die dünnen Linien der kleinen Quadrate des bleibt er auch jetzt Italiener. Er zeigt es in
wiener Secessionsstils verwendet, lieber die seinem Verismus; er zeigt es in der sowohl
Renaissanceornamente unserer Neuerer waren etwas sentimentalen als auch zu Gewaltsam-
wir empört, die Monotonie des neuen keit und Massenwirkungen gedrängten Art,
Schmuckes ist aber ebenfalls unerträglich wie er Milletsche Eindrücke übersetzt. Er
und gern möchten wir sehen, dass die zeigt es in seiner Technik. Er zeigt es am
Uebersichtlichkeit des Textbildes gewahrt und klarsten in seiner letzten Epoche, nachdem
nicht nach einer Verbindung von Teilen ge- er PrärafTaclit geworden ist. Als er Watts
strebt werde, die sich für den Blick des Lesers und Burne-Jones in ihre englischen Gefilde
gerade trennen sollen. Doch dies ist nur ein hätte folgen können, ist es vielleicht am
Detail und wird bei der Beurteilung des glän- stärksten hervorgestreten, wie sehr Segantini
zenden Werks* nicht schwerer wiegen als es ein Italiener war.
verdient. Die dritte Wahrnehmung, die man an Segan-
Was uns auffällig an Segantini entgegen- tinis Persönlichkeit knüpfen kann, ist die, dass
tritt, möchte ich folgendermassen gruppieren, er an ein tizianisch langes Leben geglaubt
Er hat für die Kunst eine neue Provinz hatte, plötzlich mit einundvierzig Jahren abge-
entdeckt, das Hochgebirge. Wie es die Domäne rufen wurde und trotzdem seine Lebensarbeit
eines Mauve gewesen ist, in feuchten Niede- abgeschlossen hat. Die Natur hatte ihm drei
rungen Schafe zu malen, so war es Segantinis Epochen geschenkt: eineunsclbständigcjugcnd-
Domäne, dass er mit den Augen des Mo- zeit, eine zweite Periode, in derer an der Hand
dernen das Hochgebirge sah. Man verbindet grosser Meisterwerke die Selbständigkeit ent-
mit dem Namen Segantini die Vorstellung falten lernte, endlich eine dritte Epoche, in
von Gemälden, aus deren Hintergrund unter der eine Verfeinerung eintrat, die nicht die
einer krystallenen Luft eine zum Greifen Möglichkeit zu einer weiteren Entwicklung
plastische Bergkette entgegentritt, und selbst gewährte und man entgeht nicht dem Gedan-
wenn Segantini nicht einMaler ersten Ranges ken, dass, als Segantini plötzlich, dem allge-
gewesen sein sollte, so liegt in der Thatsache, meinen Zustand seiner Rüstigkeit entgegen,
dass mit ihm eine neue Seite der Darstellungs- starb, der Kreis der Werke, welche von ihm
geschiente der Kunst aurgeschlagen wurde, ausgehen konnten, vollendet war.
sein Anrecht auf den Ruhm. In der berliner Nationalgalcrie sind Werke
Sodann ist Segantini Italiener. Es ist wäh- aus seiner mittleren Zeit und nur eins aus dem
rend seines Lebens und auch noch zu sehr in Anfang der letzten Epoche des Künstlers. Sic
dem Buche, von dem diese Betrachtung aus- hat das „Gebet am Kreuz", ein Pastell, das
geht, bemerkt worden, dass Segantini gleich- in Verbindung mit Millet steht. Technisch
zeitig der beste moderne italienische Maler ist es interessant; es gehen überall orange-
und kein Italiener in der Malerei gewesen sei. farbene Fäden durch das grünliche Grau der
Demgegenüber scheint es mir wichtig, zu be- Striche hindurch. Am meisten bezeichnend
tonen, wie ausserordentlich stark auch der ist die eigentümliche Luft, wie es Überhaupt
Italiener in ihm zum Vorschein kommt. Zwar immer die Luft ist, an der man Segantinis
denkt Segantini stärker nach und ist ernster Bilder am leichtesten erkennt,
als die Mehrzahl seiner Stammesgenossen; ab- Dann hat die Nationalgalerie die „Wasser-
gesehen vonseinerSonderart wirken auch schon trägerin". Sic ist in einem blaugrauen 'I onc
frühzeitig nordische, mitteleuropäische Meister gehalten. In diesem Pastell, das ein Mädchen
auf ihn ein: er lernt in Nachbildungen Ar- zeigt, welches einen W.isseicimcr bei nächt-
beiten von J. F. Millet, Maris, Israels und licher Arbeit nahe einer Feueresse trägt, lieg!
Mauve kennen und empfängt Belehrung und trotz einer reinen Luft etwas nicht ganz zum
tiefgreifende Anregung durch sie. Dennoch Ausdruck Gelangtet, ein wenig mehr Ethik
* Irv Wien bei Martin Gerlacli & Co. erschienen. a'S IWalCICl.
