Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

DOI issue:
Chronik des Bayerischen Kunstgewerbevereins
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7007#0254

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Lhronik des Bayer. Kunstgewerbevereins.

376. Altes rheinisches Steinzeug, Privatbesitz. (‘/4 der wirkt. Gr.)

von denen viele meinen, daß es darüber überhaupt nichts Neues
mehr zu sagen gäbe. Ganz besonders traf dies zu bei seinem
letzten Vortrag, in dem er sich die Aufgabe gestellt hatte, die
Wandlungen in der Beurteilung der deutschen Gotik seit etwa
too Jahren zu verfolgen. Er ging von Grothes Schilderung des
Straßburger Münsters aus, die aus dem Jahre \rz\ stammt
und worin der junge Student in Helle Begeisterung für diese
Kunstweise ausbricht, deren Blütezeit mit der Erhebung des
deutschen Bürgertums zusammenfiel. Aus solcher Begeisterung
heraus entwickelte sich die Schwärmerei der Romantik, deren
kjauptverdienst war, das Recht auf eine eigene Kunst pro-
klamiert zu haben. Der bedeutendste Schritt in der Hinneigung
zur Gotik war der Ausbau des Kölner Domes. Im Jahre
J790 erklärte Förster den Dom als dem Einsturz nahe; dann,
nachdem sich Männer wie Schlegel, Boisseröe, Möller dafür |
interessiert hatten, beschloß man — nach der Besichtigung des
Domes durch den Kronprinzen von Preußen, den nachmaligen
König Friedrich Wilhelm IV. (*8^) — erst die Instandhaltung
der Ruine, mit deren Restaurierung Z825 begonnen wurde,
worauf dann — im Jahre ;8^o — der Beschluß zum völligen
Ausbau folgte. Damals war man völlig überzeugt, daß die
deutsche Gotik eigentlich einst die Herrschaft ausgeübt habe,
während die Gotik anderer Länder von ihr abgeleitet sei. Dies
wurde um die Mitte des vorigen Jahrhunderts anders, nachdem
der urkundliche Nachweis geliefert war, daß die ersten gotischen
Bauwerke in Frankreich entstanden sind und daß dieser Stil
von dort nach Deutschland verpflanzt worden ist; man gab nun
den Kölner Dom — z. T. wegen seiner großen Ähnlichkeit im
Grundriß mit dem Dom zu Amiens — als ein durch und
durch französisches Werk aus, während der Glanzpunkt deutscher
bürgerlicher Kunst nur bei Dürer und Holbein gefunden wurde.
Erst im Lause der siebziger und achtziger Jahre wurde all-
mählich ein Umschwung bemerkbar. Man erkannte, wie volks-
tümlich besonders im iq. Jahrhundert die Kunst geworden
war, wie sehr sie auf dem heimischen Boden wurzelte, wie der
gegen Ende des Mittelalters in allen Kulturstaaten herrschende
gotische Stil in Deutschland seine ganz eigenartige Entwickelung

genommen hat, — wie es hauptsächlich darauf ankomme, was
der einzelne Künstler oder das einzelne Volk aus dem dem
gotischen Baustiel zu Grunde liegenden Schema gemacht hat.
Denn die individuelle Behandlung ist es ja, welche ein Werk
erst zuin Kunstwerk macht, das selbständige Hiuausgeheu über
das Schema. Das gibt sich namentlich kund in den freien,
malerischen Durchbildungen von Einzelheiten, in dem unendlich
liebevollen Sichversenken in das Detail, in der eigenartigen An-
ordnung kleinerer Kirchen, die keineswegs — wie in der Mitte
des {<). Jahrhunderts geschehen — als Verkleinerungen der
großen Dome ausgebildet wurden. Das schiefe Urteil über die
Gotik war durch die geometrischen Darstellungen mindestens stark
befördert, wenn nicht geradezu herbeigeführt worden. Welch
großer Wert im Gegensatz zu dem geometrischen Schema auf
die Durchbildung der Details gelegt wurde, davon kann man
sich mn besten überzeugen, wenn inan gotische Kirchen bis in die
entlegensten Teile durchstudiert, wo man nicht selten — auch an
Stellen, die man wenig, oder von unten gar nicht, sieht — köst-
liche Statuen und Mrnamente findet, die Zeugnis davon geben,
mit welcher Begeisterung im ausgehenden Mittelalter die Mit-
glieder der Bauhütten ihre Kunst betrieben haben. Die hohe Blüte
der deutschen Kleinkunst im \6. Jahrhundert hat ihre Wurzeln
ganz in dem deutschen Mittelalter; und somit hatten die alten
Romantiker recht, daß sie die gotische Zeit als die des deutschesten
Kunststiles bezeichneten, jene Zeit der eigentlichen Blüte der
deutschen Städte (^. und jo. Jahrhundert), da Regensburg,
Braunschweig, Lüneburg, Lübeck, Naumburg u. s. w. ihre
originellen gotischen Rathäuser schufen. Die deutsche Gotik sei
darum —- so schloß Redner — „eine prächtige Strophe in dem
herrlichen Lied der deutschen Kunst." — — Vr. Halm, der
an diesem Abend in Verhinderung der Vereinsvorstände die
Versammlung leitete, vermittelte den Dank der zahlreichen Ver-
sammlung an den Redner in kurzen, kernigen Worten, wohl
wissend, daß ein Mehr nur den tiefen Eindruck den Riehls
durch zahllose Abbildungen erläuterter Vortrag bei jedem Zu-
hörer hinterlassen, abschwächen könnte.

235
 
Annotationen