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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 11
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0483

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Daniel Chodowieckis Handzeichnungen,
ausgewählt, eingeleitet und erklärt von Wolf gang
von (Dettingen. Verlegt bei Julius Bard, Berlin.

Wo Wolfgang von (Dettingen der modernen Kunst
gegenübertritt und noch zweifelhafte neue Erschei-
nungen zu werten sucht, kann er nur selten be-
friedigen; seine stillen und gründlichen Gelehrten-
tugenden kommen erst da recht zur Anschauung, wo er
ältere Kunst, deren ästhetische Bedeutung unumstritten
ist, behandelt. Die Zeit Daniel Chodowieckis ist seiner
genauen, zuverlässigen Art besonders günstig, weil sie
weit genug zurück liegt, um zur Distanz zu zwingen
und nahe genug, um mit Zügen sinnlicher Gegenwart
eine gewisse Unmittelbarkeit des Empfindens anzuregen.
Oerringen hat denn auch die Aufgabe, die er sich
mit dieser Publikation gesetzt hat, in ausgezeichneter
Haltung gelöst. Mutet seine Einleitung etwas trocken
sachlich an, so findet sich dafür in den ausführlichen
Erklärungen zu dem halben Hundert reproduzierter
Handzeichnungen eine Fülle des interessantesten bio-
graphischen, historischen und anekdotischen Materials.
Die feine Kultur der Gelehrtenschule, der von Oeffingen
angehört, wird in jedem Satz fast sichtbar. Und die
Art, wie die Handzeichnungen reproduziert sind, wie
das Buch ausgestattet ist, kann in unserer Zeit fabrik-
mässiger Schluderei einerseits und typographischen
Snobismus andererseits als vorbildlich gelten.

Dass wir dem vortrefflichen Chodowiecki immer
wieder gerne begegnen, legitimiert aufs beste diese
Sonderpublikation von Oeningens, die als ein Seiten-
schössling seines vor zehn Jahren erschienenen Buches
anzusprechen ist. In unsern Tagen, wo die Kunst zu
drei Vierteln eine Qual geworden ist, spricht die Liebens-
würdigkeit im Wesen dieses Malers, der die Kunst ge-
lassen vom achtzehnten ins neunzehnte Jahrhundert
hinüberführte, besonders wohlthätig an. Welcher Maler
wäre heute einer Sprache fähig, wie sie in den folgen-
den Sätzen Chodowieckis enthalten ist! Einer Sprache,
die durch ihre Gedanken aufs beste auch diese neue
Publikation empfiehlt, und wert ist, auch hier zitiert
zu werden:

„War ich in Gesellschaft, so setzte ich mich so, dass
ich die Gesellschaft, oder eine Gruppe aus derselben,
oder auch nur eine einzige Figur übersehen konnte,
und zeichnete sie so geschwind, oder auch mit so vielem
Fleiss, als es die Zeit oder die Thätigkeit der Personen
erlaubte. Bat niemals um Erlaubnis, sondern suchte
es so verstohlen wie möglich zu machen; denn wenn
ein Frauenzimmer — und auch zuweilen Mannes-
personen — weiss, dass man's zeichnen will, so will es
sich angenehm stellen und verdirbt alles, die Stellung
wird gezwungen. Ich Hess es mich nicht verdriessen,
wenn man mir auch, wenn ich halb fertig war, davon-
lief, es war doch so viel gewonnen. Was habe ich da
zuweilen für herrliche Gruppen mit Licht und Schatten,
mit allen den Vorzügen, die die Natur, wenn sie sich
selbst überlassen isr, vor all den so gerühmren Idealen

har, in mein Taschenbuch eingetragen! Ich habe stehend,
gehend, reirend gezeichnet; ich habe Mädchen im Bette
in allerliebsten, sich selbst überlassenen Srellungen durchs
Schlüsselloch gezeichnet . . . Ich habe nach Gemälden
wenig, nach Gips etwas, viel mehr nach der Natur ge-
zeichnet. Bei ihr fand ich die meiste Befriedigung, den
meisten Nutzen; sie ist meine einzige Lehrerin, meine
einzige Führerin, meine Wohlthäterin. Wo ich sie finde,
werfe ich ihr einen Kuss, wenn es auch nur in Gedanken
isr, zu: dem reizenden Mädchen, dem prächtigen
Pferde, der herrlichen Eiche, dem Strauche, dem Bauern-
hause, dem Palaste, der Abendsonne und dem Mond-
lichr. Alles ist mir willkommen, und mein Herz und
Griffel hüpfen ihm entgegen." K. S.

Edward Gordon Craig, Isadora Duncan.
Sechs Blätter nach Motiven der Tänzerin. Im Insel-
Verlag, Leipzig.

Der Insel-Verlag hat sich dieser Produktion des
Theaterreformers sehr generös erwiesen. Er hat die
Tanzstudien Craigs in einem pompösen Mappenwerk
herausgebracht, das nur mit Landschaften van Goghs
oder mit Tuschzeichnungen Rodins gefüllt zu sein
brauchte, um die grandioseste Publikation zu sein, mit
der sich ein Verlag je geschmückt hat. Wäre ich Craig,
ich hätte dieser fürstlichen Liberalität des Verlages
gegenüber eine Art Beschämung empfunden und meinen
Antrag augenblicklich zurückgezogen, denn man muss
bei aller Selbstüberschätzung eitel genug sein, die Rechte
der Autorschaft an einem publizierten Werke allein
zu behaupten und nicht hinter dem viel grösseren In-
genium des Verlegers spurlos zu verschwinden. In der
That vergrössert diese Duncan-Mappe nur den Ruhm
einer Verlagsorganisation, deren Geschmackskultur wir
an zahlreichen vortrefflichen Editionen längst wür-
digen gelernt haben. Der Künstler aber, der vermittels
dieser grossmütigen mise-en-sccne zu uns sprechen
möchte, kann nicht gehört werden, denn er ist über-
haupt nicht da. Wie Craig dazu kam, seinen Vorbehalt
aufzugeben, womit er früher die Veröffentlichung
seiner viel interessanteren Bühnenskizzen begleitete,
ist ein Rätsel. Er ist so wenig Zeichner und so sehr
Dilettant, dass man sein Dilettantentum ins Ungeheure
übertreiben muss, um den Mut zu begreifen, so talent-
lose Sachen in der prätentiösesten Form einem unschul-
digen Publikum zum Genuss anzubieten. Die arme Dun-
can fährt bei dieser Publikation am schlechtesten; denn sie,
deren Ruhm diese sechs Blätter gewidmet sind, präsen-
tiert sich auf allen in einer hilflosen Pose von so rühren-
dem Ungeschick, dass man den Namen des nützlichen
Vogels, der Einem dabei auf die Lippen kommt, nicht
einmal auszusprechen wagt. Wäre es ihr nicht möglich
gewesen, einer Absicht Halt zu gebieten, die unrettbar
lächerlich macht, was sie verherrlichen möchte? — Aber
ich fürchte, dass sie den Prolog verfasst hat; dann
wäre sie der heiteren Kunst des Herrn Craig nicht ganz
unwürdig. K. Müller-Kaboth.

FÜNFTER. JAHRGANG, ELFTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM l8. JULI. AUSGABE AM ERSTEN AUGUST NEUNZEHNHUNDERTSIEBEN
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASSIRER, BERLIN; IN ÖSTERREICH - UNGARN: HUGO HELLER, WIEN I

GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG.
 
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