Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Das junge Deutschland
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0121

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
E. R. WEISS, STILLEBEN

Verstand die Berührungspunk te dieser determinierten
Kunst mit dem Leben, ihr Verhältnis zur Idee der
Gesetzmässigkeit und ihren Bezug zum Sozialen zu
ermessen, so wird man eines Tages wahrnehmen,
dass das unbefangene Interesse an den Kunstwerken
unter den vielen zu Ende gedachten Gedanken ge-
litten hat. Durch allzu eifrige Teilnahme sieht man
sich in einen Zustand halber Interessenlosigkeit ver-
setzt. Und welche Bitternis liegt nicht in der Er-
kenntnis, dass gerade die Anstrengungen, die den
Genuss reiner, tiefer und bleibender machen sollten,
ihn nun zu vernichten drohen! Es kommen wohl
Augenblicke, wo man die Klugen beneidet, die
scheu vor den Pforten, dahinter die grübelnden
Gedanken wohnen, Halt machen und verstohlen
nur an den Thüren horchen. Der Wille hat über
die Qual dieser inneren Erkältung keine Macht;
und keine Selbstbezichtigung, kein Selbstvorwurf
hilft, weil man eine gründliche Erkenntnisarbeit
nichtungethan wünschen kann. In solcher Stimmung
will es dann scheinen, als wäre dem abgezogenen
Gedanken nur das Höchste noch gemäss und als

hätte man darum nicht das Recht mehr, über die
Kunst Lebender zu urteilen.

Da führt der Zufall vor ein paar Bilder alter
Holländer. Keine von den Grossen. Adriaen van
de Velde, Pieter de Hoogh oder Terborch etwa.
Und gleich schmilzt die Gedankenkälte vor der
Wärme schlichter Empfindung, die sich dort, im
goldenen Zirkel der schönen Form gefangen, über
die Jahrhunderte hinweg lebendig und jung erhält.
Das Lebensgefühl drängt die Reflexion zurück und
beginnt sich wonnig zu dehnen, wie ein Kätzchen in
der Sonne. Oder es greift die Hand, wenn solche
Stimmung der Empfindungslosigkeit sich meldet,
zu den Büchern geliebter Poeten. Nicht zu den
Werken der Heroen oder der klugen Lebensdeuter
nur, sondern auch zu den anspruchslosen Bänden,
worin der grüne Heinrich von seiner Jugend erzählt,
Jeremias Gotthelf und Reuter ein begrenztes Milieu
zeichnen, Mörike die Wonnen heimlicher Enge
besingt oder Otto Ludwig über die Welt der kleinen
Leute meditiert. Wie oft sind doch die zu Ende ge-
dachten Gedanken über die nicht eben hohen Begrifls-

106
 
Annotationen