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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Neue Bilderbücher
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0222

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verbreiten, sodass bereits die Dienstboten in
der Küche über Jugendstil sich unterhalten.
Die kleinen Kinder sind einstweilen noch am
besten daran, denn sie verstehen die modernen
Bilderbücher garnicht und werfen sie einfach
in die Ecke, aber vielleicht wird man näch-
stens Vorträge über Stil in den Volkskinder-
gärten halten!

Kurz, es ist natürlich, dass wir uns aus
diesem Schwall heraussehnen und eine jede,
wenn auch noch so bescheidene, aber in sich
gesunde künstlerische Schöpfung, gleichviel
auf welchem Gebiet mit Freude begrüssen.

Das ist wohl der Grund, weshalb die kleinen
Bilderbücher von einer jungen Holländerin,
Nelly Bodenheim, eine so erquickende Wir-
kungausüben. Ihr Erstlingswerk: Handje Plak
(S. L. van Looy, Amsterdam) erschien Dezember
1901 und erregte gleich in dem kleinen
Holland allgemeines Aufsehen; es gefiel so
sehr, dass gleich im nächsten Jahr ein zweites
Büchlein: „Het regent — het zegent" und
kürzlich ein drittes: „Raadseltjes"folgen konnte.

Merkwürdig ist es, dass obgleich diese
Illustrationen der einfältigsten Ammenreime
meist in anspruchslosen kleinen Silhouetten
ohne jedes schmückende Beiwerk auf ge-
wöhnliches weisses Papier gedruckt sind, sie
doch auf jedes Kind, dessen Blick darauffällt,
sicherer und schlagender wirken, als die
schönen Bilder eines zielbewussten Künstlers
wie z. B. Walter Crane.

Man spricht soviel von Naivetät heutzutage,
aber gerade das Suchen
danach bewirkt doch
schliesslich das Gegen-
teil, und was diese junge
Künstlerin zur Bilder-
buchkunst so besonders
geeignet macht, ist eben
die schlichte Natürlich-
keit, die nichts weiter
anstrebt, als den Reim
dem Kinde verständlich
z" machen, ohne sich
dabei durch ästhetische
°der dekorative Anfor-
derungen leiten zulassen,

was sie übrigens auch nicht braucht, da ihr an-
geborener Geschmack sie nie verlässt. Man
denkt sich Fräulein Bodenheim im Gegensatz
zu der gewollten Naivetät von heutzutage nun
mal wirklich naiv und wie einKind empfindend.
Wenn sie einen Vers zu veranschaulichen hat,
der unserem deutschen: „backe, backe Kuchen"
oder „hier hast du 'nen Taler, kauf dir 'ne
Kuh", entspricht, so macht sie ihn deshalb so
sprechend, weil dieser uns als Unsinn erschei-
nende Text für sie einen Sinn hat, denjenigen
Sinn nämlich, in welchem die Reime im Volke
entstanden sind; sie singt dem Kindchen ein
Schlummerlied vor, oder sie klatscht in die
Hände und spielt mit ihm. Keine noch so
geringfügige kleine Anspielung erscheint ihr
zu unwichtig, um dargestellt zu werden und
gerade dieses Eingehen auf alles befriedigt
die Phantasie der Kleinen.

Es liegt etwas in der vor allem gemüt-
lichen Anschauungsweise des Fräulein Boden-
heim, das nur der Kinderstubenatmosphäre
eines biederen Hauses entstammen kann. Wenn
sie z. B. einen Herren darstellen will (etwa
in: „so reiten die Herren, so reiten die Damen")
dann muss sie sich schon in eine höhere
Sphäre versteigen, und der Herr steht dann in
seinem Cylinder so fein da, wie nur ein Kind
ihn sich voller Hochachtung träumen kann.
Diese glückliche Abwesenheit von Treib-
haus-Kultur ist ein Grund, weshalb nicht
nur Kinder sondern auch Erwachsene diese
Büchlein unmittelbar gemessen.

Dasselbe zeigt sich
in der Art ihres Hu-
mors, der so ergötzlich
ist, wie man ihn seit
der guten alten Zeit des
„Struwwelpeters" und
der „Sprechenden Tiere"
kaum mehr kennt. Die-
ser Humor scheint ganz
unabsichtlich und kann
im Vergleich etwa zu
dem immer klassisch
bleibenden Busch, kind-
lich, fast puppenhaft ge-
nannt werden.

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