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Kunst der Nation — 3.1935

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Hetsch, Rolf: Deutsches Edelzinn im Wandel der Stilgeschichte
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Kroll, Br.: Alexander Fischer
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Heuer, Alfred: Polnische Kunst im hamburger Kunstverein
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https://doi.org/10.11588/diglit.66551#0023

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Kunst der Nation

71»«

sormation allenthalben vollziehen, schafft auch für
den Zinngießer neue bildnerische Aufgaben, zu
deren Lösung er oft genug auf fremde Vorbilder
zurückgreift. Es sind mythologische und biblische
Themata, die nun von den rein kirchlichen Zwecken
dienenden Gegenständen auch auf solche profaner
Bestimmung übergehen, auf Gerätschaften des täg-
lichen Gebrauchs; Teller, Becher, Kannen, Schüsseln
werden mit religiösen Motiven und antiken Sagen-
stoffen verziert. Hans Sebald Beham und Peter
Flötner, Hans Wild, Virgil Solis und andere be-
kannte Meister der Graphik stehen bei dem Relief-
bild und Ornamentschmuck offensichtlich Pate.
Aber als Leistung höchst individueller Art und
insofern als eigenster schöpferischer Beitrag des
Zinnhandwerks zu den: Gesamtbild der deutschen
Renaissancekunst zu bewerten ist die berühmte
Temperaniaschale des Caspar Enderlein aus Nürn-
berg, die anfangs des 17. Jahrhunderts entstand
und nut den Arbeiten des Lothringers Francois
Briot zu den größten Kostbarkeiten der europäischen
Edelzinnkunst unbestritten zählt.
Schon im Barock macht sich mehr und mehr
eine anders gewollte und darum anders geartete
Richtung, welche in engsten: Zusammenhang mit
den: befreiten, bejahenden, festlich gestimmten
Lebensgefühl jener Epoche steht, geltend. Nicht
allein daß neue Inhalte sich in den Erzeugnissen
der barocken Zinnkunst finden, wie etwa die zahl-
reichen Willkommshunrpen und Schenkkannen, die
uns von dem Wohlstand der Zünfte, ihren Festen
und Tafeleien anschaulich sprecheu, auch die Zinn-
gerätschaften selbst erfahren eine tiefgehende Wand-
lung. Gegenüber den früheren Stilperioden, die
sich durch eine schlicht und herb anmutende Formem
welt auszeichneten, herrscht nun überall eine üppig
Dolumiöse, malerisch wirkende und auf Effekte
bedachte Gestaltung im Kontur und Ornament,
die am Ende des Barock, im Rokoko, eine immer ein-
deutigere sormauflösende Tendenz und bewußte
Asymmetrie zur Schau trägt.
Mit der Stilphase des Directoire und Empire
setzt eine Entspannung und Beruhigung des be-
wegten barocken Formwillens ein und eine Be-
sinnung auf die edle Einfalt und stille Größe der
Klassik, die notwendigerweise zu einem schalen,
blutleeren Klassizismus führen mußte. Die durch-
aus als vornehm gedachte und empfundene Kunst-
äußerung jener Zeit findet gleichfalls im Zinn ihren
Niederschlag: Schokoladenkannen und Tabak-
kästchen, Konfektteller und Anbieteplatten bilden
modische Erzeugnisse, ihre aus der Antike entlehnten
Details wie Lorbeerkränze, Greifen und Karyatiden
spiegeln die spielerische Laune jener Generation
und Kultur wieder. Die rein bürgerliche Note, die
mit dem Biedermeier auch in: Zinn absolut in
Erscheinung tritt, beherrscht das ganze Jahrhundert,
die sinnlose und formlose Reaktion des Jugendstils,
der besonders in: sogenannten „Kayserzinn" sich in
den verwegensten und skurillsten Bizarrheiten ge-
steh erweist die erschreckende Ohnmacht und den
beklaaenswerten Tiefstand der Kunst vor dem
Kriege.
Ein Menschenalter ist seitdem verflossen und
eine junge Generation, die durch die Notzeit der
letzten Jahrzehnte geläutert und gestählt wurde,
ist am Werk. Sie bewahrt das Erbe einer großen
ruhmvollen künstlerischen Tradition, sie ist mit
besten Kräften beseelt, das Gute und ewig Gültige
Der Vergangenheit sich zu eigen zu machen und es
um die schöpferische Leistung der eigenen Persön-
lichkeit vernrehrt als ein Zeugnis deutscher Hand-
werkskunst unserer Zeit in die Zukunft zu tragen.
Und in Anbetracht der Schöpfungen moderner
.Zinnkunst ist man gewiß, daß sie eine neue ver-
heißungsvolle Blüte erlebt, denn gerade heute, da
wir um unserer Armut willen uns wieder zum
Zinn freudig bekennen und die Schönheit dieses
schlichten Materials mehr denn je schätzen, blicken
wir voll Stolz auf die einstige Größe und hervor
ragende Geltung der deutschen Edelzinnkunst, er-
blicken wir in ihr ein lebendiges Abbild nationaler
Kunst und Kultur. Kolk Ick e t § c Ii.
Münckener Lünstler
Alexander Fischer
Er gehört der jüngsten Münchner Bildhauer-
qeneratwn an und ist sonnt ganz aus unserer
Zeit. Er ist einer, der sich an der Akademie ehr-
lich um die handwerklichen Grundlagen seiner
Kunst mühte, dann aber bald eigene Wege ging.
Bereits als Akademiker. Er konnte dies. Denn
in Bernhard Bleeker fand der junge Lernende
einen von pädagogischem Feingefühl souders-
gleichen ausgestatteten Lehrer, der in ahnender
Voraussicht die uaturkräftig keimende Begabung
richtig einzuschätzen wußte und in feiner Liberali-
tät die seiner eigenen Auffassung ganz entgegen-
gesetzte Art tatkräftig förderte.
Obwohl Fischer das dreißigste Lebensjahr voll-
endet hat, steht sein Schaffen schon in: Mittelpunkt
bildhauerischen Interesses. Seine Werke sind von
einer Volkstümlichkeit, um die ihn ältere Kollegen
beneiden könnten. Sie wird geschätzt vom Laien
wie vom Kenner. In vielen Museen stehen die
Plastiken an bevorzugter Stelle. Sie strahlen von
Dort ein Geheimnis aus, das jedeu in den Bann
schlägt. Dabei fehlt es diesen Werken an jeder
einschmeichelnden Anmut, sie sind frei von jeder
konventionellen, aber von der Menge so heiß be-
gehrten Schönheit. Seine Tiere benehmen sich
nicht so fein erzogen wie bei Gaul, dem verstor-
benen vornehmen Berliner Tierbildner. Auch
nicht liebenswürdig, kokett, kapriziös, wie bei
manchem anderen Künstler der Jetztzeit, der sicher
gut beobachtet und mit einer reizenden Drolerie
gestaltet, aber gerade deshalb manchmal ins
Spielzeughafte, ins Kunstgewerbe gleitet. Fischers
Tiere sind elementarer, tiefer erfaßt, leidenschaft-
licher gestaltet. Ihre Natur ist lebendiger, ge-
waltiger, schwerer, animalischer, von dörflicher,

