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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 4
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Moore, George: Erinnerungen an die Impressionisten, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0159

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„Im Grunde gefällt mir die Birne besser als der
Jupiter", sagte ich zu Degas.

Und Degas erwiderte: „Ich habe sie dahin ge-
hängt, weil eine Birne, die so gemalt ist, jeden
Gott umschmeisst."

Sargent, der auf all seinen Bilderrt ein künst-
liches Leben der Oberfläche giebt, Sargent mit
seinen eleganten Toiletten und seinen lebhaften
Salonschönen bezeichnete Degas als den ,chef de
rayon de la peinture*. Der Abteilungschef, das ist
der junge Mann hinterm Ladentisch, der also
spricht: „Gnädige Frau, mauve steht Ihrem Fräulein
Tochter ausgezeichnet. Das gnädige Fräulein hat
mindestens zehn Meter nötig. Wenn gnädiges
Fräulein sich heraufbemühn wollen, werde ich
gnädigem Fräulein Mass nehmen."

„Jeder" — sagte Degas einmal zu mir — „kann
mit fünfundzwanzig Jahren Talent haben; worauf
es ankommt, ist mit fünfzig Talent zu haben."

Wir alle bewunderten die Kartoffelernte von
Bastien Lepage, bis Degas sagte: „Ein Bouguereau
der neuen Richtung." Da begriff jeder, dass Bastien
Lepages Begabung nicht originell sei, sondern aus
zweiter Hand stamme.

Als Roll, ebenfalls ein Maler dieser Zeit, sein
ungeheures Bild „Arbeit" ausstellte, auf dem fünfzig
Figuren zu sehen sind, sagte Degas: „Man stellt
eine Menge nicht mit fünfzig Figuren dar, man
stellt eine Menge mit fünf Figuren dar."

Doch was bedeutet all dieser Intellekt neben
dem drallen weissen Arm, auf dessen Form kein
Schatten fällt?

Monet und Sisley, beide Landschaftsmaler, ver-
kehrten nur mit langen Zwischenräumen im Neuen
Athen. Sie pflegten plötzlich von ihrem Land-
aufenthalt zurückzukommen und brachten dann
zwanzig oder dreissig Bilder mit, alle untadelig
vollendet, alles Meisterwerke. Die Technik ist bei
beiden die gleiche; dem Stil nach sind ihre Bilder
kaum zu unterscheiden, es wäre jedoch schwer,
sie zu verwechseln. Monet ist äusserlicher, bei
Sisley ist etwas mehr Träumerei zu finden, seine
Malerei ist ein wenig menschlicher. Und wenn
Sisley auch die hohe Stufe der Vollkommenheit
nicht so bewahrt hat wie Monet: in Sisleys Bildern
ist eine Zartheit, nach der wir uns bei irgend einem
andern Maler vergeblich umschauen.

Ich erinnere mich zweier Winterlandschaften
von Sisley, beide gleichmässig schön, aber die eine
schwebt mir deutlicher vor als die andre, nicht
weil sie schöner war, sondern weil sich keiner an

zwei Dinge gleichmässig erinnert. Die Szenerie
war so zufällig wie möglich gewählt. Die mir
ganz klar vor Äugen steht, stellte nur die kahle
Wand einer Hütte dar, einen gefrorenen Weiher
und auf der andern Seite des Weihers einige Pappeln
— das nebst den dazu gehörigen Schatten war das
Bild. Die Feinheit, mit der das Auge diese Bäume
gegen den Winterhimmel stehen und ihre hell-
violetten, durchsichtigen Schatten über den ge-
frorenen Boden bis zum Rande des Teichs gleiten
sah, lässt sich nur mit der Feinheit vergleichen,
als das Ohr zum ersten Male die Klangkombina-
tionen des Waldwebens im „Siegfried" vernahm.
Der Vergleich mag dunkel und schwach sein: ich
finde heute keinen besseren. Das andre Bild ist mir
nicht so deutlich gegenwärtig, aber damals — das
weiss ich noch — war ich im Unklaren, welches
Bild mir besser gefiel.

Und nun bekenne ich, ohne dass ich den Wunsch
hätte, die Kunst Constables und Turners herab-
zusetzen, sondern von dem Gedanken beherrscht,
nur meine persönliche Empfindung zu äussern:
zwischen Sisley und Constable zu schwanken, das
wäre ebenso, als wolle man zwischen französischem
Wein und englischem Bier schwanken. Beide sind
gut, aber die Zartheit dieser violetten Schatten, die
über den gefrorenen Boden gleiten, weilt im Ge-
dächtnis wie die Erinnerung an eine wunderbare
Flasche Sauterne. Doch durch das Geständnis, dass
ich Sisley jedem englischen Landschaftsmaler vor-
ziehe, setze ich die britische Kunst nicht herab.
Sisley war ein Engländer, so französisch seine Kunst
auch sein mag; und wer alle persönlichen Eigen-
schaften auf den Einfluss der Rasse zurückzuführen
liebt, der kann, wenn er will, Sisleys köstliche
Träumerei, die seine Bilder von denen Monets
unterscheidet, auf sein englisches Blut zurückführen.

Mit der Originalität dieser beiden Maler, mit
der Originalität der Impressionisten-Schule über-
haupt kann man sich nicht oft und nicht lange
genug befassen. Plötzlich erstand in Frankreich
eine Kunst, von jeder andern Kunst verschieden,
die die Welt bis dahin erlebt, und kein Land, nicht
einmal Frankreich, ist auf so überraschende Neue-
rungen wie die Bilder Monets und Sisleys gefasst.
Monet vornehmlich musste seine geniale Begabung
teuer bezahlen: er verhungerte fast. Zu Zeiten
konnte er nicht mehr als hundert Frank für ein
Bild erzielen, sehr oft konnte er sie gar nicht los-
schlagen und hatte nichts zu essen. Er fing damit
an, Manet nachzuahmen, und Manet hörte damit

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