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Kunst der Nation — 3.1935

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Ausstellungen, 2, Dresden
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Dorner, Alexander: Wilhelm Busch: als Zeichner und Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.66551#0010

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4

Kunst der Nation

Wilhelm Vusch
M L. L
Von
A. Dörner
Ul „Komnrlvesen", wie er es nennt, die eher eine


Wilhelm Busch, Landschaft <Ll)

I.
Wenn man das Werk Wilhelm Buschs vom
Standpunkt der bildenden Kunst betrachtet, so
sind die Bildergeschichten seine eigentliche Domäne
und seine schöpferische Nenleistnng. Seine ganze
Lebensenergie hat sich in sie ergossen. Hier konnte
er sich von allem befreien, womit die Welt und
ihr Lauf ihn bedrückte. Er überwindet die Welt,
indem er über sie lacht. An der Art dieses Lachens



Wilhelm Busch, Zeichnung
können wir den Zustand seines Inneren ablesen
wie an einem Barometer.
Seine ersten Karikaturen aus der Düsseldorfer
Zeit haben eine Komik, die kein Lachen hat, son-
dern ein Gelächter. Eine fast hämische Kälte
spürt man in Zeichnungen, etwa in der des gnom-
haften Malers, der mit seiner langen Pfeife in
den Bettkissen versinkt, oder einer Selbstkarikatur
mit der Ballonmütze aus der Münchener Zeit.
Ebenso starr und kalt ist der Witz in seinen ersten
Bildergeschichten, die seit 1858 in den „Fliegen-
den Blättern" erschienen. Wenn der Jacob
Niederweyer nicht hingerichtet werden kann, weil
er einen Buckel hat, oder wenn der Justizrat deu
Delinquenten Heß „um den einzigen Gefallen
bittet, sich doch hinrichten zu lassen", so können wir
nicht lachen. Ja, das Ende des „Eispeter", der
als „Sülze" in einem großen Topf neben ein-
gemachten Gurken fteht, hat geradezu etwas
Rohes.
Interessant ist zu sehen, wie auch die künst-
lerische Form noch starr ist. Sie hält sich an den
Stil Ludwig Richters, und die feste Umriß-
zeichnung mit den plastisch schattierten Formen
hat mit dem Witz noch keine innere Gemeinschaft.
Wenn die langatmigen Unterschriften und Titel
die Bilder nicht erklärten, wäre eine Komik kaum
vorhanden. In allem spürt man den Ekel, mit
dem der Dreißigjährige die Welt betrachtet, und
die schneidende Kälte in Inhalt und Form seiner
humoristischen Zeichnungen, mit der er diesen Ekel
abreagiert.
Erst bei „Max und Moritz" (1865) beginnt
die Wandlung. Hier kommt Fluß in die stockende
Bewegung der Gestalten. Die künstlerische Dar-
stellung wird selbständig und der Text wird das
Sekundäre. Aber immer noch ist diese seelische
Verfassung der Figuren grimassenartig wie ihr
Außeres. Und was für eine schneidend bittere
und kalte Kritik am Mitmenschen steht bei
näherem Zusehen hinter dem Humor dieser Ge-
schichte.
Daun aber wandelt sich der Ekel vor der Welt
in die Positivere Form des kampflustigen Angriffs.
Die Psychologie des Witzes wird feiner, und die
bildliche Form verlebendigt. Busch selbst hat ge-
spürt, daß er von der bildartigen Ranmdarstellung
alten Stils abrücken und hinstreben müsse zu
einer Konzentration ans die Linien, die das Nene
des Witzes auch neuartig zum Ausdruck bringen,

