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Kunst der Nation — 3.1935

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Plenk, Joseph: Über den Standort der modernen Kunst in der deutschen Revolution
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Heuss, H.: 75 jähriges Jubiläum der Chemnitzer Kunsthütte
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Paul, F.: Dir und Lenk: Gemeinschaftsausstellung in Berlin bei Nierendorf
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Kunst der Nation

3


Otto Dix

Pyoto Scherl

75 jähriges Jubiläum
der Chemnitzer Kunsthütte

Es ist geradezu erstaunlich, in eitler Industrie-
stadt von geringer kultureller Vergangenheit so
lebendiges Interesse für bildende Kunst anzutrefsen,
wie es sich in einer großen Jubiläumsausstellung
aus Privatbesitz kundgibt. Man hat berechtigte
Veranlassung, diese erfreuliche Tatsache zum großeu
Teil der unablässigen Einwirkung der Kunsthütte
zuzuschreiben, die seit ungefähr 25 Jahren, seit ihr
im neuerbauten König-Albert-Museum brauchbare
Ausstellungsräume zur Verfügung stehen, aus ihrer
früheren provinziellen Enge herausgetreten ist lind
sich durch ausgezeichnete und selbständige Verau
staltungell einen guten Ruf über ganz Deutschland
zu verschaffen verstanden hat.
Die Jubelfeier fand am 2. Februar unter An-
wesenheit des sächsischen Vvlksbildungsmiuisters
Or. Hartuacke statt. Pfarrer W. Hoffmann, ein
trefflicher Ludwig-Richter-Kenner, fand in seinem
Festvortrag mutige und sarkastische Worte über
besserwissendes Banausentum. In der gut aus-
gemachten Festschrift bat er seme Anstckwm über
Kunst und Volk medergetegt, vobei er allerdings
u. E. deur Problem insofern nicht ganz gerecht
wurde, als er die schwere Zugänglichkeit der Kunst
in ihren letzten Äußerungen übersah oder doch
wenigstens nicht hinreichend betonte. Die Festschrift
enthält eine Anzahl Beiträge, die sich fast alle
mehr oder weniger mit dem schwierigen Komplex
der praktischen Aktivierung künstlerischen Erlebens
beschäftigen. Befremden muß die Abhandlung über
Deutsche Malerei in 75 Jahren, die in der unmittel-
baren Nachkriegsentwicklung und zum Teil auch im
Impressionismus wesentlich nur volksfremde, ver-
derbliche Einwirkungen erblickt.
Der großen Jubiläumsausstellung
aus Privatbesitz merkt mau die Sorgfalt
an, nut der die expressionistische Episode bis auf
wenige, unverfängliche Aquarelle ausgeschaltet
wordeu ist (aus einer ähnlichen, kleineren Veran-
staltung vor sieben Jahren ist uns noch sehr wohl
gegenwärtig, in welch bedeutenden: Umfang die
unbelastete Industriestadt nach dem damaligen'Vor-
bild der erst 1920 endgültig gegründeten Städtischen
Kunstsammlung gerade Bilder der mit der Chem-
nitzer Gegend so stark zusammenhängenden Brücke
erworben hatte). Im ganzen hält sie ein aus-
gezeichnetes Niveau; wesentlich treten zwei Ab-
schnitte stärker hervor.
Da ist zunächst die heute so beliebte ältere
Dresdner Schule, deren Entwicklung von
den: Barockmeister Thiele über Dietrich Zu Klengel
man gut verfolgen kann; die eigentliche Romantik
verkörpern einige'nicht bedeutende Mondschein-
ruinen von Carus und schone Studien von Ferd.
Oehmes, Venus, Reinhold u. a. (ein trefflicher
C. D. Friedrich hängt in: Museum). Den späteren
Landschafter Rudolf Schuster lernt inan in meh-
reren Beispielen immer mehr schätzen.
Aus den guten Bürgerstuben gelangten zahl-
reiche feine Bildnisfedes Biedermeiers an die
-Öffentlichkeit. Der geschmackvolle Gotth. Schreiber
stammt aus Chemnitz, die anderen Maler, soweit
die Namen überhaupt bekaunt, kommen aus den
beiden anderen sächsischen Großstädten. Der Leip-
ziger Hennig verleugnet in ganz natnrnahen Damen-
porträts sein glattes Nazarenertun:, das dein:
Publikum hochbeliebte Kinderbild von Jul. Hübner
erscheint uns zu geleckt, den reizenden zwei Mädchen
von Kersting merkt man die Meißner Porzellan-
malerei an. Aber alles steht weit zurück gegen die
vier großen Raisky; immer stärker schiebt sich dieser