polnische Kunst
im Hamburger Kunstverein
Von Alfred Heuer


Weinkanne aus Württemberg 17W
ländlicher Wildheit — ein unheimliches Drän-
gen.. . Und des Künstlers Sehnen ist es nun:
dies Drängen, dies ungebärdige animalische Sein
einzufangen in eine gleichfalls elementare künst-
lerische Form. Keinen Augenblick verläßt Fischer
dieses intime Verhältnis zur Natur.
Naturalistisch, besser realistisch, ist also die
Formbehandlung. Die Werke wehren die das
Plastisch-Runde erfühlen wollende Hand energisch
ab. Erst für das zurücktretende Auge bauen sich
die Werke sinnvoll auch im plastischen Sinn auf.
Wohl schafft das Licht irr tiefen Kratern und
Buckeln ein unstetes Leben. Aber es entmateriali-
siert nicht die Materie. Auch die Statik wird
keineswegs ausgehoben. Alle Werke sind aufs
beste unterbaut. Und plastisch in jenem eminent
geistreichen Sinne, wo selbst Hohlräume durch das
Medium des dyuamisch-rhythmischen Elementes in
plastische Werte umgewandelt scheinen. Und wie
wohl tut es, in dem grenzenlosen und ungeheuer
faden Reich des bloß Formalen, das von Gene-
ration zu Generation vorwärtsgetrieben wird,
endlich einen zu sehen, der unmittelbarstem Leben
unmittelbar überzeugende Form zu geben weiß.
Und das ist das Geheimnis dieser Kunst.
Wer sich so außerhalb aller Tradition stellt, die
das Ergebnis einer großen, alle Erfahrung klären-
den bildnerischen Lebensweisheit, hat es nicht
leicht. Ur. Kroll.