48
wiener Secessionsstils verwendet, lieber die seinem Verismus; er zeigt es in der sowohl
Renaissanceornamente unserer Neuerer waren etwas sentimentalen als auch zu Gewaltsam-
wir empört, die Monotonie des neuen keit und Massenwirkungen gedrängten Art,
Schmuckes ist aber ebenfalls unerträglich wie er Milletsche Eindrücke übersetzt. Er
und gern möchten wir sehen, dass die zeigt es in seiner Technik. Er zeigt es am
Uebersichtlichkeit des Textbildes gewahrt und klarsten in seiner letzten Epoche, nachdem
nicht nach einer Verbindung von Teilen ge- er PrärafTaclit geworden ist. Als er Watts
strebt werde, die sich für den Blick des Lesers und Burne-Jones in ihre englischen Gefilde
gerade trennen sollen. Doch dies ist nur ein hätte folgen können, ist es vielleicht am
Detail und wird bei der Beurteilung des glän- stärksten hervorgestreten, wie sehr Segantini
zenden Werks* nicht schwerer wiegen als es ein Italiener war.
verdient. Die dritte Wahrnehmung, die man an Segan-
Was uns auffällig an Segantini entgegen- tinis Persönlichkeit knüpfen kann, ist die, dass
tritt, möchte ich folgendermassen gruppieren, er an ein tizianisch langes Leben geglaubt
Er hat für die Kunst eine neue Provinz hatte, plötzlich mit einundvierzig Jahren abge-
entdeckt, das Hochgebirge. Wie es die Domäne rufen wurde und trotzdem seine Lebensarbeit
eines Mauve gewesen ist, in feuchten Niede- abgeschlossen hat. Die Natur hatte ihm drei
rungen Schafe zu malen, so war es Segantinis Epochen geschenkt: eineunsclbständigcjugcnd-
Domäne, dass er mit den Augen des Mo- zeit, eine zweite Periode, in derer an der Hand
dernen das Hochgebirge sah. Man verbindet grosser Meisterwerke die Selbständigkeit ent-
mit dem Namen Segantini die Vorstellung falten lernte, endlich eine dritte Epoche, in
von Gemälden, aus deren Hintergrund unter der eine Verfeinerung eintrat, die nicht die
einer krystallenen Luft eine zum Greifen Möglichkeit zu einer weiteren Entwicklung
plastische Bergkette entgegentritt, und selbst gewährte und man entgeht nicht dem Gedan-
wenn Segantini nicht einMaler ersten Ranges ken, dass, als Segantini plötzlich, dem allge-
gewesen sein sollte, so liegt in der Thatsache, meinen Zustand seiner Rüstigkeit entgegen,
dass mit ihm eine neue Seite der Darstellungs- starb, der Kreis der Werke, welche von ihm
geschiente der Kunst aurgeschlagen wurde, ausgehen konnten, vollendet war.
sein Anrecht auf den Ruhm. In der berliner Nationalgalcrie sind Werke
Sodann ist Segantini Italiener. Es ist wäh- aus seiner mittleren Zeit und nur eins aus dem
rend seines Lebens und auch noch zu sehr in Anfang der letzten Epoche des Künstlers. Sic
dem Buche, von dem diese Betrachtung aus- hat das „Gebet am Kreuz", ein Pastell, das
geht, bemerkt worden, dass Segantini gleich- in Verbindung mit Millet steht. Technisch
zeitig der beste moderne italienische Maler ist es interessant; es gehen überall orange-
und kein Italiener in der Malerei gewesen sei. farbene Fäden durch das grünliche Grau der
Demgegenüber scheint es mir wichtig, zu be- Striche hindurch. Am meisten bezeichnend
tonen, wie ausserordentlich stark auch der ist die eigentümliche Luft, wie es Überhaupt
Italiener in ihm zum Vorschein kommt. Zwar immer die Luft ist, an der man Segantinis
denkt Segantini stärker nach und ist ernster Bilder am leichtesten erkennt,
als die Mehrzahl seiner Stammesgenossen; ab- Dann hat die Nationalgalerie die „Wasser-
gesehen vonseinerSonderart wirken auch schon trägerin". Sic ist in einem blaugrauen 'I onc
frühzeitig nordische, mitteleuropäische Meister gehalten. In diesem Pastell, das ein Mädchen
auf ihn ein: er lernt in Nachbildungen Ar- zeigt, welches einen W.isseicimcr bei nächt-
beiten von J. F. Millet, Maris, Israels und licher Arbeit nahe einer Feueresse trägt, lieg!
Mauve kennen und empfängt Belehrung und trotz einer reinen Luft etwas nicht ganz zum
tiefgreifende Anregung durch sie. Dennoch Ausdruck Gelangtet, ein wenig mehr Ethik
* Irv Wien bei Martin Gerlacli & Co. erschienen. a'S IWalCICl.
48