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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 9
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Berliner Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0359

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fehlten. Auch dann bliebe des Ausgezeichneten noch
viel; über die achtungswerteste Langweiligkeit
könnte dann aber selbst die interessante Nuance
Corinth nicht hinweghelfen. Nicht weil revolutio-
näre Sensationen fehlen, wäre die Ausstellung lang-
weilig — wer die ersehnt, zählt überhaupt nicht
als Kunstfreund —, sondern weil die übrig blei-
benden Bilder der naiven Menschlichkeit des Be-
trachters nicht genug zu sagen haben. Lieber-
mann wird seinen Genossen nicht so sehr durch
sein grosses Talent gefährlich, als vielmehr durch
eine menschliche Gefühlskraft, die Gegenstand und
Betrachter unmittelbar in innige Beziehung zu
bringen vermag.

Im vorigen Jahr hat Liebermann bei der Er-
öffnung der Ausstellung eine viel diskutierte Rede
gehalten, die in dem Satz gipfelte: „Der Inhalt ist
nichts, die Form ist alles". Eine nützliche Rede,
sofern sie sich nach aussen, an das grosse Publikum
wandte, an die nur das Greifbare glaubenden
Vielzuvielen, deren Geistesträgheit jeder Versuch
einer künstlerischen Synthese verdächtig ist. Aber
ihr hatte eine andere folgen sollen, im vertrauten
Zirkel zu den Künstlern gesprochen. Und dieses
Mal hätte das Resume lauten müssen: „Verachtet
nicht den Inhalt, unterschätzt nicht den Stoff!
Wohl trachten wir als Künstler einzig nach der
Form, die das sich vielfach Offenbarende der Er-
scheinung aus einem Punkte begreift, die das Zu-
fällige notwendig und damit sittlich-schön macht;
niemals aber kann diese Form uns gelingen, wenn
sich Geist und Herz nicht zuerst liebend dem zu-
fälligen Stoff hingeben, um im naiven Erleben
das Geheimnis solcher Form, die zugleich persön-
lich und allgemein ist, zu finden. Hüten wir uns
vor jedem Dogma und werden wir nicht Sklaven
des Wortes Form, wie die gegen uns empörte
Menge draussen in Ewigkeit Knecht des Stoffes ist."

Mit seinen eigenen Bildern hätte Liebermann
diese Worte erläutern können. Ist der Inhalt in
der That „nichts", warum ist die Kunst dieses
Meisterschülers der Kunstgeschichte dann einem so
eng begrenzten Motivengebiet und einem bestimm-
ten Milieu, dem holländischen, verbunden? Warum
gelang unserm Gottfried Keller die schöne Kunst-
form nur mit Hilfe des Schweizerischen? Warum
brauchten Prinzen aus Genieland, wie Feuerbach
und Mare'es, Italien? Warum endlich giebt es
Spezialisten der Landschaft, des Porträts, des Still-
lebens? Je bedingter ein Talent ist, desto sicherer
reift es formal auch an einem bestimmten Stoff.

Die primäre Arbeit des Künstlers besteht darin,
das seiner Persönlichkeit gemässe Stoffgebiet zu
suchen, wie das Samenkorn erst den rechten Boden
finden muss, ehe es keimen kann. Liebermann
wäre nicht geworden was er ist, und als was selbst
seine früheren Lästerer ihn nun preisen, wenn er
im Wald von Fontainebleau geblieben wäre. Aus
eben denselben Gründen sollen ihm seine Jünger
nicht nach Holland, nicht ins Dünengebiet folgen,
wenn nicht innerer Zwang sie treibt. Wer nach
dem Lande, wo die Zitronen blühen, nicht heisse
Sehnsucht empfindet, kann nicht unsterblich davon
singen. Der Künstler braucht die Passion für seinen
Stoff, für den Inhalt.

Dass Liebermann diese Passion hat, zeigt die
Ausstellung. Bilder wie das Altmännerhaus, die
Nähschule, die Seilerbahn oder die beiden Reiter-
bilder haben nur darum schon jene undefinierbare
Stimmung historischer Abgelagertheit, die die Bild-
flächen wie mit einem feinen Edelrost überzieht,
weil Form und Inhalt darin eines durchs andere
leben und zu vollkommenen Einheiten geworden
sind. Und es ist nicht Zufall, dass die Kunst dieses
Sensitiven, der im innersten Wesen schüchtern ist,
den meisten Gefahren dort ausgesetzt ist, wo der
Stoff nicht frei gewählt werden konnte, wo ein
Auftrag das Sujet bestimmte. Auch dafür ist ein
Beispiel zur Stelle. Der Vorbehalt, der hier vor
einigen Monaten gegenüber dem damals noch
unvollendeten Hamburger Gruppenbild gemacht
werden musste, bleibt auch jetzt bestehen. Es giebt
herrliche Teile in dem Bild. Glänzend gemalt ist,
zum Beispiel, die dritte Figur von rechts oder der
im Hintergrund sich vorbeugende alte Herr mit
der Brille. Dem Ganzen aber fehlt das zwingend
Räumliche, fehlt Grösse in der Gliederung und im
Rhythmus. DieFiguren sind alle vom gleichen, sozu-
sagen theoretischen Licht beleuchtet und wirken zum
Teil modellern; und überall auch spürt man die
nervöse Unsicherheit des Malers. Diese Unsicher-
heit bei aller Verve ist übrigens charakteristisch für
Liebermann. Jedesmal ringt der Sechzigjährige
wieder vor seinem Gegenstand um den Erfolg. Und
das ist gut; denn das allein lässt ihn nie schlaff oder
zum Routinier werden und erhält ihm die Naivität.
Natürlich ist das Resultat immer noch ausser-
ordentlich, auch wenn im wesentlichen die vierzig-
jährige Erfahrung in Augenblicken des Versagens
hat aushelfen müssen. Dann giebt es „gute
Malerei", nicht aber solche vollkommene Bilder wie
die schon klassisch gewordenen, „Liebermanns".

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