Kunstlebens empfindlich berührt, und so wird es zur
Pflicht, hier nochmals daraufhinzuweisen. Eine umfang-
reiche Thätigkeit, wie Kessler sie in Weimar geübt hat,
mit so wichtigen Folgen nach vielen Seiten durfte der
Grossherzog nicht zulassen, wenn er nicht entschlossen
war, seinen Museumsdirektor zu unterstützen. Denn mit
der Person des Organisator.s lässt er zur Hälfte auch die
Sache fallen.
Vielleicht finden sich im Grossherzogtum ein paar
aufrechte Landtagsabgeordnete, die vor dem Lande
Rechenschaft fordern, warum umständlich ein die Inter-
essen der Bevölkerung berührendes Unternehmen be-
gonnen worden ist, wenn es ohne sichtbaren Grund
wieder aufgegeben werden soll. Ein halbes Aufgeben
liegt schon in der Berufung des Direktors Kötschau.
Weitere Folgen werden sich bald zeigen.
Die Meldung, wonach Senat und Bürgerschaft Ham-
burgs bereits fest beschlossen haben, die abgebrannte
Grosse Michaeliskirche genau in der alten Form wieder
aufzubauen, ist nicht zutreffend; die über Hamburg
hinaus interessierende Frage was geschehen soll, wird
vielmehr noch in einer Kommission beraten. Dennoch
steht zu befürchten, dass dem Wunsche Folge geleistet
wird, dem der Kaiser in seinem Beileidstelegramme
Ausdruck gab. Genau wie auf dem Markusplatz in
Venedig wird man sich wohl an ein aussichtsloses Unter-
nehmen wagen. Herr Faulwasser hat an dieser Stelle
mit der Sachlichkeit des Fachmanns angedeutet, worin
praktisch die Schwierigkeiten einer Restauration be-
stehen. Neben seinen gewichtigen Gründen, lassen sich
auch moralische Bedenken geltend machen. Die Wieder-
herstellung wäre eine Lüge und Pietätlosigkeit. Wer
das herrliche alte Bauwerk am meisten liebte, muss sich
am heftigsten dagegen strauben. Es fällt einem Kants
Bemerkung ein, wonach das Entzücken am Nachtigallen-
sang sofort erlischt, wenn man erfährt, dass die Töne
mittels einer Vogelpfeife hervorgebracht werden. Vor
historischen Bauwerken wird nicht nur der mathematisch
messbare Wohlklang der Form genossen, sondern vor
allem auch die historische Stimmung. Wenn es wirklich
gelingen sollte, das Alte Form für Form herzustellen, so
wäre es doch nicht dasselbe. Es würde kommenden Ge-
schlechtern mit dem architektonischen Symbol ergehen
wie den drei Söhnen mit den unechten Ringen, die Vater-
schwachheit statt des echten hatte anfertigen lassen
und die geheime Kraft nun nicht offenbaren wollten.
Auf eine Rekonstruktion des Turmes sollte man auf
jeden Fall verzichten. Derartiger Wahrzeichen eines
bürgerlich religiösen Hochgefühls ist unser Geschlecht,
das nur Herr der Quantitäten, nicht der Qualitäten ist,
nicht meht fähig. Lassen sich die Umfassungsmauern
noch benutzen, so könnte es von hohem Reiz sein, mit
ihrer Hilfe eine protestantische Predigthalle zu schaffen,
wie sie modernen Bedürfnissen entspricht. Dazu würde
sich der Grundriss des alten Schiffes sogar gut eignen.
Es würde nicht darauf ankommen, die barocke Orna-
mentik genau wieder herzustellen, sondern darauf, die
Überreste des ehrwürdig Alten für ein Neues zu be-
nutzen, das uns gemäss ist. So haben es die Alten ge-
macht, wenn sie die Jahrhunderte an einem Gebäude
bauen Hessen; so entstehen historische Stimmungen. Es
giebt moderne amerikanische Sektenkirchen, worin so-
gar Zusammenkunftsräume für Radfahrervereine vor-
gesehen sind. Ein lebendiger sozialer Gedanke spricht
sich so aus. Eine Stadt wie Hamburg, die nach jeder
Richtung frei ist, könnte solche Ideen am ehesten auf-
nehmen. Es wäre schade, wenn wieder der tote Reprä-
sentationsgedanke stärker wäre als das Gefühl für Not-
wendigkeit. In der Beschränkung könnte sich eine ganze
Bevölkerung als Meister ihres Zeitschicksals erweisen.
