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Kunst der Nation — 3.1935

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Funk, P.: Kurt Schwippert: ein rheinischer Bildhauer
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Haftmann, Werner: De Selectione Academiae
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Hieber, Hermann: Mißbrauch des Films
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https://doi.org/10.11588/diglit.66551#0008

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Kunst der Nation

Lebens besonders stark an, in den „Sinnenden",
den „Tanzenden", dem „Singenden Knaben" wie
den „Singenden Frauen". Sie alle sind aus
dem Körperausdrnck, aus

tum uus Hoffuuug für die junge deutsche Kunst,
dessen Reifung uns bewundernde Zuversicht gibt.

der fragenden Haltung
nichts als Erwartung,
hingebend harrend, ob
sie, wie das „Mädchen
mit der Blume" (1933),
frei aller Erdenschwere,
weltentrückt dahinschrei-
ten, ob sie, wie die „Sin-
nende" (1934), die Arme
am Kopf kreuzend, Kom-
mendem entgegensehen,
ob sie, wie die „Junge
Frau" (1933) oder das
„Bauernmädchen" (1932)
die Frage an das Leben
stellen.
Wie SchwiPPert aus
dem warmwirkendeu
Elfenbein einen kleinen
Kruzifixus bildet, ganz
fließend in den Formen,
ohne Härten im Aus-
druck leidvoll erlösenden
Opfers, so findet er im
edlen alten Holz, aus
dem Material und gleich-
sam in das Material
hineinarbeitend, zu den
Gipfeln größerer Pla-
stiken. Nirgends wäre
die Durchgeistigung des
plastischen Werkes, das
wahrhaft Abstrakte dieser
Kunst so sichtbar, wie
hier, wo sich ein Reich-
tum des Empfindens in
ganz zarter Formfüh-
rung zu einem Stil von
bezwingender Reinheit
auslebt. Hochgerichtet,
schon über die kraftvollen
Konturen der „Rück-
blickenden" und des
„Liebespaares" hinaus
zu reinem Ausdruck ge-
führt, wurden eine
„Wartende Frau" als
Gestaltung des Weibtums
und eine „Madonna"
zum Mysterium des
Lebens im Bildwerk.


Wir stehen vor einem
Schaffen, dessen Reich-

Gcrhard Marcks, Geschwister. 193-t. Tcilaufnahme

De Heleetione
Ut- , ... . . ^<VL»tz^«!SeN »'m «IN'.

Zukunft und Schicksal unserer heutigen Bild-
hauerei wird durch Preisverteilungen in nichts
geändert werden, sie beweisen nichts, geben besten-
falls ein Bild von der Institution, die jeweils das
Richteramt innehat. Sie beweisen für das Faktum
nichts!
Der diesjährige Staatspreis für Bildhauer,
dessen Verteilung die Akademie zu entscheiden
hatte, stellt sich hierin durchaus nicht außer der


Kurt Schwippert, Grabstein. Modell

Reihe. Es ist wie immer: der Meister Meister-
schüler sind die Zukunftsvollen, was nebenan ge-
schieht, und sei es das Arbeiten an einem Vor-
wärtsweisenden künstlerischen Gedanken, der neu
ist, steht abseits. Indessen ist die Tatsache des
Meisterschülers noch sehr gering, sie besagt keinen

