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Kunst der Nation — 3.1935

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Pietzsch, Gerhard: "Der Günstling" von Rudolf Wagner-Régeny: eine neue Oper
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Eckstein, Hans: Der Maler Max Beckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.66551#0019

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Anzelpreis ZV -s

!lr. 4 Seiner Jahrgang

Zweite Zebruar-Sr., 1SZ5

Line neue Oper

„Der Günstling

Von Rudolf Wagner-Regenh

Max Beckmann

Hvlzsnger

Erscheint am 1. und 15. jeden Monats und kostet vierteljährlich nur Mk. 1,80, jährlich Mk. 7,20. Zu beziehen durch
den Verlag „Kunst der Nation G. m. b. H.", Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118, durch die Post oder den Buchhändler.
Der Einzelversand erfolgt durch das Postzeitungsamt. Wir bitten daher bei unregelmäßiger Zustellung zuerst beim
zuständigen Postamt oder Briefträger zu reklamieren und nur, wenn das erfolglos ist, wende man sich an den Verlag.
Zahlungen auf Postscheckkonto Berlin 55241. Auslieferung für den Buchhandel Otto Klemm in Leipzig.

teiligten, ist unter dem Eindruck eines viel größeren
Ringens, bei dem es um Sein oder Nichtsein
unserer Nation geht, seit einigen Jahren abgeflaut,
und wir tun gut daran, uns wieder einmal an
einem kurzen Überblick über die künstlerischen
Ereignisse der letzten Jahre klar zu machen, wo wir
jetzt stehen.
In der Zeit unmittelbar nach den: Kriege wurde,
gewissermaßen unter dem Zwang einer äußeren
Notwendigkeit, noch verhältnismäßig viel ge-
schaffen. Es galt, die künstlerischen Bollwerke der
Vorkriegsgeneration immer wieder erneut zu er-
schüttern. Als dann die Generation der um 1900
Geborenen, der radikalen Fortschrittler, ihren:
Schassen eine gewisse Daseinsberechtigung in Oper
und Konzertsaal erkämpft hatte, konnte man ein
starkes Nachlassen in der Produktion beobachten.
Sogleich erhoben sich von neuen: die Stimmen
der ewigen Pessimisten, die uns das Ende der Oper
als Kunstgattung prophezeiten. Diesen sei schon
hier gesagt, daß wir an ihre Voraussage nicht
glauben, daß wir dieses Nachlassen besonders im
Opernschaffen vielmehr als eine notwendige
schöpferische Pause, als ein Sammeln von neuen,
unverbrauchten und von Parteien und Richtungen
unbeeinflußten Kräften betrachten. Erinnern wir
uns doch einmal daran, daß von Beethovens
„Fidelio" bis zu den: folgenden epochemachenden
Werk der deutschen Operngeschichte, Carl Maria
von Webers Oper „Der Freischütz", weit mehr
Jahre vergingen und eine ganze Generation sich
in fruchtlosem Schaffen abmühte!
In diesem Jahre sind nun bereits zwei Werke
erschienen, die besondere Aufmerksamkeit ver-
dienen und die sicherlich auch überall die ihnen
gebührende Beachtung finden werden: Ernst
Richters „Taras Bulba" und Rudolf Wagner-
Regenys Oper „Der Günstling", die uns in: fol-
genden anläßlich der soeben mit größtem Beifall
aufgenommenen Uraufführung besonders be-
schäftigen soll. Unsere Frage muß lauten: Unter-
scheidet sich diese Oper von dem Schaffen der
jüngsten Vergangenheit und welches sind die Merk-
male, die auf eine veränderte Einstellung zur
Gattung „Oper" schließen lassen?
Das Opernschaffen der Nachkriegszeit ist charak-
terisiert durch das Nebeneinander mehrerer Genera-
tionsschichten, das wie in allen Zeiten künstlerischer
Gärung zu einen: heftigen Kampfe führte. Sind
zwischen diesen Künstlern auch die Grenzen fließend
und läßt sich bei der zeitlichen Nähe auch noch nichts
Endgültiges sagen, so stellt sich dieser Kampf doch
im großen und ganzen als eine Auseinandersetzung
des künstlerischen Wollens der Generation der
Söhne mit der der Väter dar. Diese ältere Genera-
tion, von der wir nur die wichtigsten Vertreter
nennen wollen, war weder im Hinblick auf ihre
künstlerische Herkunft noch hinsichtlich ihrer Ziele
durch eine geistige Willensgemeinschast fest zu-
sammengeschlossen. Humperdinck, Pfitzner und
Richard Strauß kamen vom Musikdrama Richard

