aus und trug
denselben zu dem mächtig großen, braunen Kachelofen
heran. „Da, sitz dich nieder," raunte er. „Wenn der
geistlich' Herr kommt, nachher wird eh' die Stuben
voller Nachbarsleut', die mitbeten wollen."
Da saß denn der Ferdl geraume zehn Minuten auf
dem Stuhl, hatte die Hände im Schoß gefaltet und
betete mit murmelnden Lippen für die Sterbende. Von
der Kammer nebenan drang halb unterdrücktes Schluchzen
herüber, das Röcheln der kämpfenden Brust der Sterben-
den und das schwere Atmen eines Mannes. Manch-
mal erklang auch die Stimme des alten Mannes tief-
bewegt und zugleich sanft zuredend: „Schau, Sephi,
gehab dich nicht gar so! Schau, unser Herrgott hat
s' halt lieber wie wir — mußt dir denken! Ist eine
gute Seel' von einem Leut' gewesen, eine brave Muatter;
die kommt ganz gewiß in den Himmel. Sie hat ihn
schon verdient mit ihrer Gutheit und Barmherzigkeit
— vergönn ihr ihn. Schau, dableiben darf halt keines,
unser Herrgott will auch was haben von uns!"
Der Ferdl stand plötzlich auf, er hielt es nicht
mehr aus da; in sein Gemüt war ein Bangen ge-
kommen — einmal kam ja auch für ihn die Zeit, wo
seine Blutter von ihm ging, seine liebe, gute Mutter!
Und das Bangen seines Herzens wurde so groß, so
mächtig, zu einer ihn aufjagenden Angst — er mußte
zur Mutter, mußte sehen, daß sie jetzt noch gesund
aussah. Leise, auf den Fußspitzen schlich er hinaus.
Beim „Löwen" empfing man ihn mit lauten Zu-
rufen, wo er denn so lange geblieben. Aber die meisten
erkannten doch gleich an seinem traurig schauenden
Gesicht, daß etwas Ernstes ihn ferngehalten. Er ging
auf den Bräutigam zu, der inmitten des Saales stand,
einen Arm um die Braut gelegt, bereit zum Tanze.
„Müßt mich schon g'raten heut," sagte er. „Ich
komm' von einer Sterbenden; da mag ich nimmer
tanzen heut und geh' lieber heim. So ein Zuschauen,
wenn eins stirbt, das nimmt einem alle Lustigkeit."
„Ja, ist 'leicht gar beim Oberleitner wer im Sterben?"
fragten einige, die gesehen hatten, wie die Sephi geholt
worden war.
„Freilich, die Bänrin selber. Der Schlag hat sie
getroffen." Und langsam wandte sich der Ferdl ab
und ging zu seinen Eltern hinein in die andre Stube,
brachte ihnen gleichfalls die trübe Nachricht und bat,
heimzufahren. Daß über des Buchenhofers Gesicht ein
merkliches Zucken lies und die Buchenhoferin völlig
blaß geworden war bei der Anhörung der Botschaft,
das bemerkte weder der Ferdl noch sonst ein andres
von den Gästen. Es hatte eben niemand acht auf die
beiden, da man von der schmerzlichen Kunde zu sehr
überrascht worden. Und der Ferdl, der hatte mit sich
selber zu schaffen.
11
Der nächste Tag war beinahe vergangen. Die
Buchenhoferin saß am Fenster in der Wohnstube und
mühte sich, trotz der Dämmerung, die sich schon herein-
schlich zu den kleinen Scheiben, noch recht schöne, kleine
Stiche zu machen an dem Flicken, den sie auf die
Achsel eines weißen Linnenhemdes setzte.
Der Bauer aber saß am Tisch und rechnete dabei
auf einer leeren Seite des Kalenders aus, wie viel der
Acker kosten würde, welchen sie demnächst vom Nachbar
Hubinger kaufen wollten, da das Grundstück diesem
seil war aus Geldnot. „Es macht sich schier, daß wir
genug haben mit die zweihundert Gulden, die wir im
Kasten drinnen liegen haben," sagte er zuletzt. „Wird
sich gerad' ergehen! Na ja, und bis wir wieder Geld
brauchen zu was anderm, derweilen fließt wieder wo
eins zu."
„Derweilen werden die zwei Kalbeln zum Ver-
kaufen," meinte die Franzi kurzhin und nähte eifrig
weiter.