Denn stark ist nur das Geschlecht, das das ehrwürdig
Alte zerbröckeln, das Grosse der Vergangenheit ein-
stürzen sehen kann, ohne dadurch zu verarmen; das
das Sterben ebenso ehrt wie das Leben.
•SS-
Nuancen entscheiden. Tuaillon ist als Bildhauer
hoffähig geworden. Hildebrand ist es nicht; Klinger
noch weniger. Dabei darf man nicht sagen, dass Tuaillon
schlechter wäre als Klinger; in wesentlichen Punkten
ist er sogar besser. Aber einmal macht er Pferde mit
vielem Ausdruck und starkem Stilgefühl. Das nimmt
die Militärs ohne weiteres ein. Ferner hat er, rein
künstlerischen Erwägungen folgend, Kaiser Friedrich in
Bremen als römischen Imperator dargestellt. Das hat
unseren Kaiser offenbar sehr befriedigt, wenn auch nicht
eben aus Gründen des Kunstgefühls. Endlich ist Tuaillon
als Sezessionist ein unsicherer Kantonist, was oben eben-
falls als ein Verdienst erscheinen muss. Die Folge ist,
dass der Kaiser nun einen Versuch mit ihm gemacht
hat. Freilich noch hinter der Front der Siegesallee, auf
dem einsamen Floraplatze.
Die dort aufgestellte Amazone ist ein sehr schönes
Werk. Es beherrscht das grüne Rondel in einer edlen,
monumentalen Weise und entlässt den Spaziergänger
mit einem kräftigen, nachhaltigen Eindruck. Um ein
weniges erscheint das bronzene Bildwerk zu gross für
den Platz; das ist der einzige zulässige Einwand. Am
kräftigsten wirkt das mit grossen Ornamentallinien um-
schriebene Leben der Gruppe von der Nordseite des
Platzes aus.
Aber wir haben hier ein altes Werk Tuaillons vor
uns. Besseres hat er nie wieder geschaffen. Es ist nötig,
ihm zuzurufen: mehr!
»5
Pflicht, hier nochmals daraufhinzuweisen. Eine umfang-
reiche Thätigkeit, wie Kessler sie in Weimar geübt hat,
mit so wichtigen Folgen nach vielen Seiten durfte der
Grossherzog nicht zulassen, wenn er nicht entschlossen
war, seinen Museumsdirektor zu unterstützen. Denn mit
der Person des Organisator.s lässt er zur Hälfte auch die
Sache fallen.
Vielleicht finden sich im Grossherzogtum ein paar
aufrechte Landtagsabgeordnete, die vor dem Lande
Rechenschaft fordern, warum umständlich ein die Inter-
essen der Bevölkerung berührendes Unternehmen be-
gonnen worden ist, wenn es ohne sichtbaren Grund
wieder aufgegeben werden soll. Ein halbes Aufgeben
liegt schon in der Berufung des Direktors Kötschau.
Weitere Folgen werden sich bald zeigen.
Die Meldung, wonach Senat und Bürgerschaft Ham-
burgs bereits fest beschlossen haben, die abgebrannte
Grosse Michaeliskirche genau in der alten Form wieder
aufzubauen, ist nicht zutreffend; die über Hamburg
hinaus interessierende Frage was geschehen soll, wird
vielmehr noch in einer Kommission beraten. Dennoch
steht zu befürchten, dass dem Wunsche Folge geleistet
wird, dem der Kaiser in seinem Beileidstelegramme
Ausdruck gab. Genau wie auf dem Markusplatz in
Venedig wird man sich wohl an ein aussichtsloses Unter-
nehmen wagen. Herr Faulwasser hat an dieser Stelle
mit der Sachlichkeit des Fachmanns angedeutet, worin
praktisch die Schwierigkeiten einer Restauration be-
stehen. Neben seinen gewichtigen Gründen, lassen sich
auch moralische Bedenken geltend machen. Die Wieder-
herstellung wäre eine Lüge und Pietätlosigkeit. Wer
das herrliche alte Bauwerk am meisten liebte, muss sich
am heftigsten dagegen strauben. Es fällt einem Kants
Bemerkung ein, wonach das Entzücken am Nachtigallen-
sang sofort erlischt, wenn man erfährt, dass die Töne
mittels einer Vogelpfeife hervorgebracht werden. Vor
historischen Bauwerken wird nicht nur der mathematisch
messbare Wohlklang der Form genossen, sondern vor
allem auch die historische Stimmung. Wenn es wirklich
gelingen sollte, das Alte Form für Form herzustellen, so
wäre es doch nicht dasselbe. Es würde kommenden Ge-
schlechtern mit dem architektonischen Symbol ergehen
wie den drei Söhnen mit den unechten Ringen, die Vater-
schwachheit statt des echten hatte anfertigen lassen
und die geheime Kraft nun nicht offenbaren wollten.