diesem Maler. Es ging uns vor diesen Bildern,
wie sie Beckmann in den ersten Jahren nach den:
Kriege malte, ganz ähnlich wie bei Wedekinds Ge-
stalten: man fühlt sich von der Grimasse angegriffen,
eben weil aus ihr Wahrheit spricht. „Es geht zu-
nächst eine physische Gewalt von diesen Gemälden
auf uns aus", schrieb ein nicht eben freundlicher
französischer Kritiker, „man prallt drei Schritte
zurück."
Was Beckmann vor dieser Zeit (1920—1925) und
später malte, sieht anders aus. Seine Wandlungen
sind viel besprochen worden. Manche sind durch sie
an ihm irre geworden. Bindend und lösend, stauend
und weckend wirkten Umwelt und Zeitbeschaffenheit
aus dieses Talent ein. Aber trotz aller und in aller
Wandlung verriet das Werk Charakter, der Konstanz
voraussetzt. Es waren keine durch mehr oder
minder oberflächliche Modeerscheinungen bestimmte
Scbwankungen, sondern Wandlungen im Gleichen,
der gleichen Substanz. Um jede Stufe und Form
seiner Entwicklung hat Beckmann schwer gerungen.
So unzusammenhängend beim flüchtigen Hin-
schauen die Teile seines Werkes erscheinen, so hält
sie doch das intensive Ringen um seelischen Ausdruck
und seine bildgemäße Objektivierung zusammen.
Hier ist bei Beckmann das eigentliche innere Motiv,
das ihn von innen Bewegende zu suchen, dem gegen-

Seine Kunst ist ein Bekenntnis. Ihre Inhalte
lassen uns fragen und rätseln. Sie verleiten zu
einem psychologischen Kommentar und zu Deu-
tuugsversuchen ihres den: Gegenständlichen ver-
hafteten Gehalts, der an sich das Künstlerische
noch nicht einschließt, es hier aber tut, weil die Kraft
des Beckmannschen Bildnertalents ausgreifend
genug ist, um solche bedeutungsvollen „Inhalte"
zu vergeistigter Form zu verdichten. Dieser Beck-
mann ist als Kämpfer gegen eine nut Wahnsinns-
vorstellungen erfüllte Zeit zweifellos ein inter-
essanter psychologischer, zeit- und geistesgeschicht-
licher „Fall". Sein Werk ist in eigenartiger Weise
dem allgemeinen Zeitschicksal verhaftet. Man mag
zum Teil darin, zum Teil in der formenden Kraft,
die sich in dieser Kunst bekundet, eine Erklärung dafür
finden, daß das Beckmannbild einen Bannkreis aus-
strahlt, der selbst den Widerstrebenden zwingt, sich
mit ihm auseinanderzusetzen, einen Zugang zu
suchen. Das abschließende Urteil, Verdikt oder
Begeisterung, es wird kaum ohne Leidenschaft ge-
sprochen werden. Der bestürzende Wirklichkeits-
gehalt dieser Kunst läßt keinen Beschauer gleich-
gMig.
"Wirklichkeitsgehalt"? Obsckwn die Lebens-
^cyreu^'iu"' v:^"m .nuchueu nünuiMns^zeu^
u>e:se in höllische Clownerie und kreischenden
Karneval zu verflöchten schien? Zu solch arabesken-
haft ausgeformten Alpträumen konnte nur ein
Maler kommen, der sich leidenschaftlich in das
Stoffliche der Zeit verbeißt, der aus moralischen:
Fanatismus das Ekelhafte feststellt und doch an
ein Besseres glaubt. Etwas von: paradoxen Pathos
unv der heftigen Menschlichkeit Wedekinds ist in

