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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1879

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Heft 1/2
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stand die Renaissance durchaus nicht in Gunst und Gnade: sie
freute sich sehr geringer Anerkennung von Seite der Architekten,
gar keiner aber von Seite der Industrie. Der Knnststil, wenn
man diese Manier so nennen kann, welche damals in den
Schöpfungen der Industrie grafsirte, mar das abgelebte Rococo
und neben ihm ein roher Naturalismus, der es nur auf ge-
dankenlose Kopirung der zufälligen Erscheinungsformen in der
Natur abgesehen hatte; lokal fand auch noch die antike weise
ihre Anhänger, aber mehr in der Architektur als in der In-
dustrie. wer, unzufrieden mit der Reizlosigkeit alles dessen,
was damals geschaffen wurde, wirklich künstlerische Ziele in den
Dingen des Geschmackes verfolgte, der wendete sich den Stil-
arten des Mittelalters zu, vor allen der Gotbik. Diejenigen
aber, die es thaten, waren doch mehr archäologische Gemüther,
die in gelehrter Befangenheit es weniger auf Schönheit als auf
Stilrichtigkeit abgesehen hatten; um die Erfüllung praktischer
oder moderner Bedürfnisse kümmerten sie sich aber wenig oder
gar nicht. Der Renaissance, die von den Anderen mit völlig
gleichgiltigen Augen betrachtet wurde, stellten sie sich sogar
feindlich gegenüber und datirten von Raphael an und mit Ra-
phael den verfall der Kunst. — Und heute trägt fast alles Gute,
das auf dein Gebiete der Kunstindustrie geschaffen wird, die
Formen der Renaissance. Das Rococo ist verschwunden, der
Naturalismus gedämpft, die Gothik in den tiefsten kiintergrund
gedrückt und wo sonst das Griechenthum seinen Sitz hatte, er-
tönt jetzt am lautesten das Wort Renaissance und betrachtet sie
bereits als den nationalen Stil der Zukunft, wir können wohl
fragen: wie ist das gekommen und ist das auch Alles so recht,
wie es geschieht? — wie das gekommen ist? Fast von selber,
muß man sagen, ganz unbeabsichtigter weise. Diejenigen, welche
die Bestrebungen für die Reform des Geschmackes begannen,
dachten zunächst nur daran, die Begriffe von allen diesen Dingen
zu reinigen, die falschen Vorstellungen und Meinungen, die da-
mals aller Drten herrschten, in ihrer Nichtigkeit und Verwerf-
lichkeit auszudecken. An die Ausstellung eines bestimmten histo-
rischen Stiles, der im Gegensätze gegen die anderen nun das
Ifeil bringen sollte und allein zu befolgen wäre, dachte Niemand.
Es handelte sich darum, Jedem sein Recht zukommen zu lassen,
die Dinge nach ihrer Art, nach ihrer Bestimmung, nach ihrem
Materiale gerecht und schön und gut zu machen, und da wir
sie ja doch einmal gebrauchen sollten, wir modernen Menschen
mit unseren modernen Bedürfnissen, zugleich auch zweckmäßig
und brauchbar. — Allein das läßt sich theoretisch sehr wohl sagen
und auch im Einzelnen mit sehr vieler Logik genau und über-
zeugend ausführen, man schafft damit aber keine Kunstformen.
Man braucht Vorbilder, welche diesen bestimmten theoretischen
und praktischen Bedingungen entsprechen oder annähernd ent-
sprechen, und wenn die Tradition, die vorhandene weise sie
nicht bietet, so bleibt nichts übrig, als sich in fernen Zeiten
und Ländern nach ihnen umzusehen. — Das that man denn auch
und fand, zwar nirgends in den gegenwärtigen Schöpfungen
der modernen europäischen Industrie, der europäischen Kultur-
staaten , wohl aber in der Vergangenheit und auch in fremden,
bisher gänzlich außer Beachtung gelassenen Ländern, vielfach die
Befriedigung dieser Bedingungen und zum Theile in wunder-
voll gelungener weise. So gelangte man zur Kenntniß und
zum Verständnisse der orientalischen Flächendekoration; so fand
man, daß die griechischen Gesässe unübertrefflich schöne und für
UNS vielfach verwendbare Formen bieten; so kam man zu der
Einsicht, daß gar viele Bedingungen vortrefflich bereits vom
Geräthe der Renaissance erfüllt seien. Die Renaissance steht am
Anfänge der modernen Zeit, viele Bedürfnisse, die wir heute
fühlen, waren schon damals erwacht und wurden von ihr künst-
lerisch befriedigt; ihre Sitten und Ideen sind den unsrigen die
nächsten und verwandtesten; von ihr aus, sie verlassend, hat sich
der moderne Geschmack verirrt — darin kann man mit den
Gothikern übereinstimmen, nur liegt sie selbst nicht bereits auf
dein Irrwege. Also weil man in der Renaissance fand, was

