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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 41.1930

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Michel, Wilhelm: Wiederkehr und Wechsel
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https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0419

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INNEN-DEKORATION

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WIEDERKEHR UND WECHSEL

Das Neue, das Unvermutete und Plötzliche
im kulturellen, geistigen, politischen Gesche-
hen um uns her ergötzt vornehmlich die Jugend.
Sie fühlt sich niemals mehr in ihrem Element, als
wenn neue, das Gewohnte umstürzende Wen-
dungen eintreten: weil die Jugend selbst auf die
Zukunft hin lebt, weil sie selbst sich nicht in dau-
ernden Zuständen befindet, weil die fortwährende
Wandlung ihr eigentlicher »Zustand« ist, deshalb
ist das Neue das ihr zugehörige Element. . . .

Beim befestigten Manne erwacht dagegen stark
der Sinn für das Dauernde. Er hat gesehen,
daß die Möglichkeiten des wirklich »Neuen« unter
der Sonne sehr viel eingeschränkter sind, als sich
das die Jugend denkt. Er hat gesehen, daß selbst
die Wandlungen ein Gesetz in sich haben. Wer
nur den ansteigenden Teil einer Wellenlinie über-
blickt, kann sich in der Illusion wiegen, dieses
Ansteigen gehe immer weiter oder es gehe zu
schroffen Abstürzen oder sonstigen Plötzlichkei-
ten über. Wer aber einen größeren Teil der
Wellenlinie überblickt, gewahrt mitten in den
Wandlungen das Moment der Wiederkehr. Es

ist gewiß nicht die »ewige Wiederkehr des Glei-
chen«, — aber auf lange Strecken hinaus gilt eben
doch — das sieht der Mann — die Form der
»Periode«, des dialektischen Fortschreitens, des
Wechsels zwischen Einatmung und Ausatmung,
Verschließung und Öffnung. . Goethe hat dieses
Mannesgefühl ausgedrückt in den Worten: »Alles
Behagen im Leben ist auf eine regelmäßige Wie-
derkehr der inneren und äußeren Dinge gegrün-
det. Der Wechsel von Tag und Nacht, der
Jahreszeiten, der Blüten und Früchte und was uns
sonst von Epoche entgegentritt, damit wir es
genießen können und sollen, diese sind die
eigentlichen Triebfedern des irdischen Lebens!«..
Es gilt bei diesem Worte zu beachten: Goethe
schreibt die lebengründende Bedeutung hier der
Wiederkehr zu, nicht etwa dem ununterbroche-
nen Bleiben und Beharren. Er betont die Not-
wendigkeit des rhythmischen Wechsels; nur eben
die Wiederkehr des Wechsels ist ihm das Be-
hagen stiftende Moment. Er weiß um die Unaus-
weichlichkeit der Wandlung; aber die Wandlung
selbst zeigt ihm ihr rhythmisches Gesetz, ihr
 
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