Auf eine Rekonstruktion des Turmes sollte man auf
jeden Fall verzichten. Derartiger Wahrzeichen eines
bürgerlich religiösen Hochgefühls ist unser Geschlecht,
das nur Herr der Quantitäten, nicht der Qualitäten ist,
nicht meht fähig. Lassen sich die Umfassungsmauern
noch benutzen, so könnte es von hohem Reiz sein, mit
ihrer Hilfe eine protestantische Predigthalle zu schaffen,
wie sie modernen Bedürfnissen entspricht. Dazu würde
sich der Grundriss des alten Schiffes sogar gut eignen.
Es würde nicht darauf ankommen, die barocke Orna-
mentik genau wieder herzustellen, sondern darauf, die
Überreste des ehrwürdig Alten für ein Neues zu be-
nutzen, das uns gemäss ist. So haben es die Alten ge-
macht, wenn sie die Jahrhunderte an einem Gebäude
bauen Hessen; so entstehen historische Stimmungen. Es
giebt moderne amerikanische Sektenkirchen, worin so-
gar Zusammenkunftsräume für Radfahrervereine vor-
gesehen sind. Ein lebendiger sozialer Gedanke spricht
sich so aus. Eine Stadt wie Hamburg, die nach jeder
Richtung frei ist, könnte solche Ideen am ehesten auf-
nehmen. Es wäre schade, wenn wieder der tote Reprä-
sentationsgedanke stärker wäre als das Gefühl für Not-
wendigkeit. In der Beschränkung könnte sich eine ganze
Bevölkerung als Meister ihres Zeitschicksals erweisen.
Denn stark ist nur das Geschlecht, das das ehrwürdig
Alte zerbröckeln, das Grosse der Vergangenheit ein-
stürzen sehen kann, ohne dadurch zu verarmen; das
das Sterben ebenso ehrt wie das Leben.
•SS-
Nuancen entscheiden. Tuaillon ist als Bildhauer
hoffähig geworden. Hildebrand ist es nicht; Klinger
noch weniger. Dabei darf man nicht sagen, dass Tuaillon
schlechter wäre als Klinger; in wesentlichen Punkten
ist er sogar besser. Aber einmal macht er Pferde mit
vielem Ausdruck und starkem Stilgefühl. Das nimmt
die Militärs ohne weiteres ein. Ferner hat er, rein
künstlerischen Erwägungen folgend, Kaiser Friedrich in
Bremen als römischen Imperator dargestellt. Das hat
unseren Kaiser offenbar sehr befriedigt, wenn auch nicht
eben aus Gründen des Kunstgefühls. Endlich ist Tuaillon
als Sezessionist ein unsicherer Kantonist, was oben eben-
falls als ein Verdienst erscheinen muss. Die Folge ist,
dass der Kaiser nun einen Versuch mit ihm gemacht
hat. Freilich noch hinter der Front der Siegesallee, auf
dem einsamen Floraplatze.
Die dort aufgestellte Amazone ist ein sehr schönes
Werk. Es beherrscht das grüne Rondel in einer edlen,
monumentalen Weise und entlässt den Spaziergänger
mit einem kräftigen, nachhaltigen Eindruck. Um ein
weniges erscheint das bronzene Bildwerk zu gross für
den Platz; das ist der einzige zulässige Einwand. Am
kräftigsten wirkt das mit grossen Ornamentallinien um-
schriebene Leben der Gruppe von der Nordseite des
Platzes aus.
Aber wir haben hier ein altes Werk Tuaillons vor
uns. Besseres hat er nie wieder geschaffen. Es ist nötig,
ihm zuzurufen: mehr!
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