szenen mit Gesang zur Oper. Diese drei „Richtun-
gen" haben nun trotz ihrer Verschiedenheiten etwas
Gemeinsames: die überragende Bedeutung des
Orchesters für den Aufbau des Werkes. Primär
ist nicht mehr das gesungene Wort und die gesang-
liche Linie, sondern die instrumentale Phrase bzw.
die tänzerische Geste. Die menschliche Stimme ist
dem orchestralen Geschehen als besondere Klang-
nuance eingefügt, das gesungene! Wort hat aber
nur mehr die Bedeutung der Erklärung und Ver-
deutlichung dieses Geschehens.
Diesen: stark klangbetonten Musizieren der
älteren Generation standen die um 1900 geborenen
Musiker von vornherein feindlich gegenüber. Ihr
Kamps ging aber nicht gegen jene Meister allein,
sondern zugleich gegen das Musikdrama Richard
Wagners, ja, gegen die Opernkunst des 19. Jahr-
hunderts überhaupt. Sie glaubten nur dadurch
zu einen: neuen, eigenen Stil gelangen zu können,
wenn sie das Wesentliche dieser älteren Oper, die
ihr eigene Klangsinnlichkeit und die für ihren
Aufbau wesentliche Liebeshandlung, von Grund
auf zerstörten. Das Mittel, dessen sie sich be-
dienten, war die Persiflage und die bewußte
Verleugnung alles dessen, was sich bisher als
„richtig" und für unser musikalisches Hören als
Fortsetzung Seite 4

Der Kampf um die Gewinnung eines neuen Wagners her, dessen ästhetische und theoretische
Opernstiles, der in der Nachkriegszeit heftig ein- Grundlagen sie jedoch sehr bald, vor allem Richard
setzte tum dem ück Mt,'ükliebbaber. miMae Strauß, ^bei stärkerer.AuWräguna ilnerEic^m
^üMer ui^Ägici7fN)asue: in g:e:cher Weise ve? '"Perso n ucmetk".imvuoeten. sJyre Ochern wnine nnm
als sinfonische Opern bezeichnen. Neben ihnen
standen d'Albert und Schreker, die die lyrische
Oper, so wie sie in Italien durch Puccini umge-
formt wordeu war, weiter pflegten. Die dritte
Richtung sei durch Strawinsky gekennzeichnet, ob-
wohl er mehr einer Zwischengeneration zuzu-
rechnen ist. Er gelangt von der Pantomime, der
getanzten dramatischen Handlung, über Ballett-