Heine Zeitschrift ist i>ie
„Kunst -er Nation!"

wahrhaft bedeutende und vornehme Maler in den
Vordergrund der Wertung.
Eine ausgezeichnete Vorstellung bekommt man auch
von dem Frankfurter Kreis. Wilhelm Bohle lernt
man in etwa einein Dutzend repräsentativer Bilder
so gut wie selten kennen, die Steiuhausenfchen Land
schäften gehören zu seinen erfülltesten, Trübner im
poniert durch fabelhaft gemalte Pferde. Die nach
außen noch wenig bekannte Chemitzer Künstler-
gruppe verdient eine besondere Besprechung.
Außerdem: ist das graphische Werk
v o n A d v l P h M e n z el ausgestellt, in: wesent-
lichen des auch als Sammler romantischer Zeich-
nungen bekannten Konsul Karl Heumanu. Sie eut
hält eine Anzahl sehr seltener Stücke und kann sich
ebenbürtig neben die ersten ihrer Art stellen; An-
ordnung und Katalog sind gleich mustergültig.
ül. lck e u 8 8
Dix und Lenk
GenlcinfchaftS-Attsstellttttg in Berlin
bei Nierendvrs.
Otto Dix, der in Randegg, nicht weit von:Boden
see, wohnt, und Franz Lenk haben diesen Sommer
in einer Art Arbeitsgemeinschaft verbracht und viele
Landschaften in: Hegau und in der schweizer und
schwäbischen Umgebung gemalt. Die gegenseitige
Einwirkung ist unverkennbar, aber sie geht nicht
bis ins Eigentliche der persönlichen Auffassung; hier
behauptet jeder seine Art ganz unzweideutig. Man
möchte den Künstlern wünschen, daß sie sich öfters
zu kameradschaftlichemArbeiten zusammentäten, um
sich aneinander zu beweisen und zu steigern. Die
Dresdner „Brücke" war, nach den Nazarenern und
der Mareesschule, eine solche fruchtbringende Ka
meradschaft, und der „Norden" zeigt uns abermals
ihren Wert. Die Ausstellung der voneinander
doch recht stark unterschiedenen Dioskuren bei
Niereudorf (au: Schöneberger Ufer) ergibt nut
ihren: klugen Durcheinanderhängen der beiden und
Vermischen von Ölbild, Aquarell und Zeichnung,
ein Beispiel, wie so ein Gemeinschaftswerk zur An-
schauung zu bringen sei.

