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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Chronik: Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0080

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angedeutet werden. Denn der Zweck dieser Zeilen
war nur, eine Impression von Klingers Beethoven
zu geben.

Seit die Arbeiten Wilhelm von Kaulbachs ihren
Triumphzug antraten (jetzt stellt man sich kaum
noch vor, wie sie bewundert wurden) haben wir
keinen derartigen Sturm des Enthusiasmus für
Werke der bildenden Kunst in Deutschland kennen
gelernt. Möglich, dass bei dem Beethovenstand-
bild ähnliche Gründe die Begeisterung mitbewirk-
ten. (Beim Beethovenstandbild fallen z. B. in
diese Kategorie alle an die Bildung Ansprüche
machenden Reliefdarstellungen an den Seiten des
Sessels.) Immerhin wird man unter allen Um-
ständen zugestehen, dass Klinger unendlich stär-
kere KunstbegrirFe hat als Kaulbach, ganz andere
Ansprüche an sich stellt und befriedigt als der
nur kalligraphisch wirkende Kaulbach, dass er zu
wirklichem Ausführen und Gestalten gelangt, ab-
gesehen davon, dass er ein Poet ist und ein tiefes
Fühlen für die Natur ihn anregt. Das Niveau des
ästhetischen Verstehens in Deutschland ist seit
der Zeit Kaulbachs um so viel besser geworden,
wie sich Klinger über Kaulbach erhebt und in dem
Enthusiasmus für Klinger ist bereits vieles, was
sich mit dem Gefühl für das Beste in der Kunst
bewährt. In diesem Sinne sehen wir in der Be-
geisterung für Klinger ein frohes Ereignis. Bei
dem ungeheuren Anteil, der durch den Beethoven

MAX KLINGER, FRIEDRICH NIETZSCHE
MIT GENEHMIGUNG VON E. A. SEEMANN, LEH'ZIG

erregt wird und den ausserordentlichen Meinungs-
unterschieden der Künstler, Kunstfreunde, Kunst-
gelehrten, gegenüber diesem Werk haben wir es
aber auch für richtig gehalten, die nachfolgende
Betrachtung eines fast unbedingten Anhängers
dieses Werkes zum Ausdruck zu bringen. Sie
giebt Zeugnis davon, welche Begeisterung jetzt
das Klingersche Werk erweckt; sie zeugt auch
davon, dass Fragen der Kunst durch das Klinger-
sche Werk und seinen Widerhall in einer unbe-
dingt erfreulichen Weise aufgerührt werden. H.

Klingers Beethoven

von
Harry Graf Kessler

Die Kunst, die nur Kunst sucht, — FArt pour
TArt, — soll, wie es scheint, bei Klingers Beethoven
nicht ihre Rechnung finden. So hört man wenig-
stens von der berliner Artistenschaft. Sie sieht
in ihm ein unverschmolzenes Koncdomerat von
Philosophie und Formfragmenten, nicht eine edle
Legierung von Material und Weltanschauung.

Diese Sachverständigen heften den Blick auf die
Art, wie Klinger hier konzipiert hat. Sie verur-
teilen das Resultat, weil der Ausgangspunkt ihnen
missfällt. Sie halten Klinger Rodins vor. Es fragt
sich aber, ob nicht gerade sie Rodin und den
Grundsatz ,FArt pour l'Art' verkennen, indem
sie die Konzeption zum Massstab für ihr Urteil
nehmen, nicht die Ausführung.

Der Unterschied von Rodin in der Art, zu
konzipieren, ist ja augenscheinlich. Rodin kon-
zipiert sinnlich. Klingers Konzeption beim Beet-
hoven war gedanklich.

Rodin sieht einen Marmorblock, erschaut in ihm
eine Form, die ihn reizt, arbeitet diese für sich
heraus, beginnt sie zu gliedern und verfeinern.
Dann ergeben sich Aehnlichkeiten. Gedanken-
verbindungen tauchen auf". Einzelne dieser ver-
dichten sich und werden vom Künstler als Hülfen
benutzt beim Weiterverfeinern der packenden
Form. Ein ähnlicher Gegenstand in der Natur ent-
scheidet z. B., welche von zwei gleich reizvollen
Weiterbildungen Rodin verfolgt. Die Schwester-
form in der Natur zeigt ihm dann Feinheiten, die
er allein nicht ersonnen hätte. Und die Verbin-
dung, in der die Form als wirkliches Ding mit der
Welt und seiner Weltanschauung steht, betont ihre
Einzelheiten in einer besonderen, geistigen Weise
und giebt dadurch dem Künstler neue Formen-
beziehungen und Möglichkeiten. So ereiessen sich
in das Werk die Wirklichkeit Und Rodins Welt-
anschauung. Beide aber sind doch für ihn beim
Schaffen nichts als Hilfen. Sein wirkliches Ziel
bleibt bis zuletzt Verfeinerung und Bereicherung
einer blossen Form, eines Ornamentes sozusagen,
das in dem Marmor enthalten war.

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