Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 5.1904-1905

DOI Artikel:
Baumgarten, Fritz: Matthias Grünewald als Meister der Isenheimer Altargemälde, [2]: und in seiner Vorbildlichkeit für Arnold Böcklin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6480#0057

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Fritz Baumgarten : Matthias Grunewald als Meister der Isenheimer Altargemälde. 47

Und das bei Grünewald so bewunderte
Motiv des den ungeheuren Schmerz ver-
hüllenden und gerade dadurch ihn aus-
drükenden Schleiers ist sehr glücklich
und ausgiebig bei Maria verwendet. Zu
Grünewalds Realismus konnte sich Böck-
lin freilich auch jetzt nicht entschließen.
Etwas so ausgeprägt Individuelles läßt
sich bewundern, aber nicht ohne weiteres
übernehmen.

Vier Jahre später malte Böcklin seine
Kreuzabnahme. Auch hier gemahnt
allerhand an Grünewald. « Ganz schroff
wahr» ist die Leichenstarre bei Christus
wiedergegeben. Besonders aber wird
man bei den steif ausgespreizten Fingern
der Madonna dort links und bei den steif
ausgespreizten Fingern des noch am Kreuze
hängenden Schachers daran erinnert, daß
Böcklin gerade diesen Zug bei Grüne-
wald so «naturwahr» fand. Aber so
gut auch diese und andere Einzelheiten
gelungen sind, dem ganzen Bild fehlt ge-
rade das, was Grünewald so sicher be-
sitzt, die religiöse Weihe. Grünewald
war durch und durch eine religiöse
Natur, Böcklin ganz und gar nicht:
beiden fundamentale Verschiedenheit der
diese greift man hier ordentlich mit
Händen.

Endlich noch ein Blick auf Grüne-
walds Predellagemälde (Abb. i3), das
unter der Kreuzigung sich hinzog.

Dargestellt ist Christi Grablegung.
Des' Heilands schrecklich zerschundener,
in grünlichem Verwesungston gemalter
Leichnam hebt sich vom weißen Bahr-
tuch. Sein unschönes, entstelltes Antlitz
zeigt eine ergreifende, mit aller Unschön-
heit versöhnende Ergebenheit. Die Frauen
zeigen überzeugende Trauer. Maria, die
Augen vom Schleier gnädig verdeckt,
schaut schweigend in großartigem Schmerz
dem toten Sohn gerade in das Antlitz.
Ihre Hände sind gerungen, ganz wie
Grünewald das darzustellen liebte. Tränen
laufen ihr über die Wangen. Maria Mag-
dalena ist explosiver in ihrem Schmerz,
ihr Händeringen ist heftiger, ihr Mund
zum Aufschrei geöffnet — unvergeßlich.

Johannes Augen sind ganz vom Weinen
getrübt, seine Oberlippe geschwollen.

Merkwürdig ist an dem Bild, wie alle
Personen auf die rechte Hälfte zusammen-
gedrängt sind. Für eine Zeichnung, einen
Holzschnitt, einen Kupferstich wäre das
unerträglich. Aber Grünewald war Maler:
das Gleichgewicht im Bild, die Symmetrie
wird von ihm auf Farben gestellt, nicht
auf die Umrisse. Und er hat die linke
Bildhälfte mit einer so bedeutenden Land-
schaft gefüllt, hat den offenen Sarg so
kräftig ziegelrot gestrichen, daß diese Far-
benwerte denen auf der rechten Bildhälfte
wohl das Gleichgewicht halten. Diese
Landschaft ist wieder für Grünewald sehr
charakteristisch. Sie ist mit ganz wenigen
Mitteln gegeben. Wir sehen schön ge-
formte, blaugrüne Berge, zu deren Füßen
ein ebenes Tal, von einem tiefblauen Flusse
durchzogen. Ein Hauptmittel, um das Bild
in die Tiefe zurückgehen zu lassen, sind
die dunkeln Baumstämme vorne. Wie er-
innert auch das an Böcklin! Man sehe
doch nur diese Baumstämme an! Sie
sind schon unter der Krone abgeschnitten,
enthalten so eine starke Anweisung auf
Fortsetzung des Bildes in der Höhenrich-
tung. Hat das nicht Böcklin genau so
gemacht? Hat er es am Ende gar bei
Grünewald gelernt?

Sandrart nennt unseren Meister, wie
oben bemerkt, den deutschen Correggio.
Mit einigem Recht, wie wir sahen. Gleich
dem großen Italiener war auch Grünewald
ein Virtuos der Farbe, und war es mehr
als irgend ein anderer Deutscher vor Rem-
brandt. Auch in der Bewegung und
Gestikulation seiner Gestalten überraschten
uns wiederholt italienische Anklänge.
Aber wie groß ist doch auf der andern
Seite der Abstand von Correggio! Der
Italiener geht stets darauf aus, durch
Farbenschmelz die sinnliche, schöne Natur
noch sinnlicher, noch bestrickender zu
machen; er verzichtet nie auf Formen-
reiz, er steigert ihn noch, wo er kann.
Grünewald dagegen nutzt Licht und
Farbe, um die Sprache eines schroffen
Naturalismus noch eindringlicher zu ma-
 
Annotationen