Verzerrung ertragen, ohne daß es ihnen wehe tut.
So kommt er von selbst zu einer Abstraktion
von der Wirklichkeit, in der die modernen Er-
scheinungen der bildenden Kunst bereits enthalten
sind. Im „Virtuos" (von 1865) will er den
inneren seelischen Vorgang in seiner Übermäßig-
keit zum Ausdruck bringen, und so sprengt er re-
volutionär alle bisherige Form und kommt zum
Expressionismus. Ja, er hat sogar den Mut, hier
eine futuristische Multiplikation der Glieder zu
bringen, die später noch einmal bei „Balduin
Bählamm" vorkommt, wo ihm der Zahn gezogen,
wird. Im übrigen ist es die Ausdrucks-
linie, die in einer bewußten Verzerrung der
natürlichen Form immer mehr verfeinert und
verinnerlicht wird, und so mit der seelischen Ver-
tiefung und gefühlsmäßigen Differenzierung des
Witzes Schritt hält.
Beim „St. Antonius" (1869), beim „Hans
Huckebein, dem „Pusterohr", der „Schöneu
Müllerstochter", dem „Schreihals", dem „Pater
Filuzius" und auch noch in der „Frommen
Helene" (1872) und in dem „Geburtstag" (1873)
ist viel von dem harten Spott und einer tiefsitzen-
den Menschenverachtung. Dann aber beginnt mit
der Knopp-Trilogie (1875/77) und den „Haar-
beuteln" (1878) die klassische Periode seiner
Bildergeschichten. Die Verfeinerung der psycholo-
gischen Beobachtung geht Hand in Hand mit einer
Mäßigung des Hasses. Der reine Tatwitz, das
Groteske der Zusammenstöße nimmt mehr und
mehr ab. Die Linie wird lebendiger und aus-
drncksfähiger und von einer Feinheit der Charak-
terisierung, die unübertrefflich ist. Die Extensität
macht der Intensität Platz, und ans dem feind-
lichen und sarkastischen Gelächter wird mehr und
mehr ein mitfühlendes, versöhnendes Lachen. Die
Vorgänge werden immer möglicher, die Helden
der Geschichten immer mehr unsere Nächsten.
Das Reifste und Reichste sind seine Bilder-
geschichten aus den achtziger Jahren. „Plisch und
Plum", „Maler Klecksel" und als Krone von
alleni „Balduin Bählamm". Man denke bei den
zwei Jungen aus „Plisch uud Plum" au die
maskenhafte Starre von „Max uud Moritz"!
Balduin Bählamm aber, der auszieht, um Gott
zu loben mit seineil lyrischen Gedichten, ist doch
das Höchste, was Karikatur an Verinnerlichung
lind Vertiefung leisten kann: Möchte man diesen
in seiner Charakterschwäche und Weltfremdheit
hilflosen und unglücklichen Menschen nicht manch-
mal bei der Hand nehmen und ihn schützen gegcn

das grausame Lebeu, das seine schwachen und ver-
zärtelten Ideale zerreißen muß? Lächelt hier
uicht vielleicht der menschenscheue Idealist
Wilhelm Busch selbst durch Tränen über sich
selbst? Es ist keine Frage; hier hat der Mensch
uns sein Inneres geöffnet. All die Stelle der
frühesten Kälte lind der späteren angriffslnstigen
Verhöhnung ist das warme Miterleben, das Mit-
leid getreten. Der harte Panzer, der sein Inneres
voll der Welt trennt, ist abgelegt, und so fließt
jetzt der volle Strom seiner inneren Wärme lind

