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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Veth, Jan: Rheinreise, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0383

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ANSICHT DES KÖLNER DOMS VOK. 1842

wärme aufgeführt haben , — es hätte von
echterer Pietät und grösserer Selbsterkenntnis
unserer Generation gezeugt, anstatt dessen nun
dürre Wissenschaft gelehrter Architekten und
skandalöse Produktion kunstentehrender Kir-
chenfabriken aus dem unvollendeten Lob-
gesang ein passendes Legespiel gedrechselt
haben. Das Fatale in diesem blinden Eifer
war vielleicht weniger der Mangel an Glauben
als an unerforschlicher Macht, jenen Glauben
in göttlichen Orgeltönen herauszusingen. —
Zu welcher Profanation des wahrhaft Beseelten
führte das Durchsetzen jener Zuckerbäcker-
kunst, die, ohne zu vermuten, wie weit hier
alles über ihrem armseligen Verstand war, be-
zahlt wurde für Leimen, Füllen, Feilen und
Bekleben.

Würde denn jemand sich unterstehen die
liegenden Figuren an Michel Angelos Medi-
cäergrab weiter zu meisseln, jemand es sich in
den Kopf setzen die Aerzte von Rembrandts in

den Flammen angesengter Anatomie nach einer
übrig gebliebenen Skizze wieder um die Leiche
zu malen, jemand es wagen van Eycks Grisaille
der Heiligen Barbara in Farben auszuführen! Es
wäre ein Uebermut, der nur zu deutlich für
Frevelmut gelten könnte. Und doch wäre der
Versuch eines Einzelnen, sich so in den Schöp-
fergeist eines einzigen Grossen zu versenken,
wie undenkbar er auch sein mag, immer noch
weniger absurd als die Aufgabe einer zahlreichen
Schar, das ganze Können der unter vielerlei
Bildungseinflüssen, unter besonderen Rassen-
kreuzungen, unter dem eigenartig befruch-
tenden Einfluss von auf einander folgenden,
grossen Predigern in einer ekstatischen Gemüts-
religion und unter dem Einfluss einer hohen
architekturalen Volksentwicklung zu Stande
gekommenen kölnischen Bauhütten in einer
anderen Zeit wieder zu erobern. Oder sind die
breiten Wellen einer epischen Volkskunst, in
denen dasjenige, was wir jetzt Stil zu nennen

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