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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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bar gewinnt man vor diesem Bild einen guten
Standpunkt für die Würdigung seines Meisters;
aber es fehlt auch nicht an Rembrandtverehrern,
die der traditionellen Bewunderung gerade dieser
grossen Leinwand ferner stehen als der Verfasser.
Auch kann ich nur schwer das Peinliche des Ein-
drucks überwinden, den es macht, wenn eine
Schöpfung eines universellen Meisters bis auf die
zartesten und geheimsten Spuren künstlerischer
Ueberlegung zerfasert wird, um ein geeignetes
Demonstrationspräparat zu gewinnen. Lässt sich
durch gedruckte Worte derart bei dem Laien
wirklich erzeugen oder ersetzen, was dem Künstler
den grossen Vorsprung giebt, die Intuition?

Neumann will uns gewissermassen ein Hand-
buch rembrandtischer Aesrhctik geben und setzt
an jedem Werk des Meisters zu neuen De-
duktionen über allgemeine Fragen, wie Kompo-
sition, Farbengebung, Lichtführung, Portratauf-
fassung, Landschaft, Tonmalerei, Symbolik u. s. w.
ein. Ihm auf all diesen Pfaden kritisch zu folgen,
seinen Standpunkt darzulegen oder gar zu be-
kämpfen, würde ebenfalls ein Handbuch füllen.

Man empfindet es bei der Lektüre als ein wohl-
thätiges Nachlassen intellektuell sinnlicher lieber-
Spannung, wenn der Verfasser aus dem ästhetischen
Kurs und Exkurs wieder in die ruhige historische
Schilderuns einlenkt. Die breite kulturhistorische
Untermalung, dieerseinemRembrandtbildein dem
ersten Teil gegeben hat, verrät eine Meisterschaft
auf völkerpsychologischem Gebiet, die keinen
Augenblick Ermüdung bei dem Leser aufkommen
lässt, wengleich auch hier ähnlich wie bei Justi, der
altfränkisch drapierte, reich mit Anekdoten durch-
wirkte historische Mantel gelegentlich etwas nach-
schleppt und den Schritt hemmt: Ich nenne die
Abschnitte über die holländischen Frauen, das
Problem der holländischen Kultur, das religiöse
Leben in Holland. Unwillkürlich verlockt der
Autor auch die Kritik auf Seitenpfade. Hat Hol-
land wirklich den Absolutismus der Renaissance-
kultur gebrochen? War die holländische Malerei
des siebzehnten Jahrhunderts im Gegensatz zur
aristokratischen (?) Kunst der Renaissance Volks-
kunst? Darf man vollends Rembrandt als Träger
einer Entwicklung hinstellen, die aus dem natu-
ralistischen Volksinstinkt der Holländer hervor-
ging? Zweifellos war er ein naiver Egoist, für den
allein der eigene Genuss am künstlerischen Ge-
stalten bestimmend war, ein Lüstling, wenn man
will, sowohl in seiner Sammel- und Beobachtungs-
leidenschaft, seiner Freude am Experimentieren,
seiner schwelgerischen Augcnliebe für glcisscnde
Seidenstoffe, Metalle, funkelndes Edelgestein, seiner
Sucht, das menschliche Seelenleben mit all seinen
wunderlichen Unterströmungen zu durchdringen
und ans Licht der Kunst zu ziehen. Dieser Son-
derling und Eigcnbrödler hätte für den BetjrirF

Volkskunst wohl nur ein verächtliches Achsel-
zucken gehabt. Wer so, wie er, hingenommen
wurde von dem beglückenden Gefühl, Ungewöhn-
liches, Neues aus sich selbst schaffen zu können,
fand in seinem Herzen kaum Platz für den Schmerz,
etwa „den Zusammenhang mit der ganzen Fülle
und Kraft nationalen Lebens" zu verlieren; wie
ich mir denn auch Rembrandt, den auf seine
Erscheinung und seine Kunst so ekeln, durchaus
nicht stolz denken kann in dem Gefühl, sich bei
seinen Zeitgenossen und Landsleuten durchgesetzt
zu haben.

Doch das Halbdunkel der Triebe und Em-
pfindungen eines Genies wie Rembrandt wird sich
schwerlich je ganz lichten lassen. Mit den Ver-
suchen dazu könnte man sechs Bände vom Umfang
des neumannischen Buchs füllen, um am Ende ein-
zusehen, dass man Danaidenarbeit verrichtet. Und
das ist gut so. Denn mit dem Augenblick, wo
Rembrandt einem Jeden das Gleiche bedeutet,
wäre er erst ganz der Welt gestorben. Damit
will ich Neumanns Bemühen nicht herabsetzen,
der Rembrandts Thätigkeit im Spiegel von Ver-
gangenheit und Zukunft, vor allem aber auch mit
eigenen Intellekt zu erhellen sucht. Damit ist
freie Bahn geschaffen für neue Spekulationen und,
wenn Bodes Reproduktionswerk, von dem bis jetzt
sechs starke Bände vorliegen, abgeschlossen sein
wird, werden wir Deutschen stolz sein dürfen auf
den Anteil, den wir an der Ehrung des grössten
Malers im stammverwandten Holland durch Ver-
stand und Energie uns gesichert.

Hat, so darf die Schlussfrage billigcrweise nur
lauten, Neumann uns, seine Leser, zu seiner Art,
Rembrandt zu sehen und nach Sinn und Geist zu
erklären, ganz zu überreden vermocht? — Die
Kraft seines Wortes ist gross, Temperament und
Ueberzeugungstreue, sowie Folgerichtigkeit fehlen
der Darstellung nicht, die Sorgfalt, mit der der
Autor in rastloser Arbeit alle Fugen seines Aur-
baues gut und sauber verkittet, giebt das Gefühl
der Sicherheit. Dazu halten feine, lichtspendende
Beobachtungen und Schlussfolgerungcn die Auf-
merksamkeit ununterbrochen rege. Ja man darf
sagen, die Lektüre dieses Buches bereichert den
Menschen mehr noch als den Fachmann. Trotz alle-
dem wird sich vielleicht schliesslich Mancher gleich
mir nicht ganz frei fühlen von der Empfindung, als
sei er von einem sachkundigen gescheiten Manne um

Rembrandt herumgeführt, überall auf neue, zum
Teil überraschende Ansichten aufmerksam ge-
macht, da/u mit belehrenden Anregungen ver-
schiedenster Art bedacht worden, aber den rechten
Abstand, um mit Genuss die riesige Gesamt«
erscheinung zu überblicken und auf sich wirken
zu lassen, hat der Führer anzugeben vergessen-
War der doch viel zu verliebt in jede I in/clhcif,
die es ins rechte Licht zu rücken galt, als daSS tt

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