Zartheit ungehindert in die Gestalten seiner
Kunst. Es entspricht das dem inneren Wandel,
den wir bei ihm aus seiuen Worteu verschiedent-
lich feststellen können. An die Stelle der
hoffnungslosen Verneinung ist eine stille Resigna-
tion und der Glaube getreten, daß das, „was im
Kongreß aller Dinge beschlossen ist, ja auch Wohl
zweckmäßig und heilsam sein wird".
Seine letzten Bildergeschichten sind der Höhe-
punkt seines Könnens. Sie stellen zugleich inner-
halb der europäischen Kunst eine schöpferische
Leistung ersten Ranges dar. Es gibt zu seiner
Zeit nichts, was annähernd so modern im besten
Sinn des Wortes gewesen ist, nichts, was an In-
halt und Form so weit in die Zukunft vorstieße,
wie seine Bildergeschichten.
II.
Seine Bedeutung als Maler spielt daneben
eine geringere Rolle. Sie ist aber noch immer
größer, als Busch es je zugegeben haben würde,
und auch größer, als die Kunstgeschichte es bis-
her weiß.
Sein ganzer Werdegang als Maler unter-
scheidet sich dadurch von dem anderer Künstler, daß
er unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor sich geht.
Busch hat nie eine Ausstellung beschickt, er hat
nie eine Kritik von außen her erfahren. An
den Akademien zu Düsseldorf, Antwerpen uud
München war er von feiten der Lehrer nur Ein-
flüssen ausgesetzt, die er überwinden mußte. Denn
er hat von Anfang an sehr deutlich gespürt, was
seiner Art entsprach. Seine wirklichen Lehr-
meister sind die alten Niederländer, vor allem
Vrouwer, Franz Hals uud Ostade geweseu, und
sie haben in seiner Male-
rei immer wieder Pate
gestanden. In Antwer
Pen, wo er die ersten
großen Eindrücke von
ihnen erhielt, schreibt er
am 26. Juni 1852: „Von
diesem Tage an datiert
sich die bestimmte Gestellt
meines Charakters als
Mensch und als Maler.
Er sei mein zweiter Ge-
burtstag."
Diese Erkenntnis hat
ihn ans seinem Wege als
Maler und Zeichner nicht
als ruhiger Stern beglei-
tet. Denn während Buschs
Entwicklung als Mei-
ster der Bildergeschichten
einen geraden Weg von
dem Plastisch schattie-
renden Stil in der Art
Ludwig Richters zu der
stetig wachsenden Locker-
heit und Ausdruckskraft seiner „Konturwesen" un-
beirrt und konsequent verfolgt, ist sein Werde-
gang als Maler und als Zeichner von einer
auffallenden Unruhe. So mutet es manchmal
an, als ob das Werk zweier getrennter Meister
nebeneinander herliefe, hier die Bildergeschichten
und dort die Gemälde und die Zeichnungen. Das
ist doppelt verwunderlich, weil ja gerade die un-
ermüdlichen Studien nach Menschen, Tieren und
Pflanzen seit den 50er Jahren die Grundlage
für die Sicherheit und Ausdruckskraft der Bilder-
geschichten gegeben haben.
Busch war schon 1851 auf der Düsseldorfer
Akademie von der Tüftelei des Gipsekopierens zu
einer etwas breiteren und tonigen Manier ge-
kommen und hat diese in Antwerpen unter dem
Eindruck der alten Niederländer noch weiter aus-
gebildet. Dann fällt er in die Art M. v. Schwinds
und entwickelt in sauber schattierten Umrissen ein
technisches Können und ein künstlerisches Fein-
gefühl, die man als vollendet bezeichnen muß.
So bleibt es auch iu den ersten Münchener
Jahren. Erst seit dem Brannenburger Aufenthalt
(1858) beginnt in Malereien und Zeichnungen das
Interesse an der Lichtwirkung, die die fest nm-
reißende Form auslöst. Aber schon ein oder zwei
Jahre danach scheint die stark farbige Lichtmalerei
seines Freundes Lenbach ihn irritiert zu haben.
Verbunden damit aber ist ein kaum begreifbarer
Rückfall in eine dilettantische Unsicherheit, die erst
allmählich anfhört, als Busch unabhängig von
Lenbach offenbar selbständige Studien der Licht-
malerei macht und dabei in einen rosagelben Ton
und eine fette, breite Pinselführung verfällt.
Aber auch dieser Weg wird Plötzlich wieder
verlassen. Man wird im Anfang der siebziger
Jahre nicht zu Unrecht auf eine erneute Ein-
wirkung von feiten Lenbachs schließen, der in-
zwischen seinen altmeisterlichen dunklen Stil ge-

