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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 10
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Müller-Kaboth, Konrad: Albrecht Bräuer
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0415

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Feuerbach nach Paris gegangen, oder hätte er zur
rechten Zeit in Italien selbst italienische Kunst von
Angesicht zu Angesicht kennen gelernt: er hätte
seinen Irrtum eingesehen, das Legendarische als un-
beträchtlich abgethan und sich befleissigt, die
Wirkung nur von der Ausdruckskraft seines Stiftes
abhängig zu machen. Aber er ging nach Breslau
zurück, das ihn mit der Professur an der Kunstschule
lockte, in das kunstarme Milieu, dem er zu ent-
fliehen trachtete, als er sich mit hohen Hoffnungen
zu den Nazarenern begab, und so stützte ihn kein
Eindruck reiner Kunst. Die räumliche Entfernung
von seinen Lehrern wirkte höchstens, dass er die
italienische Kunst unmittelbarer kopieren lernte.
Er hat das zweifellos gefühlt und sich jetzt schon
über seine künstlerische Arbeit sehr kritische Ge-
danken gemacht, denn ausser zwei Altarbildern
aus den Jahren 1861 und 6 2 entsteht bis zum
Jahre 1878 kein einziges Werk reiner Kunst mehr,
hingegen drei Arbeiten, die ich schon als deutliche
Symptome seiner Resignation angeführt habe: Bilder
für ein Geschichtsbuch, deutsche Kaiser und Könige
darstellend, dann ein Pflanzenwerk, das Durch-
schnitte von Blüten, Knospen und Blattformen giebt
und endlich eine Anzahl Tierstudien. Um 7 8 raffte
er sich noch einmal zu einem grossen Entwurf auf,
der gänzlich nazarenisch ist, nazarenisch in der line-
aren Typisierung der Landschaft; in den Figuren, in
derEmpflndung desGanzen; aber er vollendete ihn nie.

Von 78 bis 83 ruhte das Schaffen; das Ver-
sagen der Kraft überwand Bräuer erst durch eine
Reise nach Italien, die ihm zu spät ermöglicht
wurde, um ihm von entscheidendem Nutzen zu
sein, aber immerhin Resultate zeitigte, die ebenso
rührend wie überaus erstaunlich sind. Er liess
nämlich seinen Stift zu -Hause und nahm nur
seinen Pinsel und eine Palette brennender Farben
mit, und was er sich ansah, war nicht die Kunst
Italiens, sondern die Natur, und die Natur
nicht so sehr in dem fixierten Typ der italieni-
schen Landschaft, wie etwa die Zeitgenossen der
Nazarener, Rohden, Reinhold, Catel und später
Feuerbach und Böcklin, sondern er beobachtete den
italienischen Himmel, die Luft und das Meer. Die
Metamorphose ist ebenso überraschend, wie wenn
aus einem Cornelius plötzlich ein Turner würde.
Die Studien, die er mitbrachte, enthalten nicht eine
einzige Figuren-Komposition, überhaupt nichts
Lineares; sondern sie geben eine Skala gestufter
Tonwerte, die als einzige Gegenständlichkeit den
flackernden Schleier zerrissener oder zergehender

Wolken umschreiben. Freilich verleugnet sich nicht,
dass der Blick, der hier nach ganz weichen Nuancen
tastet und das Verschwimmen farbiger Übergänge
im Ton zu erhaschen sucht, die Farbe bisher nur
als starr lokalisierte Einheit innerhalb linearer Ge-
rüste gewürdigt hat; die Stufung der Töne wirkt
komponiert. Sie bleibt eine abstrakte Palettenskala,
die sich in die Illusion der Luft und des Wassers
nicht wandeln mag. Auch kann sich der Konturen-
zeichner, der an dem ornamentalen Spiel der Linien
seine Freude hat, nicht völlig unsichtbar machen;
er findet in den Formen der Wolken und Wellen
allerlei Motive für kalligraphische Schnörkel und
heroische Arabesken.

Dennoch hatten diese Palettenübungen einen
Vorteil: sie erweckten den Geschmack Bräuers für
die farbige Dekoration. Er sah von jetzt an viel
öfter in die Landschaft, um ihr die dekorativen
Reize farbiger Flächenteilung zu entlocken, und es
gelang ihm mit allerlei Motiven aus dem Riesen-
gebirge und der Trebnitzer Gegend farbige Flächen-
kompositionen zu entwerfen, die auch dem ver-
wöhnten Auge genug thun. Hier stecken Ansätze
zu einer ganz reinen Kunst. Diese Kunst wäre sehr
selbständig gewesen, wenn sie auch nie reich ge-
worden wäre, weil sie auf dem mühevollen Wege der
Abstraktion, des sorgfältigen Zusammensetzens ge-
wonnen wurde. Aber sie reifte zu spät; sie reifte,
als Bräuer nicht mehr hoffen konnte, mit ihr hervor-
zutreten und einen glücklichen Wettstreit zu beginnen
mit Leuten, die es leichter hatten als er. Es fehlte
dem Fünfziger wohl schon an der Energie Vielerlei
hat er noch begonnen, die verschiedensten Dinge. Er
hat sich in Schwindscher Grazie versucht und zart
getuschte Genreszenen gemacht wie etwa ein früher
Hamburger, hat Bewegungsstudien getrieben an
dem gleichen Motiv des „Heiligen Martin", das
auch Marees quälte, fast in der gleichen Schwer-
fälligkeit, nur nicht mit einem ähnlich herrlichen
Material, und hat zu Zeiten sogar unbegreiflich
impressionistischen Anwandlungen nachgegeben:
ein plausibles Kornfeld und ein überraschend
duftiger Laubwald sind Zeugnis davon. Es blieb
alles erster Entwurf, Notizen flüchtiger Launen,
ohne Befriedigung. Er wandte sich wieder seinen
Anatomien zu, suchte seinen exakten Stift hervor
und analysierte den Körper des Menschen mit und
ohne Skelett mit der trockenen Gewissenhaftigkeit,
die er als Professor sich zur Pflicht hatte machen
müssen. Und als Professor starb er dann, ohne
Wunsch und vielleicht nicht einmal bitter.

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