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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 10
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Müller-Kaboth, Konrad: Albrecht Bräuer
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0413

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rung geschildert.* Er hatte seinen Schülern viel
zu geben; sie verehrten ihn, wiewohl sie ihn
fürchten mussten. Mehr aber als die Details seiner
Praxis, seines grossen theoretischen Wissens, die er
ihnen mitteilte, wog das schlichte Beispiel seiner
Individualität: die Unerschrockenheit der Kon-
sequenz, die im gegebenen Moment Pläne und
Träume, Fragmente tausend schöner Hoffnungen
leidlos, wortlos einsargt, weil die Erkenntnis ein
Gelingen nur um den Preis schwächlicher Kom-
promisse verbürgt. Dieses Aufrechtstehen im
stummen Verzicht; dieses Niederkämpfen, Nieder-
ringen; dieses Festwerden und Sichhärten in der
Erfüllung des Notwendigen, das nie so dürftig
sein kann, dass nicht eines Mannes Seele in Ehren
sich dafür opfern könnte; dieses gefasste Sichauf-
geben und Untergehen: schön ist dieses, und ein
Hauch von Grösse liegt darüber. Bräuer starb
1897 am 7. September; er starb mit dem Bewusst-
sein guter Leute, die namenlos ihre Pflicht gethan
haben und hoffen dürfen, vergessen zu werden, da
die Spur ihres Daseins in das Leben Nachgeborener
hinüberglitt und unsichtbar in gewandelten Formen
fortwirkt. Er hinterliess einige vollendete Werke,
die hier und da verstreut sind und die niemand
um ihrer selbst willen aufsuchen wird; hinterliess
zahllose Entwürfe, fragmentarische Studien und
selbständigere Skizzen, die keinem Historiker
Anlass sein werden, die Entwicklungsreihe der
deutschen Kunst um einen neuen Namen zu be-
reichern. Und doch glaube ich das Talent, das
mit Bräuer ins Grab sank, ans Licht ziehen zu
müssen, nicht weil ich in den kleinen Sachen hie
und da einen schönen Genuss fand; nicht weil ich
mit der Mitteilung künstlerisch untadeliger Proben
der Sentimentalität eine posthume verlorene Hoff-
nung darbieten möchte; sondern weil es von psy-
chologischem Interesse ist, die Sonderheit eines
Talentes erkennbar zu machen, das, ganz unabhängig
von widrigen Lebensumständen, ein hochgemutes
Künstlerverlangen im Triebwerk selbstquälerischer
Reflexionen zur Unfruchtbarkeit und zur Entsagung
zerrieb.

Bräuer war 1830 geboren; er stammte also
aus einer Zeit, deren ästhetische Doktrinen in den
Köpfen einiger deutschtümelnder Ideologen heute
noch fortspuken. Und indem ich plötzlich die Art

* In Band VI der Serie: „Durch Kunst zum Leben".

seines Entwicklungsproblems noch einmal im Lichte
dieser Doktrinen betrachte, entdecke ich, wie
prächtig eigentlich Bräuer nach dem Herzen dieser
Ideologie geraten war; er war sicher ein ringender
Genius, von Einsamkeitsschauern umwittert, der
nach dem Höchsten, Unmöglichen verlangte und
als einHeld im gewaltigenMühen tragisch, faustisch
zugrunde ging. Es fiele mir nicht schwer, jetzt
schon die Feder wegzulegen und das Opfer meiner
Analyse ungekränkt den Weihrauchverbreitern zu
überlassen; denn die Feststellung eines Fiaskos bei
einem Toten, der nur eines andern Betrachters be-
darf, um der Apotheose teilhaftig zu werden, er-
fordert ein gar zu robustes Gewissen, wenn nichts
als die einfache kritische Lust zu ihr gedrängt hat.
Aber ich deutete schon an, dass Bräuer nach meinem
Empfinden ein im Innersten ordentlicher Mensch
war, der sich nichts vorlog; dass sein Versagen von
keinem mit grausamerer Schärfe gewusst werden
kann als wie er es selbst erkannte. Denn wiewohl
sein künstlerisches Temperament einen Stich ins
Sentimentalische zeigte, so besass er doch eine In-
tellektualität hoher Kultur. Und an diesem Danaer-
geschenk der Natur trug er schwer und heilig
zugleich wie Alle, in denen das Künstlertum ein
Wunsch und der kritische Wille eine Kraft ist.
Wie es ihn vor der Banalität niederer Genrekünste
bewahrte und angesichts erlauchter Vorbilder die
Kraft zu einer hohen Gesinnung stählte, gab es ihm
unzweideutig zu verstehen, dass an seinem eigenen
Gifte, an eben dieser Intellektualität die künst-
lerische Potenz sich zersetzte.

Bräuer war ein starker Zeichner; sein Stift
verstand die Konturen des Körperlichen mit un-
beirrbarer Sicherheit nachzuziehen. Aber da er
keinen Geschmack für die lineare Dekoration besass,
empfand er mit natürlicher Konsequenz dieses
Talent als zu dürftig. Er sah ganz deutlich, dass
ein Körperliches imUmriss nur durch die Betonung
einer besonderen Einzelheit künstlerisch zu recht-
fertigen ist, sonst wird es ein Schema, eine leere
Abstraktion. Er strebte also nach Fülle, nach
Materie, nach organisch Belebtem und Bewegtem:
seine Mappen sind voll von diesen Versuchen. In
allen steckt freilich mehr Ahnung als Können; aus
einem Wirrsal tastender Striche entringt sich etwas
mühselig die Anschauung einer körperlichen Form,
die meistenteils in einen Raum hineinkomponiert
ist, sehr oft mit ausserordentlichem Geschick, aber
nie so notwendig, dass ein Fehlen der Figur die
Raumillusion zerstörte. Wiederum giebt es darunter

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