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Kunst der Nation — 3.1935

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Schlee, Alfred: Die deutschen Tanzfestspiele 1934
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Preetorius, Emil; Eckstein, Hans: Der Einfluss des japanischen Holzschnittes auf die europäische Malerei des 19. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.66551#0004

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K u n st der Nation


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„Kunst der Nation!"

die aber keine Wertminderung bedeutet: Dieser
Tanz ist bereits so weit vom herkömmlicher:
Theater gelöst, daß die bühnenmäßige Darstellung
ihrr belastet. Trotz aller räumlichen Finessen und
rhythmischer: Präzision verlangt dieser Tanz nicht
Zuschauer, sondern Mitmachende. Damit soll nicht
etwa die Bühnenwirksarnkeit dieser Tänze be-
stritte:: werden. Sie zündet sogar bei den auf
festlichen Gerneinschaftstanz zielenden „heiteren
Tänzen" viel beglückender, als überall da, wo
diese Grenze überschritten wird und die bühnen-
mäßige Darstellung (wie etwa in den „düsterer:
Tänzen") Selbstzweck ist. Auch das entexotisierte
Klangorchester, in den: jetzt Melodieinstrumente
mittelalterlicher Färbung über die Schlaginstru-
mente dominieren, hat diese Wandlung mit-
gemacht. Das Temperament der „barbarischer:
Suite" ist verlorengeganger: und wird durch eine
stilisierte Klarheit ersetzt' Der Gewinn für den
„Gemeinschaftstanz" ist bedeutend genug, die Mög-
lichkeiten auf dem Gebiet tänzerischer Festgestal-
tung sind so weitgehende, daß diese Entwicklung
zu begrüßen ist. Selbst Wern: wir die Tanzgruppe


l,.anet: Bildnis Zolns

Dorothee Günther dann nur noch quasi als Gast
ans der Bühne sehen werden.
Als nach den erster: Erfolgen Mary Wigmans
der neue Tauz sehr schnell sich einer: großer: Kreis
begeisterter Anhänger eroberte, erwartete mau,
daß auch die Tanzkunst ar: den deutscher: Stadt-
theatern: von Grund auf erneuert werden wütde.
Dies ist geschehe::, allerdings nicht so radikal, wie
es sich die junger: Tänzer damals erhofft hatten.
Hier stieß der neue Tanz auf einer: sehr hart-
näckigen Widerstand der Ballett-Tradition. Es be-
durfte langer Auseinandersetzungen, ehe mar: sich die
Erkenntnis abgerungen hatte, daß die Tauzbühne
ai: einen: Stadttheater ihre Aufgabe um so besser
erfüllen könne, je weniger sie stilistisch gebunden


Japanischer Holzschnitt

ist bzw. je vollkommener sie verschiedene Stile zu
beherrschen vermag. Diese Vielfalt der Aus-
drncksmöglichkeiten brachten die bei den Tanzfest-
spielen vertretener: Bühnentanzgrnpper: sehr schön


