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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

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Schulze, Otto: Jugendstil-Sünden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7007#0219

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Jugendstil-Sünden.

342. Müllersches volksbad, München. Treppengeländer (beim
Frauenschwimmbad); nach Entwurf von Aarl tsocheder aus.
geführt von D. Bußmann, München.

und in streng gotischen Kirchenanlagen, sind sie nicht
alle neue flicken an und auf alten Gewändern?
Und ganze romanische Airchenanlagen, die als solche
zu ihrer Zeit gedacht und zugerichtet waren, hat nran
sie nicht ganz harinlos in — gotischem Stil fertig
gebaut! Und wir ereifern uns heute so sehr darüber,
daß unsere Zeit dieser gewiß berechtigten Flickarbeit
— jeder echte Künstler liebt sie um ihrer Buntheit
willen — herzlich müde ist und, um ihr nicht mehr
zu frönen, das alte geflickte Gewand abstreifen
möchte, für das wir, wie Anne-Marie, das ganz
neue, wenn auch noch etwas bunte und wenn auch
zusammengestückelte Kleid haben wollen. Und so
denkt die Zugend von heute, so hat sie vor tausend
Zähren gedacht, und so wird und muß
sie auch nach weiteren tausend Zähren
denken. So ist das Denken aller, die
vor dem Schwabenalter stehen.

Und so ist das Neue auch über uns
gekommen. Diesem hat's sich nach so-
genannten Zugendsünden genähert, und
was ist der „Zugend" nicht schon alles
vorgeworfen worden! Zenem ist es in
voller Reine erschienen als wirkliche
Offenbarung und einem anderen als
Schreckgespenst, als Revolutionär. Das
Ding an sich aber war immer das-
selbe, nur die Augen und Sinne, die
es sehen und erfassen sollten, waren

verschieden — hier junge, da alte, hier kurz-
oder weitsichtige, ja auch blöde, sonnenscheue Augen
waren darunter, dabei entnervte Sinne. Weniger,
ich will nur etwas vorgreifen, was Darmstadt bot,
war eine Komödie, als das, was andere daraus
machten. Zch wäre gewiß der letzte, der einer ge-
rechten, strengen Kritik nicht das Wort spräche; denn
Tadel und Verwarnung, wenn nötig auch ein gut
sitzender Rutenklatsch sind gerade einer gedeihlichen
Tntwickelung der Zugend nicht hinderlich ■— aber
nur nicht höhnen, nicht lächerlich machen, denn das
bewirkt gerade das Gegenteil. And darin hat sich
ein Teil der Presse des Guten zu viel geleistet. Auch
dafür bin ich nicht, daß man ins Blaue hinein lobt,
oder gar lobhudelt, marktschreierisch anpreist — es
rächt sich meistens bitter —, aber wo es angebracht
ist, da soll man mit einen; warmen Lob nicht geizen,
denn gerade die Zugend verlangt nach Anerkennung
und einigen Lorbeerblättern, wenn ihr das Streben
nach hohen Zielen nicht verkümmert werden soll. —
And so ist auch wohl keiner der Berichterstatter über
die vorjährige Darmstädter Ausstellung von einem
Übermaß ganz frei zu sprechen, das sie sich in dieser
oder jener Einsicht leisteten. — Gott weiß, wie
manchem passiert es beim Ümidwechsel, daß er das
benutzte fallen läßt, bevor er noch das frische über-
geworfen oder gar ergriffen hat. Das ist verständlich
und verzeihlich, aber als thöricht muß es bezeichnet

Müllersches volksbad, München. Thllre und Sitzmöbel.
Entworfen von Aarl H 0 cheder.

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