Franz Lenk hat seine Bildform in fort-
schreitenden: Maße gelöst, wie man beim Vergleich
nut früheren Arbeiten feststellen kann. Bilder des
letzten Sommers, wie die aquarellierte Hegau-
landschaft und die großartige Räumlichkeit der
brauuen Herbstlandschaft mit Hohentwiel, ja schon
die etwas zurückliegende Moorlandschaft mit den
eindrucksvollen Baumgespenstern und die Insel
Reichenau, zeigen ein schönes, zur Stimmung hin-
überweisendes Verwischen des knochigen Gerüstes,
das für seine weitere Entwicklung Gutes erhoffen
läßt. Bei diesem Künstler, der sehr ehrlich um sein
Ideal ringt, darf es nicht heißen: näher heran an
die Natur, sondern ernsthaft sich von ihrer Unerbitt-
lichkeit ein wenig zu entfernen, um die notwendige
Lockerung zu erfahren, die ihn befreien soll.
OttoDixhat sich zum erstenmal grundsätzlich
der Darstellung der Landschaft zugewendet, wohl
nicht ohne Einwirkung Lenks, und damit die all-
mählich notwendig gewordene Verjüngungskur au
seiner Knnst vollzogen. Er überrascht die Freunde
durch die Frische und schöpferische Kraft seiner Land-
schaftsmalerei aufs freudigste. Wie gut hat ihn: die
Zurückgezogenheit in: Hegau und die Gesellschaft
des Landschafters Lenk getan! Er malt jenes
wundervoll gebaute Grenzland zwischen Schwarz-
wald und Bodensee mit einer Frische, einer Emp
findung des Erdraunces und seiner dramatisch
erregten Atmosphäre, wie sie nur eiu Auge und ein
Herz vermögen, die zum erstenmal sich dein Eindruck
der Natur ganz und leidenschaftlich bingeben. Der
Arbeitersohn Dix, der seit seinen Lehrlingsjahren
nur in Großstädten gelebt und geschaffen hatte, ent-
deckt die freie Größe des Erdenraums, iu dessen
Mitte ihn ein scheinbar widriges Geschick verbannt
hatte, und seine schöpferische Kraft entzückt sich wie
eines Kindes Seele an dem ungewohnten Eindruck.
Die außerordentliche Form der Raum- und Luft
gestaltuug erinnert, wie kann es bei einem so ganz
deutsch formenden Künstler anders sein, an die große
Zeit der ersten Eroberung deutscher Natur durch
Dürer, Altdorfer, Baldung. Denu dies ist das Be-

merkenswerte an der Neueroberung der Landschaft,
daß Dix allerdings weder au die harte Sachlichkeit
eines Lenk oder die Romantik C. D. Friedrichs
denkt, noch gar an impressionistische Fehllösung,
sondern an die starke Synthese von Romantik und
Wirklichkeit, die wir schon einmal in höchster Voll-
endung vor 400 Jahren erlebt haben. Ich glaube,
daß es für ihn eiu guter Ausweg aus der Situation
der Gegenwart ist. Von der gleichen Stärke sind
seine Zeichnungen in Silberstift und Feder, Land-
schaft und Menschengesicht formend, in einer höchst
eigentümlichen Verbindung heutiger Psychologie
und der Urkraft Dürerischer Formenlinie.
IT ? 3 uI

Wer den Standort
der modernen Kunst
in der deutschen Revolution
Fortsetzung von Seite i
es auch, daß bisher von den „Vorläufern" der große
Formspezialist Cezanne eine viel stärkere Wirkung
ausgeübt hat wie der größere Marses. Der war
uämlich aufs Ganze losgegangen; allerdings, indem
er mit ungeheurer Mühe alle die Probleme ins-
gesamt für sich allein löste, die später erst einzeln
aufgerollt wurden. (Der Einzige, der — bezeich-
nenderweise erst nach seiner Auseinandersetzung
mit Cszanne! — den: Marses'schen Erbe wenigstens
nahen konnte, war Albert Weisgerber.)
Daß es um die Kuust herum allerlei „Inter-
essenten" gibt, auch unter den Künstlern: das war
wohl zu jeder Zeit. Und daß in dem wüsten Jahr-
marktstreiben der letzten Jahrzehnte, in der End-
phase einer untergehenden Gesellschaftsform, dieses
„Kunstleben" die Kunst besonders arg verballhornt
hat, wie sollte das anders sein? In dem artbe-
dingten Schicksal unserer Rasse lag zu dieser Zeit
ganz allgemein die „Spezialisierung", die auch uur
so überwunden werden kann, wenn sie durchgemacht
und überstanden wird. Schwer ist es da, die Grenze
zwischen dem Echten und dem Seltsamen und Sen-
sationellen und schließlich dem bloßen Bluff zu be-
stimmen und einzuhalten. Und so lag viel Anlaß zu
„Auswüchsen" des Kunsttreibens schon auch in der
modernen Kunst selbst — selbstverständlich. Auch
zum Einhaken von „artfremden" Einflüssen, die
den: eigenen artgeschichtlichen Phänotypus irgend-
wie konvergent waren. Es ist da übrigens sehr
beachtenswert: Wenn man von dem jüdischen Blut-
einschuß in nordischen Uradel bei dem ganz großen
Vorläufer Marses absieht — wodurch hier aus-
nahmsweise ein sehr genialer (und sehr unglück-
licher) Mensch geschaffen wurde. (Liebermann
kommt hier nicht in Frage; er ist ja kein „Moderner",