Angust Macke: Pierrot und die Tänzerin, 1913

zur Geltung. Valerie Kratina (Landestheater
Karlsruhe) verleugnet in Walzern nach Brahms
nicht ihre Hellerauer Herkunft. Die keusche Ein-
fachheit der Linienführung machte starken Ein-
druck. Wirksamer Gegensatz dazu ihre lustige In-
szenierung von Casellas „Scarlattiana". Bvorrne
Georgi (Städtische Bühnen Hannover) hat einer:
ausgeprägten Sinn für formale Feinheiten. Zur
Polyphonie einer Bachschen Partita gestaltet sie
einer: räumlich und bewegnngsrnäßig gleich inter-
essanter: Kontrapunkt. Die hingcworfenen Farb-
tupfer: eines Turinaschen Klavierstückes werden
in knappster Choreographie überzeugend ans die
Bühne übersetzt. Jens Keith hatte mit seiner
Essener Tanzgruppe einen besonders lauten Er-
folg. Mit Recht. Er zeigte in Schumanns Carnc-
val sauberes, gekonntes, bewegungsfreudiges Bal-
lett. Diese frische und ausgeglichene Tanzgruppe
brachte wieder einmal den Beweis, wie lebendig
Ballett sein kann, wenn eirr erfindungsreicher Cho-
reograph sich seiner bedient. (Zn loben ist auch
das duftige Bühnenbild von Parrl Sträter). Sol-
ches Ballett ist zur endgültigen Fundierung der
Tanzkunst in Deutschland nicht weniger wichtig,
als alle Versuche ans der Zeit des Expressionis-
mus. Dies bestätigte auch die abschließende Ver-
anstaltung des Balletts der Berliner Staatsoper.
Besonders die Pnppenfee, von Lizzie Maudrik
und Benno von Areut irr Warenhaus- rind Revue-
milieu verlegt, machte allenthalben Spaß.
Neben den prominenten Vertretern deutscher
Tanzkunst sahen wir eine Reihe aufstrebender Ta-
lente. Alexander vor: Swaine, der sich gern von
malerischer: Eindrücken leite:: läßt, brachte mit
Alice Uhlen eine packende Studie nach Goya.
Die Anmut, die Erika Lindner, die Verträumtheit
der Afrika Döring fände:: dankbare Resonanz,
Karl Bergeest erschreckte die Ästheten mit kräf-
tigen, saftiger: Parodien. Es wären vielleicht
noch einige Namen zu nennen. Aber wesentliches
ist nut ihnen nicht zu sagen.
Trotz der großer: Reichhaltigkeit ar: tänze-
rischen Darbietungen war das Gesamtergebnis
dieser Festspiele unbefriedigend. Es war, was
man am wenigster: erwarten durfte, retrospektiv.
Die Zeugen, die die Bedeutung des deutschen
Tanzes über lokale Begrenzung hinaus hätten
erweisen können, wurden nicht angeführt. Doch
auch eine solche Zusammenfassung ist lehrreich,

Der Verein der Freunde asiatischer Kunst und
Kultur in München eröffnete die Reihe seiner
Wintervcranstaltnngen im Museum für Völker-
kunde nut einem Vortrage vor: Emil Pree-
torins über den Einfluß des japanischen Holz-
schnitts ans die europäische Malerei des 19. Jahr-
hunderts. Zur Veranschaulichung des Themas
waren japanische Holzschnitte aus der Sammlung
des Vortragender: ausgestellt. Der Vortrag ver-
dient um so mehr Beachtung, als er ein bisher
noch niemals umfassend ugd grundsätzlich behan-
deltes Thema anschnitt: die Einwirkung ostasiati-
scher Gestaltnngsart auf das Schauer: und Bilden
des Abendlandes seit Mitte des 19. Jahrhundert«,
d. h. seit überhaupt eine tiefgreifendere Einwir-
kung ostasiatischer Kunst ans die europäische statt-
gefunden hat. Denn alle ostasiatischerr Einflüsse,
die Vörden: nach Europa drarrgerr, verblieben im
wesentlichen in: Bereich des Geschmacklich-Dekora-
tiven wie z. B. die Chinoiserier: des Rokoko. Erst
von der zweiter: Hälfte des 19. Jahrhunderts ar:
beginnen diese Einflüsse die europäischer: Gestal-
tnngstendenzen entscheidend mitzubestimrnen.
Preetorins verwies hier auch nut Recht ans die
moderne Architektur, derer: tragende
formale Elemente nicht ausschließlich, aber doch
nicht unbedeutend sich unter der Einwirkung japa-
nischer Raumgestaltung entwickelt Haber:. Selbst-
verständlich erwuchs das neue Banen noch ans
ganz anderen Notwendigkeiten: moderne Technik,
Industrialisierung, veränderte soziale Bedingnisse,
neue Baustoffe (Stahl, Beto::, Glas) und Bau-
konstruktionen. Aber die Anregungen: i m rein
K ü r: st l e r i s ch - F o r m a l e n kamen nicht etwa
arrs Ostasrika oder Vorderasien, wie vor: Gegnern
oft behauptet wird (siehe die als Postkarte in
Stuttgart verkaufte Fotomontage der Weißenhof-
siedlnng als „Araberdorf" oder die Bücher vor:
Schultze-Naumburg), sonder::, wer::: überhaupt vor:
außer:, so aus Japan. Der Weg dieses Einflusses
über Frank Lloyd Wright, Josef Hoffman:: und
Holland läßt sich anfzeigen. Gewiß hätten diese
Einflüsse allein nicht genügt, das europäische
Bauen zu revolutioniere::. Es kau: ihnen viel-
mehr der Wille zur ehrlicher: Nackt- und Kahlheit
an Stelle des erborgter: Prunkes in den: Stil-
potpourri des ausgehenden 19. Jahrhunderts ent-
gegen:. Die sehr pointierte Formulierung vor:
Preetorins: der moderne Ban sei ein „nach außer:
gestülpter japanischer Jnnenraum" kann selbstver-
ständlich nicht in wörtlichem Sinne gelter:, bezeich-
net aber nicht untreffend die formale Verwandt-
schaft, die tatsächlich besteht, — besteht trotz ganz
verschiedener entwicklungsgeschichtlicher Beding-
nisse.
Das große umfassende Thema, vor: den: der
Vortrag nur einen kleinen Ausschnitt geben
konnte: die Einwirkung ostasiatischer Gestaltungs-
art auf das europäische Kunstschaffen ist noch un-
geschrieben, Wohl weil die Voraussetzung dazu:
eine gleiche Vertrautheit mit der europäischen wie
mit der fernöstlichen Kunst den meisten Knnst-

