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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 5
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0229

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Zensur zu erteilen. Aber uns kann die Lehre nützen.
Diese verzweifelte Modernität wird in manchem Punkt
zum vergrössernden Spiegel unserer eigenen Schwächen.

Zum Spiegel auch solcher Schwächen, wie sie sich
wieder in den Bildern der Worpsweder zeigen, die bei
Gurlitt zu sehen waren. Diese Maler beweisen in ihren
Unzulänglichkeiten eine seltene Einmütigkeit; die
Fehler treten bei ihnen familienhaft auf. Man könnte
die ganze Gruppe, frei nach Gottfried Keller, als vom
Stamme Zwiehans bezeichnen, als Dualisten, die, dem
traurigen Albertus ähnlich, zwischen zwei Idealen
schwanken und beide dabei verlieren. Einerseits be-
rührt sich ihre Land Schaftskunst mit der Haiders oder
des späten Thoma; andererseits möchten sie es den
Impressionisten gleich thun. Sie alle sind mehr oder
weniger philisterhaft, sind nicht wegen einer bedeuten-
den Eigenart aufs Land geflohen, sondern aus behag-
lichem Ruhebedürfnis.

Vor den Bildern von Modersohn glaubt man den
bekannten fatalen Blick zu sehen, womit Maler über-
legen die Natur auf ihre Brauchbarkeit hin mustern.
Seine Valeurs sind nur ungefähr richtig, sind nicht ge-
fühlt, nicht sorgfältig gesehen und nicht rein gemischt;
darum ist in seinen Bildern niemals die Atmosphäre des
unmittelbaren Lebens. Bei Vogeler ist der ursprünglich
echte Affekt aus Mangel an Vertiefung zu einer unschul-
digen, aber doch verstimmenden Affektation geworden,
zu einer gezierten Herzlichkeit, die sich des Bieder-
meierrockes bedient. In seinen Bildern ist eine selt-
same, nicht durchaus unsympathische Geckerei. Ein
Salonworpsweder. Der reifste und gewissenhafteste
unter den Kolonisten ist Mackensen. Aber er er-
schöpft sein Talent in unmöglichen Aufgaben. Dieses
Mal an einem riesigen Bild „Christus, den Landleuten
predigend". Zerschnitte man die Leinwand geschickt,
so könnte man drei Bilder daraus machen. Die eigen-
tümliche spirituelle Trockenheit seiner Malerei bliebe
freilich auch dann bestehen. Und doch könnte Mackensen
vielleicht ein zweiter Kalckreuth werden, wenn er sich
zu thun entschlösse, was Uhde that, als er die sozialen
Religionsgedanken und die Christusidee auf sich beruhen
Hess und statt dessen seine Töchter im sonnigen Garten
malte.

Die Symptome mehren sich, dass Berlin der neuen
architektonischen Bewegung gewonnen werden soll.
Die Münchener „Werkstätten für Handwerkskunst"
werden ihren Betrieb bedeutend erweitern und Filialen
in Bremen, Hamburg und Berlin einrichten. So hätten
wir schon ein mittelbares Resultat der Berufung Bruno

Pauls vor Augen, das sehr willkommen geheissen wer-
den muss.

*

Eine amüsante Ausstellung „Alt-Berlin" war im
Kupferstichkabinet zu sehen. Künstlerisches bot sie
wenig; aber sie löste viel reine Freude am Gegenständ-
lichen aus. Bemerkenswert waren zwei Radierungen
Menzels, wovon das seltenere Blatt hier reproduziert
wird. Alt-Berlin wird Mode. Herr Biedermeier hat es
entdeckt. Nun, jede Mode hat auch ihr Gutes und
bringt nach einer Seite wenigstens immer Bereicherung.
Das konnte man auch in einer anderen Veranstaltung
erfahren, die „Berlin zur Biedermeierzeit bis i8$o"
hiess. Eine etwas planlose aber im ganzen doch an-
schauliche Vereinigung von Karikaturen und Zeichnun-
gen von Schrödter, Dörbeck, Schadow, Krüger, Hose-
mann, Schoppe und anderen, gab sehr glücklich eine
Idee von dem Milieu, worin der junge Menzel gross
geworden ist. Von Menzel selbst waren einige köstliche
und einige sehr schlimme Blätter ausgestellt. Deutlicher
als jemals vorher wurde auch die Tradition deutlich, wo-
raus die Karikatur des „Kladderadatsch" hervorgegangen
ist. In diesem Witzblatt allein erscheint die spezifisch
berlinische Art heute noch erhalten und fortgesetzt.
Beschämend wirkte es auf den Heutigen, zu sehen,
welche populäre Porträtkultur die Familienblattlitho-
graphen in der Mitte des Jahrhunderts zu erringen
wussten; wie armselig erscheint unsere Photographen-
geschicklichkeit dagegen!

Einem für die Kunstbewertung unserer Tage sehr
bezeichnenden Rollentausch haben wir in den letzten
Wochen zusehen können. Franz Servaes, ein im Ge-
dankenkreis der Neuromantik Heimischer, ein Bewun-
derer Böcklins, Segantinis und Klingers, dem Meier-
Graefes Böcklinanalyse gar nicht gefallen wollte, gestand
im „Tag", dass er beim Durchblättern des grossen Buches
über Schwind, das die Deutsche Verlagsanstalt heraus-
gegeben hat, beim Anblick des Gesamtwerkes dieses
Meisters schwer enttäuscht worden ist; und HansRosen-
hagen, der alte Vorkämpfer Liebermanns, der Sezession
und des Impressionismus, verteidigte den „vielteuren
Meister Schwind" dann, ebenfalls im,,Tag", gegen solche
Diskreditierung. Man wird gut thun, diese amüsante
Kontroverse auf ein Zurückschwingen derEmpfindungen
aus lange und tendenzvoll nach einer Seite gesteigerten
Überzeugungen anzusehen, auf eine Art Reaktion hier
und dort. Und die Wahrheit etwa in der Mitte suchen
müssen. Da dieser Kampf mit vertauschten Waffen von
zwei so charaktervollen Persönlichkeiten ausgefochten
wird, wirkt er symptomatisch. Metamorphosen dieser
Art ist heute Jeder ausgesetzt, der es ehrlich mit sich
selbst meint.

FÜNFTER JAHRGANG, FÜNFTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 24. JANUAR. AUSGABE AM SIEBENTEN FEBRUAR NEUNZEHNHUNDERTSIEBEN
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASSIRER, BERLIN; IN ÖSTERREICH-UNGARN: HUGO HELLER, WIEN I.

GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG.
 
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