Da stampfte eins vor der Thürschwelle draußen
den Schnee oder Schmutz von den Schuhen, und dann
kam Ferdl herein. Er trug seine Pelzmütze in der
Hand, seine Schneeflöckchen hingen noch daran, die nun
weit umher im Zimmer flogen, als er die Mütze nun
kräftig hin und her schwang. „So ein Wetter!" stieß
er hervor und blies die Tropfen von zergangenem
Schnee von seinen Schnurrbartspitzen, „'s Holz haben
wir hinaufgeräumt aus den Hüttenboden, die Bördeln,
die noch draußen gelegen sind, weil wir keinen Platz
gehabt haben früher. Ich und der Wastl haben zu-
sammengeholfen. Aber der Schnee fliegt, daß man
schier die Hand vor den Augen nicht sieht!"
„Bist dalket!" meinte die Buchenhoferin aufstehend
und ihre Arbeit zusammenlegend. „Muß es denn gerat)'
heut sein, das? Ist so lang gelegen, das Holz, ein
Tag mehr oder weniger, wär' alles eins gewesen."
„Na, morgen und übermorgen haben wir eine
andre Arbeit, Muatter!" Und die Mütze an die
Ofenstange hängend, hielt der Ferdl dann seine kalten
Hände gegen die warmen Kacheln. Nach einer Weile
fügte er hinzu: „Mei', wenn morgen auch so ein
Wetter ist, wenn die Oberleitnerin eingegraben wird!
Da gehen nicht viel mit. Na, mich hält 's Schneiden
nicht aus, ich geh' schon mit."
Der Buchenhofer hatte mittlerweile den Kalender
an die Wand gehängt und seine Pfeife, in der das
Feuer erloschen war, in eine Fensterecke gestellt; nun
kehrte er sich mit rascher, jäher Wendung herum, maß
den Sohn mit einem Blick heißen Zornes und sagte
schroff: „Na, du gehst nicht mit! Wir auf dem
Buchenhof haben mit den Oberleitnerleuten nichts zu
schaffen, heut nicht und gar nie. Merk dir's!"
Verwundert, da er nicht wußte, welcher Ursache
dieses schroffe Verbot entstammte, blickte der Ferdl
zuerst wortlos aus den Vater, bis er endlich in die
ungestümen Worte ausbrach: „Hast denn eine Feind-
schaft mit die Leut'? Und wennschon — ist ja eine
Leich', die ich aus ihrem letzten Weg begleit'; ins
Grab hinein giebt man doch niemand einen Haß mit."
Mit wuchtigen Schritten ging der Bauer in der
Stube hin und her, die Hände aus dem Rücken ge-
faltet. „Denk dir, wie du willst! Wenn ich sag',
daß du nicht mitgehst, ist's basta und Punktum! Ich
leid' keine Widerred', auf dem Buchenhof schaff' ich
und nicht du!"
Die Buchenhoferin kniete vor dem Ofen und legte
mächtige Scheite in die Glut. Langsam erhob sie sich
jetzt. „Na, mit der Leich' mag er M mitgehen," kam
es in sanft überredendem Ton von ihren Lippen.
„Einer Toten die letzte Ehr' geben, da soll man nie-
mand aufhalten. Und sie ist uns ja nie zuwider ge-
wesen, die Oberleitnerin, sie ist von jeher ein gutes
Leutl gewesen."
Der Bauer stand still, mit einem Ruck. Er war
seinem Weib zugewendet und sah von unten heraus
mit einem lauernden Blick in ihr Gesicht empor.
Seine Nasenflügel zitterten leise, und das Lauern im
Blick wurde während seiner Worte zu einem tückischen
Funkeln. „Meinst? Na ja, so gut hält, daß sie den
armen, verstoßenen Burschen an ihr Herz genommen
hat. Dasselb' ist eine Gutheit, ganz gewiß; ich muß
dir beistimmen. Ha ha, aber Wundern thut's mich
doch, daß gerad'du ihr dies zur Gutheit anrechnest!"
Er hatte in deutlichem Hohn gesprochen, und nun
sah er, wie in die blassen Wangen seines Weibes das
Blut stieg und dieselben mit dunkler Glut färbte.
Sie blieb lautlos, die Franzi, doch ihr Blick sprach
beredt für tausend Worte; der ganze ehrliche Stolz
ihrer Natur bäumte sich aus und leuchtete in ihren
Augen wie eine lodernde Flamme. Es war bei diesem
Schauen, als kämpften seine und ihre Augen einen
stummen Kampf, aber das Feuer in ihren Augen
dämpfte sich nicht, nur aus den seinen verschwand
allgemach das drohende, haßvolle Starren, aufslackernd
und ihre Gestalt unstet hinab- und hinausirrend, schauten
sie plötzlich wie scheu und bezwungen zu Boden; er
machte eine rasche Wendung, durchmaß noch einigemal
die Stube mit seinem schweren Schritt und fiel dann
auf einen beim Tisch stehenden Stuhl nieder.
Die Franzi aber hatte mit einem Fuß ein Scheit,