nud wer guten Willens ist, kann gerade ans den:,
was dieser Veranstaltung fehlte, seinen Gewinr:
ziehen. Alfred Schlee.

forschern fehlt. Für der: Künstler nimmt Pree-
torius eine ^nntwi-si-eNnng in drmsgvuch, ihn
das rein Historische weniger interessiere als das
absolut Künstlerische, das Formproblem ar: sich.
Der Künstler erlebe den Werdensprozeß eines
Kunstwerkes zwanghaft abgekürzt in sich nach,
gleichgültig, wo und wann es entstanden ist. Den::
der Künstler sehe das Kunstwerk nicht so sehr als
das, was es ist (als Produkt vor: Schöpfer, Zeit
rind Umwelt), sondern ir: erster Linie, w ie es
g e rr: a ch t i st, so wie er die Dinge ir: der Natur


Bcardsley
Interessant ist der Vergleich nicht nur bezüglich der Ge-
samtoerteilung von Farbe (Schwarz) und leer stehengelassenem
Untergrund, sondern insbesondere wie hier ein weißes Orna-
ment, dort die weiße Hand in der schwarzen Fläche sitzen,
ferner vgl. man hier die Partie der verschränkten Arme, dort
des unteren Kleidrandes.
Weniger daraufhin betrachtet, wie sie sind, als wie
sie bildnerisch zu verwirklichen sind im Sinne
des rsnlwsr (Ü62NNN68. Vor aller Verschiedenheit
von Lebensraum, Volk, Zeitepoche, Religion usw.