über die gegenständlichen Motive nur der nach
außen fallende Reflex darzustellen suchen. In dieser
starken Bezogenheit auf innere Erlebnisse bekundet
sich ein eigentümlich — auch manche Gefahren in
sich bergende — Deutsches. Gerade die deutsche
Kunstgeschichte ist reich an Künstlern, die uns die
Frage vorlegen, ob ihre Geistigkeit, ihre meta-
physischen Aspekte oder das gemalte Erlebnis größer
seien. Bei Beckmann trifft das bloß Visionäre
glücklich mit einer starken formenden Energie und
einem zupackenden Wirklichkeitssinn zusammen.
Wohl gibt es unbezwungene Formungen in seinem
Werke, doch mehr noch Dinge subtilster Gestaltung
und nichts, was nicht innerlich und ursprünglich
wäre.
Der junge Beckmann hat die ihm von seinen
Lehrern übermittelten Gestaltungsmittel mit Ta-
lent, mit Geschmack und mit erstaunlichem handwerk-
lichem Geschick gemeistert. Es fällt gewiß nicht
schwer, mit den: Finger auf einzelnes zu weisen,
wo die formende Kraft des Schülers zu schwach war,
wo seine künstlerische Vorstellungskraft die großen
Formate nicht zu füllen vermochte. Die Absicht
des jungen Menschen war ost größer als das ge-
malte Ergebnis. Seine „naturalistischen" Bilder
in ihrer malerischen Gesamthaltung imposant, er-
regten vor dem Kriege in der Berliner Sezession
Aufsehen.
In dem Kreis um Corinth sah man in den:
jungen Beckmann eine der verheißungsvollsten Be-
gabungen. Die frühen dunklen Einzel- und
Gruppenbildnisse haben im beseelten Ausdruck
mehr hatte dann Beckmann die Körper plastisch
gerundet, herausgewölbt.
Schon vor dem Kriege wagte sich Beckmann an
große Aufgaben. So malte er in Riesensormaten
eine Auferstehung, eine Amazonenschlacht, wobei
er das Zeitlos-Mythische zu aktualisieren strebte.
Er wollte von dem fragwürdig gewordenen dekora-
tiven Lyrismus des Stillebens Wegkommen. Er
trug schwer an unbestimm-
ten seelischen Spannun-
gen, an einem Mißtrauen
gegen die auch von ihm
selhst noch so ernsthaft ge-
nommenen Fassaden, die
das Vakuum verdeckten.
Sein Pathos war ohne
Gegenstand, immer et-
was eine Geste der Ver-
legenheit, mit der er
auch erschütternden Kata-
strophen der unmittelba-
ren Gegenwart zu Leibe
ging, als er das Erdbe-
ben in Messina oder den
Untergang der „Titanic"
malte.
Die große „Sterbesze-
ne" von 1906 schien neue
Möglichkeiten zu eröff-
nen. In ihr kommt der
junge Maler — er war
damals zweiundzwanzig
Jahre und hatte für
seine gutdurchdachte, wohl-
ausgewogene Komposition der jungen Männer
am Meer den Florenzpreis des Deutschen Künstler-
bundes erhalten — nahe an den Munchschen Nihilis-
mus heran. Ein weniger eigenwilliger, weniger
charaktervoller junger Künstler wäre in dieser Art
fortgefahren und zu einen: Munch-Epigonen ge-
worden, dem man, eben der Anklänge an den
großen Norweger wegen, Beachtung geschenkt
hätte. Beckmann aber entging der Gefahr der
dekorativen Kurvatur einer Munchnachfolge, der
er in dem Bild von 1906 inneres Leben gegeben
hatte. Beckmann hat sich an die größere Aufgabe
gewagt, wo auch die größere Gefahr für ihn "lag.
Er wurde sich seiner Unzulänglichkeiten bald bewußt.
Er wollte Form als Träger der Lebensfülle und
erkannte die Gefahr, nut solcher Absicht zu einem
nut Gefühl betrachteten Dekorationsstil zu kommen.
Als Sanitäter an der Front schrieb er 1915: „Ich
hoffe, allmählich immer einfacher zu werden, immer
konzentrierter im Ausdruck, aber niemals, das weiß
ich, werde ich das Volle, das Runde, das lebendig
Pulsierende aufgeben, im Gegenteil, ich möchte
es immer mehr steigern — das weißt Du, was ich
nut gesteigerter Rundheit meine: keine Arabesken,
keine Kalligraphie, sondern Fülle und Plastik".
Es ist fraglich, ob Beckmann zu der Wirklichkeits-
fülle des Bildes gekommen wäre, die er anstrebte,

Der Maler
Max Beckmann
Von Hans Eckstein




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