Tagelang hatte ich den vom Nobelpreis ge-
krönten Roman des polnischen Dichters Neymont:
„Die Bauern" gelesen (Verlag E. Diederichs, Jena),
diesen Gesang von der „heiligen urewigen" Erde,
von den mythischen Zusammenhängen zwischen
Mensch und Natur. Mein ganzes Innere war er-
füllt von diesen an homerische Schönheit ge-
mahnenden, mit holzschnittartiger Wucht dem Leibe
der Sprache aufgeschnitzten Bildern, Gemälden
und so flackernder Glut urtümlicher Farben, daß
ein Nolde sie gemalt haben könnte. Ich empfand
Ehrfurcht vor einem Volke, das irr unserer Zeit aus
der Tiefe seines Volkstums, aus kosmischer Ver-
bundenheit ein solches Werk als Ausdruck seiner
Frömmigkeit und seines Sehnens schaffen konnte.
Wahrlich, wem: etwas die Brücke zu schlagen ver-
mag zwischen unserem und dem polnischen Volke,
so sei es diese gewaltige Dichtung, in der Blut von
unserem Blute kreist. — Und nicht zuletzt: ich trug
einen Maßstab in mir, an dem sich die polnischen
Leistungen auf dem Gebiete der bildenden Kunst
messen ließen.
Es sei gleich im voraus gesagt: die polnische
Ausstellung, die soeben im Hamburger Kunstverein
als erste in Deutschland eröffnet wurde (Graphik,
Volksholzschnitte, Textilien, Kleinplastik), sie reiht
sich würdig jener Dichtung an; sie besteht. Dieselben
schöpferischen Kräfte strömen in jenen Volks-
holzschnitten, die — wie der feinsinnige Dozent
der Warschauer Universität, vr. Treter, im Vor-
wort des Verzeichnisses schreibt — auf uralte
polnische Volkskunst zurückgehen. Diese alten
Druckstöcke wurden erst 1921 in einem polnischen
Kloster nahe der ostpreußischen Grenze gefunden
und dann auf altem Papier abgezogen. Zwar
entstammen sie erst dem 18. bis 19. Jahrhundert,
stellen aber alte polnische Motive dar, die von
Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurden. Un-
bekannte „Herrgottsmaler", deren Namen man all-
mählich zu entziffern beginnt, zogen damals von
Dorf zu Dorf, schnitzten vorwiegend religiöse Motive
in Linden- oder Pappelholz, kolorierten die Drucke
mit Schablonen — ähnlich wie unsere Neuruppiner
Bilderbogen. Einige Holzschnitte von mehr dekora-
tivem Gehalt wurden anstatt der Tapeten aus die
Wand geklebt; man stelle sich ein solches Zimmer
— farbiger als die Delfter Kacheln — in seiner
malerischen Wirkung vor!
Mit Recht betonte der Leiter des Kunstvereins,
l> Muthmann, dem wir diese Ausstellung ver-
danken, in seinen einleitenden Worten, daß die
eigentlich nationale Kunst der Polen auf dem Ge-
biete des Holzschnittes liege. Man möchte hinzu-
fügen, wie wesensverwandt dieses „hölzerne Polen"
den Deutschen ist, dem alten deutschen Holzschnitt
wie der Blüte des Holzschnittes in der Gegenwart
von Heckel bis Nolde. Immer war der Norden

