Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Müller-Kaboth, Konrad: Ein Kavaliermaler
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0157

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
FERD. RAYSKI, BALZENDER BIRKHAHN

Das Resümee der Rayskischen Produktion rindet
uns demnach liberal gestimmt, wenn nach dem
Mass der rein persönlichen Leistung Vorzug und
Schwäche gegeneinander abgewogen werden. Wir
entschuldigen alles und müssen es, weil einfach
nichts bleibt, was nicht im Oeuvre an anderer Statt
eine fast überschwängliche Entschädigung fände.
Und doch: im Sinne einer kulturellen Ökonomie
bleibt eines unentschuldbar: der Indifferentismus
Rayskis gegen sein Talent. Er war der Mann, sich
an grossen Traditionen zu bereichern nnd nicht
bloss zufallsweise herrliche Fragmente eines genialen
Enthusiasmusherauszuschleudern, sondern mit weiser
Meisterschaft ein kostbares Erbe aufzuhäufen, von
dem Generationen hätten zehren können. Wäre er
Berufsmaler gewesen, er wäre die beherrschendste
Gestalt der deutschen Kunstgeschichte des ip. Jahr-
hunderts geworden, Cornelius, Kaulbach und Ma-
kart wären an der Gediegenheit seines Ruhmes zer-
schellt. Die heterogensten Interessen wären durch

sein Wirken gefördert worden, wenn
sie nur in einem Betracht mit reinen
Mitteln der Kunst dienten; denn das
grosse Talent ist kraft seines Reich-
tums auch gut. Leibi und Feuerbach
brauchten nicht zu vereinsamen, die
Moderne könnte ihren Weg gehen,
ohne der Französelei beschuldigt zu
werden, der ganze faule Krimskrams
romantischer Schwächlichkeiten wä-
re zur rechten Zeit abgeschüttelt;
denn das Geschick hatte ihn zur
rechten Zeit geboren, und von An-
fang an wäre eine Kultur der Gesund-
heit wirkend gewesen, eine Kultur
der anständigen Diskretion, eines
freien und frohmütigen Menschen-
tums.

Aber ihm gefiel es, mit seinem
Talent zu spielen; mangelnder Ernst,
mangelnde Bewusstheit der mora-
lischen Garantien, die er seinem Ta-
lent gegenüber eingegangen, ver-
sagten ihm die Disziplin. Und so
stehen wir wieder einmal vor dem
Schicksal aller deutschen Geschichts-
schreibung: dass wir vor glänzen-
den Hoffnungen eine unerfüllte
Zukunft beklagen. Das Schicksal
ist zu typisch, als dass wir ohne
Scham auch nur ein Wort ver-
lieren könnten, und wir müssen immerhin dank-
bar erkennen, dass einen Dilettantismus von so
hohen Vorzügen uns kein Land nachzumachen
versteht. Aber in deutschen Ästhetiken taucht
mit hartnäckiger Periodizität der Gedanke auf,
dass ein eigenbrödlerisches Drauflosschustern ohne
Sinn und Zweck als den des allerprivatesten Ver-
gnügens das Zeichen des Genies und vornehm-
lich des germanischen Genies sei. Man kann
gegen die Diskretion eines solchen Genievergnügens
nichts haben, wenn seine Resultate, nutzbar ge-
macht, Verwirrung stiften. Wenn aber, wie bei
Rayski, Art und Grösse des Talentes derart den
geheimen Bedürfnissen der Zeit entsprechen, dass
von seinem Eingreifen Sein oder Nichtsein einer
eben beginnenden Kunstprofanation abhängt, und
wenn die Mission dennoch versäumt wird, dann
hätte sich die deutsche Kunst für ihre Genies be-
danken sollen. Mit ein paar kleinen, aber stramm
disziplinierten Talenten wäre sie heute weiter.
 
Annotationen