drängt sich dem Künstler
die Gleichartigkeit
der bildnerischen
Struktur ans, das
Übereinstimmende irr
allem bildnerischen Tun.
Deshalb bestehe gerade
beirr: Künstler die Mög-
lichkeit gleicher Vertraut-
heit mit einer fremden
wie mit der Kunst des
eigener: Volkes. Dagegen
fehlte:: den: Künstler alle
anderer: Voraussetzungen
znr Bewältigung und
richtiger: Behandlung
jenes großen, eminent
aufschlußreicher: Themas.
— Preetorins verwies arrs
die bei aller sonstigen
Fremdheit bestehende Ver-
wandtschaft im rein Ge-
stalterischer: zwischen Lio
nardo und den Mingland-
schaften, zwischen Rem-
brandts Handzeichnungen
und der: Snngmalereien,
zwischen Menzelzeichnnn-
ger: und den: Tosarneister.
1856 wurde ein Skiz-
zenbuch von Hokusai in
Paris entdeckt, bald dar-
auf japanische Holzschnitte
der Spätmeister bis ein-
schließlich Harnnobn, des
Erfinders des Vielfarben-
druckes. Die Begeisterung
für der: japanischen Holz-
schnitt in der: Samnller-
nnd Künstlerkreisen von
Paris ging bald auch ans
die Londoner Kunst-
freunde über. Dreißig
Jahre später begann auch
in Deutschland ein reges
Interesse für den japa-
nischen Holzschnitt. Doch
blieb in Deutschland trotz aller Japanschwärmerei
die ostasiatische Gestaltnngsart ohne Eir: flr: ß
auf die große,: deutschen Maler, ob-
wohl diese gerade znr Blüte der Japanbegeisterung
in Paris waren. Anfnahmebereiter für die japa-
nischen Anregungei: zeigt sich in Deutschland nur
das Kunstgewerbe, die Plakatkunst (Th. Th. Heine),
die ihre wirksamsten Vorbilder allerdings in der
vor: Japan stark beeinflußten Pariser Plakatkunst
(Lantrec) hatte.
Von den großen französischen Im-
pressionisten empfingen den stärksten und
sichtbarsten Einfluß: Manet, Monet, Degas,
Lantrec, van Gogh — in weit geringerem Maße
aber Renoir und Cezanne, die beide ia nun?
Sonderstellung einnahrnen. Gleichwohl wird auch
oe: Nenorr der japanische Einfluß im Bildaus-
schnitt und ir: der Farbigkeit sichtbar, selbst bei
Cezanne, der sich bewnßterrnaßen scharf gegen die
Japanbegeifternng wandte, mindestens im Blick-
punkt (Stilleber:) und der Flächenartigkeit seiner
Malerei (Cezannes Abneigung gegen die japa-
nische Kunst kornrrit aus seiner Verneinung der
Linie).
Preetorins wirft nun die Frage auf: sahen die
Impressionisten mit Recht irr: japanischen Holz-
schnitt eine Stütze ihrer neuen Knnstthesen, eine
Bestätigung ihrer neuen bildnerischen Ziele? —
oder sahen: sie dabei etwas ir: den japanischen
Holzschnitt hinein, was gar nicht ir: seinem Wesen
und seiner bildnerischen Struktur liegt? Mit an-
deren Worte::: handelt es sich also bei dem ganzen
Japonismns nur nm einer: jener historischen Irr-
tümer, die so manches Mal ir: der Entwicklung
einer Kunst sich als bedeutsam erwiesen haben,
fast nmlArä leur8? Die Frage, meint Preetorins,
ist sowohl mit Nein als auch mit Ja zu be-
antworte!:.
Die Impressionisten mußten ihre Kunst-
theorien vor allen: durch fünf hervorstechende
Merkmale des japanischen Holzschnittes bestätigt
sinder:: durch das Angenblickshafte — durch den
nnbekünunerten, anscheinend willkürlichen Bild-
ausschnitt - durch die Kompositionsweise, die
Eigenart des Blickpunktes, der: Mangel jeder „Ge-
schlossenheit" des Bildes in: Sinne der traditio-
nellen europäischer: Malerei — durch die Flächen-
hastigkeit und das Sprecheillassen leergelasserrer
Teile des Zeichenuntergrnndes und — endlich —
durch die besondere Art der Farbigkeit, und zwar
sowohl durch das Nebeneinander von gebrochenen
Farbtönen und starken farbigen Kontrasten als
auch durch die Schattenlosigkeit. In ihrem
Kampfe gegen die Plastizität des
Klassizismus — überhaupt der Klassik und
ihres illusionistischen Raumbildes (Renaissance,
Barock, Klassizismus), kann man ergänzend an-
fügen — mußte die impressionistische Bewegung
sich durch den japanischen Holzschnitt bestärkt
fühlen. Das künstlerisch entscheidend Neue des
Impressionismus und der letzten Endes in seinem
Schatten stehenden nachirnpressionistischerr Gestal-
tungstendenzen enthüllt in der Tat sich am klar-
sten, wenn man die gesamte impressionistische Be-
wegung, wie Preetorins, als eine Bewegung zur
Befreiung von der Klassik ansieht. Hierin ist die
Malerei der Architektirr vorangegangen. Denn
die gesamte neue Banbewegnng, die übrigens
tiefer im 19. Jahrhundert verankert ist, als es
heute ihrer: Gegnern und Freunden bewußt wird,
ist irn Grunde nichts anderes als ein Kampf gegen
die Klassik, wenn man darunter alle Stilphaser:
von der Renaissance über der: Barock, das Rokoko
und Empire bis zurr: Klassizismus verstehen will.
Wie in: Bilde wird irr der Architektur die klassische
Plastizität zurückgedrängt, wie irn Bilde auch in
der Architektur der Schatten, was dort zürn Siege

Der Einfluß des japanischen Holzschnittes
auf die europäische Malerei des 19. Jahrhunderts
(VorirnA von Linil ?r66iorin8, rotoiierd von Han8 INN^roin)

Winterhilfe ist Pflicht jedes Deutschen
 
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