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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Luethgen, Eugen: Kunstgewerbe und Romantik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0211

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INNEN-DEKORATION

191

KUNSTGEWERBE UND ROMANTIK

Das heutige Kunstgewerbe scheint zu einem Teile nahe
der Übersättigung an überlieferten Formeinheiten.
Die Merkmale, durch die es seine Eigenart erhielt, haben
ihre künstlerische Ausdruckskraft eingebüßt. Was bis
vor Jahren das Ergebnis der Schöpferkraft eines Einzel-
nen, einer Persönlichkeit war, wurde Gemeingut aller,
verzettelt in den vielfachen Möglichkeiten einer kleinlichen
Formgewinnung, aufgesogen durch die alltäglichen Ge-
danken der großen Schar der Nachschaffenden.

Die Formen des jetzigen Kunstgewerbes beruhen im
Grunde noch immer auf rein gedanklichen Erwägungen.
Der bewußte Rückschlag gegen die aufreizende Uber-
ladung prunkvoller und zweckloser Schaustücke, wie sie
die Bewegung der neuen Renaissance seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts schuf, zeitigte die Einsicht, daß
allein glatte, schmucklose Formen den Zwecken der Ge-
brauchsgegenstände entsprächen. So kam es, daß die
neuen Formen aus den Bedürfnissen des täglichen Lebens
hervorwuchsen. Die Zweckgemäßheit und Stoffechtheit
rückten an die erste Stelle. An ihnen wurde der künst-
lerische Gehalt geprüft. Sie gaben den Maßstab des
künstlerischen Wertes.

Gegen diese Auffassung hat seit kurzer Zeit eine
Gegenbewegung eingesetzt. Wie vor Jahren das Leben
der Großstadt, wie der hastende rastlose Verkehr, die
schreienden Farben und Lichtwirkungen der Reklame,
auf dem unruhigen Hintergrunde der mit sinnlosen
Schmuckformen überwucherten Geschäfts- und Wohn-
häuser die optische Reizbarkeit des Auges bis zur Über-
müdung gesteigert hatte, so macht sich jetzt auch im
Kunstgewerbe eine entsprechende Regung geltend. Die
glatten Flächen der edeln Werkstoffe, die in ihren mannig-
fachen Farbzusammenstellungen in der Hauptsache far-
bige Wirkungen aufweisen, erscheinen dem Auge plötz-
lich einfach. Man sucht stärkere Lichtschattenwirkungen,
als sie die glatten Flächen geben können. Schmuckformen
aller Art treten an die Stellen, die für Aufbau und Glie-
derung keine durchgehende Bedeutung haben. So wer-
den entweder die aufbauenden Gerüstglieder des Gerätes

in den Einzelteilen, den Umrahmungen und Ecken heraus-
gehoben, oder im Falle eines reicheren Schmuckwillens,
die Mittelfelder der Füllungen durch plastische oder relief-
artige Verzierungen betont. Daß bei einem ausgeprägten
Schmuckbedürfnis eine Anzahl Künstler auf die Formen
zurückgriffen, bei denen der künstlerische Ausdruckswert
allein in dem Schmuck liegt, erklärt sich aus dieser Ent-
wicklung, daß aber die Arbeiten der 50 er und 60 er Jahre
vorbildlich werden sollten, ist immerhin überraschend.

Eine zweifach entgegengesetzte Kunstauffassung ist
erkennbar: die eine, der Zweck und Stoffgerechtigkeit
am wertvollsten dünkt, die andere, die der schöpferischen
Tätigkeit des Künstlers freien Spielraum zu gewähren
scheint. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich das
neue Kunstgewerbe unentschlossen hin und her. Eine
eigentlich persönliche Note, wie sie in der Frühzeit der
Bewegung Riemerschmid, Olbrich, Behrens,
Bruno Paul besassen, gibt es kaum. Trotzdem ist allent-
halben ein starkes Persönlichkeitswollen wirksam, das
sich bei Einzelnen zu einer bedeutenden Selbstsicherheit
gesteigert hat. Daraus erklärt sich, daß allzuhäufig ohne
jede Prüfung überlieferte Formen als eigene angewandt
werden, um auf Grund irgend welcher gedanklicher Über-
legung zu einem neuen Werke zusammengefügt zu wer-
den. In dieser Art des Kunstschaffens spricht sich ein
bedenklicher Mangel an eigener Gestaltungskraft aus.
Das Kunstgewerbe scheint in der Tat in eine Sackgasse
geraten zu sein, aus der ein Ausweg nicht möglich ist,
sofern man allein auf dem einmal anerkannten Grundsatze
der Formgewinnung beharrt. Daher kann es nicht seltsam
erscheinen, daß seit kurzer Zeit einige Künstler, die ihrer
Tätigkeit nach mit dem Kunstgewerbe in keinem Zusam-
menhange stehen, dennoch kunstgewerbliche Schöpfungen
versucht haben. So sah man auf der Sonderbund-Aus-
stellung in Köln 1912 kleine kunstgewerbliche Arbeiten
von E. Heckel, Schmidt-Rottluff, Kirchner, die
völlig aus dem Rahmen des bisher Üblichen herausfielen.
Dem freien Schöpferwillen des Künstlers, dem hier brei-
tester Raum gewährt wird, hat sich eine fast bedenkliche
 
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