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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 45.1934

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"Herrschaftliches" Wohnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10796#0064

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INNEN-DEKORATION

CHEFZIMMER DER RECHTSANWALTS-KANZLEI

ZUGLEICH HERRENZIMMER - WOHNUNG DR. R.

HERRSCHAFTLICHES« WOHNEN

Die Flucht aus der großen Wohnung, wie sie als
Folge der wirtschaftlichen Lage epidemieartig
auftrat, hat in manchen vornehmen Wohnvierteln
unserer Großstädte einen merkwürdigen Straßen-
schmuck gezeitigt: die Schilder mit der Aufschrift
»Herrschaftliche Wohnung zu vermieten!« Recht
»herrschaftlich« sehen dann auch schon die Fassaden
der betreffenden Häuser aus: stolze Säulenportiken
rahmen sie ein, kariatyden-getragene Erker und Bal-
kons brüsten sich mit Pomp und entsprechender Stuk-
katur. Gebirge von Dächern häufen die nötige Wucht
obenauf. Und die Wohnung selbst: stolze Fluchten
großer Gemächer, überhoch, mit steil aufsteigenden
Fenstern, Gipsplafonds und geschnitzten Aufsätzen
über den Türen. Daß wenig Sonne hereinkommt -
denn wie oft liegen diese Fluchten gegen Norden, weil
dort die Straße, der Platz liegt, an denen man prunken
will - man merkt es kaum vor all der Innenpracht,
die gebieterisch nach geschnitzten Eichenmöbeln,
Portieren und anderem Gehänge verlangt. Um zur
Küche zu gelangen, hat man gewöhnlich eine kleine
Tagesreise zu absolvieren. Und in den Gängen brennt
ewig das Licht. Man stelle sich diese Art »herrschaft-

licher Wohnung« entsprechend »eingerichtet« vor, und
man begreift, wie es um dieses »herrschaftliche Woh-
nen« bestellt ist. Man fragt sich, ob es wirklich nur die
wirtschaftliche Notlage war, die den ehemaligen
Eigentümer zur Flucht aus dieser Pracht getrieben
hat. Ob in vielen Fällen nicht etwa der Ekel vor die-
sem tönenden Schwulst, der Überdruß an dieser Last
zur Wahl bequemerer Wohngelegenheit getrieben
haben. Denn »herrschaftlich« an diesen Wohnungen
war doch nur die Kulisse. Das Wohnen selbst war
sklavisch. Erdrückt vom falschen Anspruch dieser
Gemächer, von ihrer selbstgenügsamen, aber keines-
wegs dem Bewohner genügenden Zwecklosigkeit mag
mancher die Last von sich geschüttelt und weg in die
anspruchslosere »moderne« Wohnung übergesiedelt
sein. Und fühlte sich plötzlich Herr in seiner Behau-
sung, wo er früher vor lauter Repräsentationsauf-
wand, Mottenkrieg und Staubfängerei ein armer Die-
ner lebloser Dinge war.

Woran aber liegt es nun eigentlich, daß er sich in
der »modernen« Wohnung plötzlich als Herr fühlt?
Die Freiheit von allem toten Ballast, die Zweckdien-
lichkeit der Räume und ihrer Einrichtungen, die
 
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