Photo Scherl

sondern Impressionist, also ein in die Gegenwart
hereinragender Repräsentant der längst vergangenen
hochbürgerlichen Zeit, wo nicht nur eine Ein-
schmelzung des jüdischen Volkes in die europäischen
Nationen für möglich gehalten wurde, sondern wo
auch — wer köuute das leugnen? — auf diesen:
Wege manches zustande kam, das für beide Teile
wertvoll ist. Heute jedoch — in einer Phase des
„Einatmens" bei beiden Völkern — ist die richtige
Form der Beziehung eine grundsätzlich andere wie
zur Zeit des Liberalismus: nämlich eine Ausein-
andersetzung im wörtlichen Sinne.)
Mit diesen: sehr flüchtigen Deutungsversuch der
modernen Kunst trachtete ich meine grundsätzliche
Anschauung des geschichtlichen Werdens zu skizzieren,
die ich lebensgläubig genannt habe. Ich glaube
nämlich an das Leben und an seine Selbstherrlich-
keit. Und deshalb glaube ich auch, daß das Leben
der Völker, Nationen nnd Rassen und das Leben
ihrer Kulturen und Künste wesentlich nur den
geheimnisvollen Gesetzen und Kräften der eige -
n e n Art gehorcht, die überhaupt nicht irren kann.
Irren kann nur unsere Auffassung, wenn sie die
notwendigen Denk- und Redeformen besonders
kausal-nmterialistischer und pragmatischer „Er-
klärungen" für — Wirklichkeit hält. Immerhin:
auch das Meinen und Urteilen, Fördern und Be-
kämpfen sind Kräfte, welche den: Gesetz der Art ge-
horchend mitwirken, wenn deren „geprägte Form
lebend sich entwickelt". Kräfte, welche wohl nicht
das Ziel verrücken, aber vielleicht den Weg so oder-
anders gestalten können. Deshalb muß man bei
der Deutung von Tatsachen vor allen: trachten das
zu erfassen, was auf ein Ziel und auf neue Gestal-
tungen weist. Ich möchte zum Schluß noch kurz
andeuten, wie sich das so verworrene Phänomen
der „modernen" Kunst aus diesem Gesichtspunkt
recht einfach darstellt.
Man ersehnt von der Kunst des dritten Reiches
einmal, daß sie „architektonisch" sei, d. h. geordnet,
klar und deshalb auch allgemein verständlich. Und
zum zweiten hofft man, daß sie wieder „volkstüm-
lich" werde, d. h. daß diese Kunst für das Volk und
das Volk für diese Kunst da sei. Dieses zweite
Wunschziel ist in dem ersten eigcnlich schon einge-
schlossen. Echte Baukunst und bauverbundene Kunst
sind immer ihrem Wesen nach Angelegenheiten
der Öffentlichkeit und der Volksgemeinschaft. Und
sofern es in „architektonischen" Zeiten Kunst zum
Privatgebrauch gegeben hat, war auch diese volks-
tümlich. Es wurde oben kurz darauf hingewiesen,

Peter Fisher, Tnschzelchiinnq



Franz Lenk
 
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