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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0242

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starken Armen die Bevölkerung in zwei Hälften ge-
teilt. „Ein Lusthaus" ertönt es allenthalben und auch
der Gegenruf fehlt nicht. Bereits ist diese schwäbi-
sche Frage eine deutsche geworden, da die gesamte
deutsche Presse zu diesem hochinteressanten Pro-
blem, der vollständigen Rekonstruktion eines ver-
nichteten Baudenkmals, von dem nur Bruchstücke
erhalten sind, Stellung genommen hat. Und zwar
meist eine ablehnende. Darin sind ja Alle einig,
dass der Abbruch dieses schon teilweise zerstörten
Werkes im Jahre 1846 auf Befehl des „Ruinen-
hassers" Wilhelm I. ein nationales Unglück war und
dass mit dieser, Ende des 16. Jahrhunderts ent-
standenen, wundervollen Schöpfung des genialen
Michael Georg Beer die Perle der deutschen
Renaissance vernichtet wurde. Und dafür wird
heutzutage dieser zierliche Arkadenbau mit seinem
mächtigen Giebeldach, seinen vier runden Eck-
türmen und mit seinem herrlich geschmückten Saal
im ersten Stockwerk, der mit seinen ca 1100 qm.
seinesgleichen in Deutschland nicht hatte, wohl
allgemein gehalten. Von dieser Begeisterung aber,
welche durch die erhaltenen Bruchstücke sowohl,

als durch die trefflichen genauesten Aufnahmen
des Baus vonKarlBeisbarthstetsvonneuem genährt
wurde, bis zum Wiederaufbau, das ist ein Schritt
von so bedenklicher Tragweite, dass sehr viele
ihn nicht mitmachen wollen. Die Begeisterung wäre
auch lange noch so etwas wie eine platonische
Liebe geblieben, da brannte in der Nacht des
20. Januar 1902 das Hoftheater ab, dem bekannt-
lich seiner Zeit das Lusthaus hatte weichen müssen.
Und aus der Brandruine heraus schälten sich die
Überreste des Lusthauses, so zuerst die mächtigen
Mauern der Seitenfronten mit ihren ornamentalen
Verzierungen, und später ein ganz prächtiges
Bruchstück der Arkaden mit den Treppenauf-
gängen zu der Galerie. Sie wirkten denn auch
wie der bekannte Funken in dem Pulverfass, halb
Stuttgart explodierte und die andere Hälfte kommt
nun gesprungen, um das Wasser kühler Vernunft
auf die Begeisterungsflammen zu giessen.

Auf beiden Seiten stehen Namen von Klang
und Bedeutung. Was uns anbelangt, so halten
wir nach so vielfach gemachten Erfahrungen eine
derartige Rekonstruktion für eine höchst zweifel-

liEKTHE MORIZOT, MÄDCHENl'OUTRÄT

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