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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 2
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Henry van de Velde
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0062

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SPEISEZIMMER

merkwürdige Bethätigung innerhalb der architek-
tonischen Künste ist auf eine von der Zeit erregte
Leidenschaft für Synthese zurückzuführen. Dieser
Philosoph unter den Architekten spielt in der
Baukunst eine Rolle, die in manchem Zug an die
Stellung erinnert, die Nietzsche in der Literatur ein-
nimmt. Nicht dass die beiden Individualitäten im
einzelnen besondere Vergleichspunkte aufwiesen.
Aber wie man Nietzsche weder einen Dichter noch
einen Philosophen nennen kann, trotzdem er für
die Poesie und Philosophie viel bedeutet, wie er
nichts Absolutes hinterlassen und doch mächtigen
Einfluss auf die Absoluten jeder Art gewonnen hat,
so versteht auch van de Velde entscheidenden
Einfluss auf verschiedenartige Energien zu erlangen,
ohne es selbst innerhalb eines scharf begrenzten
Gebietes zur unangreifbaren Meisterschaft zu
bringen. Wie der Literat ein Universalist des
Weltgefühls war, schrankenlos aus Drang zu
neuer Synthese, so ist der Architektone ein Uni-
versalist innerhalb der engeren Grenzen, wohin
seine Begabung ihn gestellt hat und, aus diesem

Universalismus heraus, eine Grenznatur. Er ist
weder Maler noch Bildhauer, auch eigentlich
nicht Architekt und noch weniger ein zünftiger
Kunsthandwerker. Wo heute aber die Kunsthand-
werker, Architekten, Bildhauer und im gewissen
Sinne auch die Maler die Möglichkeiten ihrer Be-
rufe durchsprechen, ist sein Geist unsichtbar immer
unter ihnen. Er ist ein Brunnen, vielbenutzt und
fast immer dann verleugnet. Die Architekten nennen
ihn subjektivistisch und phantastisch und sprechen
ihm die Fähigkeit ab, den Raum zu meistern; die
Handwerker schelten ihn unpraktisch, schnörkel-
haft und glauben, ihn „überwunden" zu haben,
nachdem ihnen nichts mehr zu stehlen bleibt; die
Kautieute finden seine Arbeiten unverkäuflich und
erklären sie darum für „verrückt"; und die Kunst-
kenner sehen nirgend unzweifelhafte Beziehungen
zu verbürgten Traditionen, und vermissen feste
Grenzen und bequeme Handhaben für die Ver-
gleichsmöglichkeit. Trotz so allgemeinen Wider-
spruchs ist van de Veldes Name heute aber ein
Programm; in der geistigen Bewegung der Zeit

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