sunden hatte. Auch Busch studiert jetzt die alten
Niederländer sehr genau.
In seinen Zeichnungen macht er in diesen
Jahren zwischen 1858 und 1874 Exkursionen, von
denen in seinen Bildern nichts zu spüren ist.
Neben vorsichtig ausgelockertem Landschaften,
figürlichen Studien und Karikaturen im Zei-
chenstile Ludwig Richters, drängt sich bis etwa
1865 ein an Rethel erinnernder Zeichenstil vor,
der in gedrechselten, plastisch knotigen Formen
einen ganz anderen Weg geht. Dies ist die
Quelle und die Geburtsstunde der „Kontur-
wesen", und damit führt, wenn man den Zu-
sammenhang seststellen will, der Weg der Busch-
schen Bildergeschichten vom altdeutschen Holz-
schnitt über dessen Erneuerer Alfred Rethel.
In den Anfang der 70er Jahre fällt als kur-
zes Intermezzo in Frankfurt die Beschäftigung

Wilhelm Busch, Landschaft (Öl)


mit der Plastik, mit der Silhouette und der
Radierung. Er macht einige Porträtbüsten und
Reliefs der Familie Keßler, kleine Putten und
Genreszenen, schneidet Schattenrisse und versucht
Radierungen nach seinem Bruder Otto.
Erst um 1875 laufen wieder die Wege seiner
Ölmalerei uud seiner Zeichnung zusammen.
Neben, zarten Bleistiftzeichnungen spielen mehr
und mehr breit getuschte Pinselzeichnungen die
entscheidende Nolle, und auch iu der Malerei be-
ginnen der breite Pinsel und die „Ton"malerei
zu siegen. Um 1880 entstehen die ersten für
Busch so typischen Landschaften, deren schönste
Wohl die „Große Landschaft mit den weidenden
Kühen" des hannoverschen Museums ist.
Von hier aus wird die Wendung verständlich,
die zu einem Höhepunkt in der malerischen Ent-
wicklung Wilhelm Buschs führt, nämlich zur
Periode seiner Hellen Landschaften von etwa
1886/7. Hier gibt es Bilder von einer Lichtheit
der Atmosphäre, von einer Helligkeit und Rein-
heit der Farben, die alles übertreffen, was seine
Generation in Deutschland geschaffen hat. Busch
löst hier, offenbar ohne irgendwelche Beeiu-
flussung von außen, etwa von Frankreich her,
das Problem des Impressionismus auf seine Art.
Aber das bleibt nur ein Intermezzo. Busch
kehrt wieder zu seiuen geliebten Niederländern
zurück. Am Ende der 80er Jahre drängen sich die
braunen und grauen Töne wieder vor, der Farb-
auftrag wird wieder derber uud fetter, bis er
schließlich am Anfang der 90er Jahre nur noch
ein Sturm rücksichtslos hingehauener Striche ist,
der bei dem immer kleiner werdenden Format der
Bilder doppelt virtuos erscheint. Alles entnimmt
er seinen flämischen Vorbildern: den juwelen-
haften Glanz der Farben, die Abfolge der Land-
schaftsgründe vom kräftigen Braun des Vorder-
grundes über das leuchtende Blaugrün der
Mitte bis zum fernen Blau, den tiefblauen Him-
mel, das leuchtende Rot der Staffage und auch
das Blau uud Rot der Jacken in seinen Genre-
bildern, das nur manchmal in Grün und Rot ab-
gewandelt wird. Bei den in hellbraunem Ge-
samtton gehaltenen Bildern dagegen haben Hol-
länder, wie A. v. Ostade, Pate gestanden.
Unter diesen kleinen, virtuos hingehaueneu
Bildchen gibt es einige, die W. Busch als Maler
zum zweitenmal auf einer einsamen Höhe zeigen.
Der Drang, das innere Erlebnis darzustellen,
führt ihn auch hier auf den völlig neuen und für
seine Zeit unerhörten Weg des Expressionismus.
Bildchen, wie das „Des Monds im Sommer-
wald", lösen sich völlig von der bisherigen realisti-
schen Betrachtungsweise und suchen in über-
steigerten „unnatürlichen" Farben allein das
innere Erlebnis zum Ausdruck zu bringen. Sie

Wilhelm Busch, Ölgemälde



Wilhelm Busch, Zeichnung aus Vetter Franz aus dem Esel. 18K8
 
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