Wert für die Zukunft, sie besagt, sofern mail das
Wort in direktem Sinne nimmt, genau das
Gegenteil.
Die heutige Bildhauerei hat ihren Weg ganz
neben der Akademie schon gefunden, die Entschei-
dung siel aus einen Boden erregtester Aus-
einandersetzung, den „der Professor" weder ge-
willt noch imstande zu gehen war. Die jungen
Bildhauer suchten sich selbst ihre Lehrer, die dann
ihre Klassiker wurden: es sind die Künstler der
Romanik, es sind die frühen Griechen und es ist
Maillol — die Akademie ist es nicht mehr.
Der diesmalige Staatspreis gab Anlaß zu
solchen Bedenken, der Wahl und der Aufstellung
wegen.
Darüber lohnte sich aber nicht zu sprechen,
wenn nicht einige Arbeiten dagewesen wären, die
von einer erstaunlichen bildhauerischen Ent-
schlossenheit aussagten, die einfach und unge-
künstelt die Arbeit der Bildhauerei wegen leistet
und nicht eines gewollten Eindrucks wegen. Gleich
im ersten Kabinett unter einer Menge unbe-
scheidener Ungeheuerlichkeiten die ganz einfache,
stille und gefaßte Arbeit Primms, ein stehender
Junge. Die Arbeit hat einen ganz erstaunlichen
Reiz durch das ganz feste bildhauerische Bekennt-
nis, das hinter ihr steht, das die Körperfreude
karg und fest zügelt und jeden Ausbruch betonter
Innerlichkeiten sofort unter das Gesetz der
strukturellen bildhauerischen Form nimmt. Dabei
ist die Auffassung fern allem Dogmatischen in
einer weiten und fast heiteren Freiheit, lebendig
in einem sehr stillen Sinne, lebendig unter dem
zügelnden Aspekt der Form, der eine starke Emp-
findung ihre dogmatische Unbedingtheit nimmt.
Im Mittelsaal (gegenüber der theatralischen Ku-
lisse eines Prometheus) Schoberths große schrei-
tende Frau; einen ganz eindringlichen plastischen
Formtrieb bereichert Schoberth durch eine ganz
naive Freude an den voluminösen Einzelereig-
nissen eines menschlichen Leibes, die ganze Arbeit
stark und prächtig modelliert. W. Schelenz hat
einen ausgezeichneten Mädchenkopf da, der eine
natürliche Rundheit zu einem sehr schönen plasti-
schen Ereignis umdichtet. Seine große Arbeit, den
„sinnenden Mann", hat man ihm durch eine
unmögliche Aufstellung totgestellt (das Bronze-
relief steht auf dem Kopf!). Georg Weidekamp
gehört innerlich zu dieser Gruppe. Seine beiden
Akte, wo an manchen Stellen die Erinnerung an
Despiau kommt, sind von einer fast schmerzhaften
formalen Spannung, die zwischen stereometrischen
und kubischen Formen in einer eigentümlichen
Schwebelage aushält. Die beiden jungen Köpfe
haben dieselbe Dichte der plastischen Vorstellung
(der andere Frauenkops erinnert zu sehr an
Scharff). Die Gießschule halten Schoneweg, die
sehr empfindsame Hilde Broer und der stärkste
Schumacher, dessen Kriegsreliess Wohl als einziges
Mal eine Ahnung geben von den Ängsten, die in
einer Zeit liegen. — Den Staatspreis bekam
Robert Stieler, der Meisterschüler von Klimsch.
M. Uncktmarin

Mißbrauch des Ulms

Das Wort „Kitsch" ist zwar älter als der
Film, aber es kam durch ihn erst recht zu Ehren.
Es gibt „Kitschmaler", „Kitschromane", „Kitsch-
opern", aber das ist alles kein Vergleich zu
„Kitschfilmen". Es scheint, daß die beiden Wörter
sich magnetisch anziehen, so häufig verbinden sie
sich miteinander. Das kann doch Wohl nicht so
von ungefähr sein.
Zunächst hat es viele Jahre gedauert, ehe sich
das bewegliche Lichtbild von der Jahrmarkts-
bude und dem Tingeltangel in das eigene „Thea-
ter" durchmauserte. Aber auch dann noch —
sagen wir: zwischen 1910 und 1914 — hatten die
Gebildeten ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich
nachmittags (abends hatte man im Konzert oder
Theater zu erscheinen) einmal um die Ecke in den
„Kintopp" schlichen. In der Nachkriegszeit kam
dann mit so vielen anderen Umwertungen die
Anerkennung des Films als Kunstwerk. Die
alte Ästhetik, die die primitive Handarbeit zur
Voraussetzung des künstlerischen Wertes machte,
kam ins Wanken. Streng genommen war sie
schon sehr viel früher erschüttert worden: als
Mozart „Stücke für die Orgelwalze", also ein
mechanisches Musikinstrument, komponierte. Viel-
leicht haben sich schon im 15. Jahrhundert be-
sonders ästhetisch gestimmte Gemüter darüber
aufgeregt, daß Kalender, Gedichte, Romane nicht
mehr mit der Hand geschrieben, sondern — o
Graus! — gleich in Hunderten von Exemvlareu
mit der Druckpresse hergestellt wurden. Ebenso
erging es mit den Holzschnitten und Kupfer-
stichen: die herrlichsten Einfälle Dürers, Rem-
brandts, Goyas wurden mechanisch vervielfältigt.
Es ist also Unsinn, zu behaupten, daß erst das
von allen Musen und Grazien gemiedene neun-

tät und Schund aufzuweisen. Ein Verhältnis,
das vielleicht noch günstiger ist als in der deut-
schen dramatischen Produktion. Die Schweden
und die Russen beantworten unsere Fragen Wohl
am deutlichsten. Sie sind unterlegen, weil sie