man suchte, oder wenigstens vielfach dasselbe fand, darum ist
man auf sie und ihre Formen wieder zurückgekommen. — Das ist
wohl etwas ganz Anderes als die Empfehlung der Renaissance
als des allein selig machenden Stiles der Gegenwart und der
Zukunft, wie man es mit der Gothik und der griechischen Kunst
gemacht hat. Unser weg ist nicht von der Renaissance aus-
gegangen, sondern hat zu ihr hingeführt. Er ist auch nicht der
einzige und ausschließliche weg und kann es nicht sein, da einer-
seits die moderne Kultur künstlerische Ausgaben stellt, welche die
Renaissance noch nicht kannte, also auch nicht lösen konnte, an-
derseits viele Aufgaben und andere Stilarten ebenso glücklich
oder glücklicher noch und in anderer, nicht minder entsprechender
weise erfüllt worden sind. Daher war es bei den neuen Werken,
welche die österreichische Kunstindustrie mit einigem Erfolge, wie
es scheint, geschaffen hat, niemals darauf abgesehen, Werke der
Renaissance zu schaffen oder irgend einen Kunstgegenstand in
ihrem reinsten Stile durchzuführen, wie es z. B. die Verehrer
des Mittelalters ä outnince versuchen. Die Absicht ging immer
nur darauf hinaus, die Gegenstände schön und gut, d. h. kunst-
gerecht und unseren Bedürfnissen angemessen zu schaffen, und
nur das gemeinsame und wirklich verwandte Stilgefühl ist es,
der Umstand, daß unsere Anforderungen, unsere Ideen von
Schönheit und Zweckmäßigkeit am meisten sich in den Formen
der Renaissance erfüllt zeigen, dieser Umstand ist es, welcher eben
die Renaissance für die heutige Kunstindustrie hat in den Vorder-
grund treten lassen. Ich sage: in den Vordergrund, denn sie
ist keineswegs ausschließlich geübt worden; sie hat, um nur das
Line zu erwähnen, z. B. der orientalischen Flächendekoration
einen höchst bedeutenden Spielraum überlassen müssen. — Nichts-
destoweniger läßt sich nicht in Abrede stellen, daß ihr Einfluß
fort und fort gewachsen ist und den der anderen Stile zurück-
gedrängt oder gänzlich aus dem Felde geschlagen hat. Selbst
in Frankreich hat sich die Stilart Lndwig's XIII. derjenigen von
Louis XVI. mehr als ebenbürtig an die Seite gestellt, obwohl
die Franzosen mit der Umkehr zu den strengeren, kunstgerechten
Formen der Renaissance ihre eigenste Eigenart, die Willkür,
verleugnen. Ans der Münchener Ausstellung im Jahre 1876
schien die Renaissance allein noch Giltigkeit zu haben: alles
Andere versank, aus deni künstlerischen Gesichtspunkte betrachtet,
vor ihr in nichts. — Der Eindruck war so, daß man in Deutsch-
land daraus den Schluß zog, die Renaissance sei der hoffnungs-
reiche und der einzige gemäße Stil für Gegenwart und Zukunft.
Statt nach „schön und gut" ries und ruft man nun aller Drten
nach der Renaissance. Man beruft sich dabei ausdrücklich auf
den Erfolg der österreichischen Arbeiten, vergißt aber oder über-
sieht vollständig, daß in Oesterreich die Renaissance gar nicht
in der Absicht lag und es bei keinem Stücke um sogenannte
Stilreinheit zu thun gewesen ist. Allerdings hat ein strenges
und wohlgeschultes künstlerisches Verständnis;, ein seines und
gebildetes Stilgefühl obgewaltet, welches den rechten weg ge-
leitet und vor allen Auswüchsen, willkürlichkeit und disharmo-
nischen Dingen bewahrt hat. Daher es denn auch gekommen
ist, daß die österreichischen Arbeiten einen so einheitlichen und
geschlossenen Lharakter trugen, obwohl sie weder einzig die Stil-
forinen der Renaissance zeigten, noch ihre Reinheit und Echtheit
beabsichtigt hatten. Sie wollten Griginale, freie, moderne
Schöpfungen sein und waren es auch in der Mehrzahl. — In
Deutschland ist man aber noch weiter gegangen. Man ist nicht
mehr bei der Renaissance in ihrer Allgemeinheit stehen geblieben,
sondern man erhebt den Ruf nach deutscher Renaissance in dem
Sinne, als handelte es sich darum, einen besonderen deutschen
Kunststil wieder zu schaffen. Man kann den Wunsch bei der
starken Anregung, welche das deutsche Nationalgefühl in den
letzten Jahren erfahren hat, begreiflich finden, aber man ver-
kennt vollkommen die Lage der Dinge und das Ziel der Auf-
gabe. — Man stützt sich auch hier wiederum auf den öster-
reichischen Vorgang. Man findet in den österreichischen Arbeiten
vorwiegend den Lharakter der italienischen Renaissance und
 
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