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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Veth, Jan: Pro Arte
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0257

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dem Meister näher brachte als ich fühlte, dass
ich ihm je gewesen, antwortete er: „Denke
das doch nicht, — er hat nichts von Rem-
brandts Bergen oder Thälern". Halt, dachte
ich, das ist ein breiter Pinselstrich, Rem-
brandts selber würdig.

Dasselbe kann bemerken, wer Breitner über
Courbet oder Manet, oder wer Jakob Maris
über van der Meer oder über Frans Hals oder
Delacroix gehört hat. Ihr Zeugnis ist so hoch
und so weise, weil sie aus ihrem königlichen
Blut selbst heraussprechen.

Unter Rembrandts Radierungen gibt es
einen ganz bekannten Druck, der doch viel-
leicht nicht immer in der Feinheit seines Aus-
drucks völlig verstanden wurde: die kleine
Christus-Predigt.

Der Heiland steht da mitten in dem Bilde
etwas erhöht mit einer sonderbaren Geberde
der Hände, seiner andächtigen Gemeinde das
Evangelium verkündend.

Links von ihm sieht man, Einen aus-
genommen, der mit übereinandergeschlagenen
Beinen und den lauernden Kopf superklug
auf der Hand gelehnt, voransitzt, all die
Männer mit geradeaufgehobenem Kopf: acht-
bare und unantastbare und hochgelehrte
Männer, von denen der eine mit Grazie den
Arm in die Seite stützt und der andere bedäch-
tiglich in seinem Bart herumkitzelt und Alle
scharfsinnig und sachkundig aber unbewegt
zuhorchen. Rechts von dem Meister ist eine
Gruppe von Männern und Frauen, die den

Kopf weniger hoch tragen. Ein altes elendes
Weib, in einer Ecke zusammen gekrochen, zwei
alte Kerle auf einer Bank, gebückt und vertieft,
ein Anderer, der begierig den Hals reckt, um
besser die Worte aufzufangen; ein Mütterchen,
das seine Kinder mitgebracht hat und be-
scheiden seine Pantoffel in der Ecke liess, und
noch ein Alter, der ganz sich selbst vergisst
in gierigem Lauschen. Und Christus selbst
wendet sich. . . nicht zu den Schriftgelehrten,
aber zu den von Kenntnis und Ansehen Ent-
erbten, welche in schlichter Ergriffenheit das
Wort in sich aufnehmen ohne sichtenden Vor-
behalt, in heissem Begehren. Solcher, scheint
er sagen zu wollen, ist mein Königreich. —
Und ich frage mich, — wenn Rembrandt
selbst einmal in unsere Mitte wiederkehren
könnte, würde er nicht ein wenig wie der
Christus seiner Schöpfung sein ? Denn wenn die
Kenner kämen, die seine Werke zu klassi-
fizieren wüssten, die seine Familienverhältnisse
kennten — besser als der grosse Weltverächter
selbst, die sich was daraus machten, all die
Kontrakte im Kopfe zu haben, welche der
Maler einmal versäumte einzuhalten, oder die
das Inventar aufzuzählen wüssten von den
Gegenständen, welche er weggeben musste, —
würde er nicht mit noch grösserem Miss-
mute, als es Rousseau bei seinem entfremdeten
Freunde that, sich von ihnen abwenden und
nach Wahlverwandten suchen, welche die
tiefe Einfachheit seines mächtigen Wortes
selbst unbefangen verstehen könnten?
 
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