zehnte Jahrhundert mit seiner geistlosen Ma-
schinenarbeit der Kunst den Garaus gemacht
habe. Der Drang zur Vervielfältigung der
Einzelleistung läßt sich bis ins späte Mittelalter
zurückverfolgen. Es ist demnach nichts mit der
bequemen Gleichung Handarbeit — Kunst, Ma-
schinenarbeit — Kitsch. Es geht auch nicht an,
zu behaupten, nur der Kulturfilm habe Daseins-
berechtigung, nicht der Spielfilm. Wir brauchen
uns Wohl nicht erst bei dem Nachweis aufzuhal-
ten, daß der Film etwas grundsätzlich anderes ist
als das Theater. Das ist schon vor vielen
Jahren in mustergültiger Klarheit dargelegt
worden durch den Russen Pudowkin und den
Ungarn Bela Balasz. Übrigens beweist es die
Praxis immer wieder aufs neue. So kompli-
ziert auch das Herstellungsverfahren des Films
(den Tonfilm nicht ausgenommen!) sein mag —
der Wertunterschied der einzelnen Erzeugnisse ist
unendlich groß.
Hand aufs Herz: Steht die dramatische Pro-
duktion der letzten zwanzig Jahre wirklich so hoch
Mer der Filmproduktion des gleichen Zeit-
amcsr 'MU-wa ,vlr NUS veil zer-

Gerhard Marcks Photo: R. Fromme, Bln.
unrentabel gearbeitet haben. Sie konnten ge-
schäftlich nicht durchhalten.
Und damit kommen wir auf den Kern der
Sache. Die großen Erfindungen unserer Tage
sind ursprünglich dazu bestimmt, Segen zu
stiften. Film, Schallplatte, Rundfunk find be-
rufen, künstlerische Genüsse zu verbreiten, sie an
jeden einzelnen Volksgenossen heranzubringen.
Welch eilt gewaltiger Kulturfortschritt! Aber
die Menschen in ihrer Prositwut machen finan-
zielle Ausbeutungsmittel daraus.
Kunst — na ja, ganz schön. Wenn die Film-
industrie eine Eingabe macht um Ermäßigung
der Lustbarkeitssteuer, beruft sie sich gern auf
ihre „Kulturbedeutung". Mahnt sie aber ein
Kritiker daran, dann wollen sie nichts davon
wissen. Dann heißt es: „Sie scheinen zu ver-
gessen, daß wir Geschäftsleute sind". Sie wollen
dann auf einmal keine künstlerischen Erfolge
mehr einheimsen, sondern „Publikumserfolge".
Kansner vurfen verarmt..ch nnyt srmstehen, son-

vrechen, wenn wir ein
Dutzend Theaterstücke von
bleibendem Wert auf-
zählen sollen? Wie leicht
fällt es uns dagegen,
drei Dutzend künstlerisch
vollkommen einwand-
freie Bildstreifen herzu-
zählen! Auch dann,
wenn wir so streng sind,
den ganzen Fritz Lang
samt Murnau auszu-
scheiden. Wenn wir nur
Werke wie „Die Hose",
„Die Weber", „Das Ka-
binett des Doktor Cali-
gari", „Variete", „Die
Flamme", „Dirnentra-
qödie", „Madame Du-
barry", „Aschenbrödel",
„Mädchen in Uniform",
„Anna Boleyn", „Blauer
Engel", gelten lassen?
Nicht einmal der Ein-
wand kann uns wider-
legen, daß die Filmtitel
so' unendlich abgeschmackt
seien: man könne schon
daran die Kulturlosigkeit
der ganzen Gattung ab-
lesen. Sind die Komö-
dientitel „Finden Sie,
daß Konstanze sich richtig
verhält?" und „Lauf doch
nicht immer nackt her-
um!" etwa vornehmer?
Aber wir wollen ja
gar nicht den Film um
jeden Preis verteidigen.
Wir wissen, daß der Be-
darf an Kinostücken un-
endlich viel größer ist als
der an Dramen, weil
diese sehr viel länger
lausen können als jene.
Wenn auf ein gutes
Theaterstück fünf schlechte
kommen, so ist das Ver-
hältnis beim Film viel-
leicht 1 : 20. Wir weh-
ren uns ja nur gegen
die Behauptung, daß
dieses ungünstige Ver-
hältnis im Wesen des
Films selber läge, in
seinem mechanischen Cha-
rakter. Die schwedische
und die russische Produk-
tion, die beide zum Er-
liegen gekommen sind,
sprechen dagegen. Die
haben — wie neuerdings
auch die Franzosen und
die Engländer — ein we-
sentlich günstigeres Ver-
hältnis zwischen Quali-






Kurt Schwippert, Zeichnung (Ölkreide)
 
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