die eigentliche Heimat der Kunst des Holzes, einen
Barlach kann man ohne diese Verbundenheit mit
dem Holz nicht verstehen. Gerade unsere Gegenwart
nut ihrer Vorliebe für alle primitive Kunst wird aus
diesem polnischen Volksholzschnitt Anregung emp-
fangen können — ähnlich wie das 18. Jahrhundert
aus der Entdeckung des japanischen Farbholz-
schnittes. Wie umgekehrt der neue deutsche Holz-
schnitt berufen wäre, die polnische Kunst zu beein-
flussen.
Stofflich tritt uns in diesen alten Holzschnitten
dieselbe Welt entgegen, die wir aus dem Bauern-
roman Reymonts kennen; er erzählt uns von der
Fertigkeit polnischer Mädchen, bunte Papierstreifen
zu Kunstwerken auszuschneiden, Ostereier künst-
lerisch zu bemalen. Dieselbe naive, überquellende
Freude am Erzählen lebt sich in diesen Holzschnitten
aus, die eine so reine Frömmigkeit atmen — so
jener warhaft monumentale Holzschnitt des leiden-
den Christus, die Madonna von Loretto, die Blut-
male des Heiligen Franziskus. — Ich weiß, nach
diesen Holzschnitten werde ich Sehnsucht emp-
finden! —
An diesen bodenständigen alten Holzschnitt
knüpft der moderne polnische Künstler nckt sicheren!
Instinkt an. Denn nach anfänglichen: Schwanken
nach dem Kriege hat sich die polnische Kunst wieder
auf ihre eigene Quelle besonnen. Nach Wyspianski,
der vor allem als Maler hervortrat, nach Wyczol-
kowski (für uns Deutsche ist seine Lithographie des
Veit-Stoß-Altares in der Marienkirche zu Krakau
wichtig) schafft Skoczylas (1883—1934) einen
eigenen nationalen Holzschnittstil. Äußerlich ent-
lehnt er seine Motive dem Volksleben der Berg-
bewohner der Hohen Tatra, den Gorealen. Ur-
sprünglich Plastiker — er hat an der Akademie
in Leipzig studiert — schneidet er fast in Grab-
stichelarbeit in das Hartholz die klare Schönheit
seines linearen Stiles. Die Aufteilung der Fläche
ist lebendig wie im alten Holzschmttstil. Sein
Feuertanz lodert wie Chopinsche Musik. Sein
Beethovenkopf zeugt von einer besonderen Kraft
der Auffassung und Gestaltung. Im Räuberzug
sind die 5 Gesellen ganz hineingenommen in den
mächtigen Zug der Wolke; der Parallelismus
ihres Schreitens wirkt mit der Wucht Hodlerscher
Marschrhythmik. — Unmöglich, auch" nur an-
nähernd dem Reichtum der Ausstellung gerecht
zu werden. Unmöglich, die Fülle junger Be-
gabungen der Gegenwart riiieh nur m. nonuon-
Borowski, Konarska, Kulisiewicz, Obrebska, Mro-
zewski usw.
Auch die wollene:: Klims (Wandteppiche), her-
gestellt in den Werkstätten Lad in Warschau, gehen
gleichfalls auf alte bäuerliche Kunstgestaltung
zurück. In Form und Farbe sind sie nach den-
selben künstlerischen Gesetzen aufgebaut wie der
Holzschnitt. Die kühne Auf-
teilung der Fläche, das feine
Muster, die leuchtende Farbe
zeugt von jahrhundertelanger
Überlieferung: Edelste Volks-
knnst!
Die Kleinplastik — wie-
der hat man das Holz bear-
beitet —, ausgeführt von
Schülern der Staatsschule
für Holzindustrie iu Zakopane,
erinnern an Arbeiten unserer
Flensburger oderWarmbrun-
ner Schnitzschulen. Wohl spürt
man in diesen Werken das
Vorbild der bedeutenden
Bildhauer Polens Dunikowski,
SzczepkowskhZamoyski. Auch
diese Plastiken wahren die
Materialgerechtigkeit, verwen-
den die jeweilige Farbigkeit
ausgesuchter Hölzer, zeigen
eine Formvereinfachung. Wie
die Plastik aus dem Block her-
auswächst, gleichsam in ihn
eingeschmolzen ist und doch
monumental wirken soll, erin-
nert an gleiche Formenlösun-
gen in der deutschen Plastik
der Gegenwart.
Schließlich offenbaren
auch die Keramiken wie die
Metallarbeiten den Willen zu
eigener gesunder neuer Form.


Alexander Fischer

Sich beißendes Pferd, Bronze. Bes.: Städi. Galerie München

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In der Schweiz gibt es auch dieses Jahr in der
Zeit nach Weihnachten eine Anzahl bedeutender
Ausstellungen. Kurz nachdem das Züricher Kunst-
haus Franz Marc, KarlHofer und Cha-
gall gezeigt hatte, eröffnete die Berner Kunst-
halle eine umfassende Übersicht über das Schaffen
Paul Klees (250 Werke) und das Luzerner
Kunstmuseum eine fast kunsterzieherische Schau
„These, Antithese, Synthese". Das Interesse an
den Ausstellungen ist groß, am größten an der
Paul Klees. 0 r.

Kunstverein, Stadtmuseum
Otto Engelhardt-Kyffhäuser, Görlitz:
„Frontbilder eines Lausitzer Malers"
^61'IilT
Berliner Sezession,
Budapester Str. 24:
„Zusammenschluß 1934"
Ausstellungsraum Buchholz,
Leipziger Str. 119/20:
„Junge Bildhauer"

Galerie Gurlitt
C. M. Schreiuer, Düsseldorf, L. Waldschmidt,
Georg G. Kobbe (Gedächtnisausstellung).
Galerie v. d.Hehde
Paul Holz, Hans Jaenisch, Maria Rasch.
Galerie Möller
L. Feininger, Miiller-Oerlinghausen.
Nierendorf.Dix, Lenk
Schöneberger Ufer 38.
Nierendorf.Theodor Lux
Lützowufer 19 a.
Verein Berliner Künstler,
Tiergartenstr. 2a:
„Württembergische Künstler"
 
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