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Kunst der Nation — 3.1935

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Pietzsch, Gerhard: "Der Günstling" von Rudolf Wagner-Régeny: eine neue Oper
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Eichner, Johannes: Gabriele Münter
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Secker, Hans Friedrich: Eine Mosaikfigur von Mataré
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Eckstein, Hans: 20 Jahre Münchner neue Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.66551#0021

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Kunst der Nation



Sinüriele Munter

Musik

jolmnnes Riedner.

längst gefestigt ist, hat die Figur des hl. Thomas
von Aquin ausgeführt, die nun die weithin sicht-
bare Nische schmückt. Die tiefe Frömmigkeit und
geistige Sammlung, die dieses Werk ausstrahlt,
wachen es zu einen: Sinnbild, das tausende bon
„lebensnahen" Heiligenfiguren der letzten Jahr
zehnte durch die großartige Form und durch die
Reinheit der Gesinnung weit in den Schatten stellt.
Hier war die Innerlichkeit eines lauteren Herzens

Weise gesetzt zu sein, wie es im Mittelalter geschah.
Das Mosaik als Haut von Freisiguren ist schon im
14. Jahrhundert im deutschen Osten mehrfach geübt
worden; die acht Meter hohe strahlende Maria
nut den: Kinde am Außenchor der Marienburger
Schloßkirche ist ja das ruhmvollste Beispiel dieses
seltenen Verfahrens.
Was aber Matare von solchen Vorläufern unter-
scheidet, ist die neuzeitliche Beschränkung auf das

Urkörperliche, dein nur die letzte Form des Wesent-
lichen belassen bleibt. So ist eine einzigartige Ge-
schlossenheit des Eindrucks erreicht, die nur geistig
gesteigert wird durch de:: wahrhaft heiligen Aus-
druck des Entrücktseins, der gläubigen Auffassung
eines in der Gegenwart lebenden Meisters ent-
wachsen.

„Synthesen" der Anschauungsbildung zu ersetzen,
sowie das leuchtende Beispiel van Goghs. Nach-
haltiger noch wurde für Gabriele Münter der
Eindruck, den sie von der Volkskunst empfing. In
Oberbayern, namentlich am Staffelsee, wo sie
1908 ihre Wahlheimat sand, begegnete sie der
Überlieferung der nicht hier blühenden bäuerlichen
Hinterglasmalerei. An diesen schlichten Werklein,
die sie sogleich liebte und sammelte, merkte sie, was
sie selber brauchte, um frei uud echt sich auszu-
sprechen. In Nachahmung ist sie dabei nicht ver-
fallen. Aus allen Anregungen jener Zeit gewann sie
vielmehr in angespannter Arbeit und Selbstschulung
den wahren Ausdruck ihres Wesens, der unverlier-
bar bis zum heutigen Tag ihren Werken den
Stempel gibt.
Das Handwerkliche ist einfach und zupackend.
Kräftige Farbe baut das Bild, oft in geschlossenen,
satten Flächen. Das Gerüst der Gestaltung geben
dunkle Umrisse, die sondernd zwischen die Farben
treten und die Formen der Gegenstände verfestigen.
Es entsteht ein etwas schwerer Gesamteindruck,
auch bei glühender Buntheit und bei Hellen Bildern,
selbst dann, wenn Humor in der Darstellung
mitschwingt.
So kommt bei Gabriele Münter immer das Ge-
fühlte herzhaft, das Strömende gefaßt, das Sinnen-
frohe stark heraus. Die Tiefe und Verhaltenheit
der seelischen Regungen finden in der Schlichtheit
der Darstellung ihre Form. Gabriele Münter darf
die kleinen, unscheinbarsten Dinge lieben, ohne daß
ihre Bilder kleinlich und betulich werden. Sie bleibt
den Gefahren des Schwulstes und der Überhitzung
fern, wenn sie die gewaltigsten Eindrücke der Natur
aufgreift. Das Dunkel, das Geheimnis fühlt sie,
das in der Stunde der Stille wie Verzauberung um
die Dinge liegt, aber nichts Krankhaftes überspannt
solche Erlebnisse.
Und sogar erzählen kann sie, schildern — eine
Kunst, die durch das flache, sentimentale Bild
geschwätz des verflossenen Jahrhunderts in Verruf
gekommen ist. Das altmodische Zimmer füllt
sich wunderbar nut Musik, in die entrückte Menschen
versunken sind. Mit Karren, Gaul, Leuten, Himmel
und Häusern steht bunt und ungeordnet die Vorstadt.
In abendlichen Gärten spinnen sich Stimmungen
voll unsagbarer Beziehungen und Bedeutungen.
Und nichts von alledem ist weichlich, umständlich,
tantenhaft. Es ist wie Volkslied herb und schlicht.
Gabriele Münter schafft fern von allen Theorien
und allen Klischees, ihre Werke sind naturhaft und
müßten daher volkstümlich sein. Je weiter sich
echtes Empfinden wieder aufbaut, um so mehr wird
das Schaffen dieser Frau Liebe uud Anerkennung
finden.

Line
Mosaikfigur
von Matare

Von Hans F. Setter
Wem: man zu Schiff deu Niederrhein befährt,
sieht man unterhalb von Kaiserswerth eine Au
höhe nut riesigen Bäumen und zwischen ihnen,
die Ebene beherrschend, die Pfarrkirche von Witt-
laer. Dieses mittelalterliche Bauwerk hat euren
schlichten, wohlgegliederten Glockenturm aus ver-
wittertem dunkelgrauen Tuffstein und hebt sich
hinter Wiesen und hängender: Gärten malerisch
ab von den umgebenden alten Häusern — ein
Bild von liebenswerter:: landschaftlicher: Reiz. An
der den: Strom zugewandten Westseite des Turms,
zwei Geschosse über der Pforte, befindet sich ein
schlankes Nundbogenfenster vor: etwa drei Meter::
Höhe, das, als Öffnung entbehrlich, neuerdings
als Blendvertiefung vermauert wurde, um ein
Meisterwerk deutscher Bildhauerkunst der Gegen
wart in sich aufzunehnren. Dieses „Wagnis" ist
so vollkommen geglückt, daß es irr gleicher Weise
die Gläubigen wie den anspruchsvollen Kunstfreund
befriedigt und ein mustergültiges Beispiel dafür
bietet, wie hohe Kunst von heute sich einem ehr
würdigen alten Rahmen einzufügen vermag.
Der Aachener Ewald Matare, dessen Ruf als
Schöpfer großgesehener kleiner Tier-Bildwerke

rv Me
MWer AM SeMn
In der Neuen Pinakothek in Mönchen wird
oinit ein«' Ausstellung PMüj:chne.-r-K'ü''st" ge-
zeigt, die vielleicht nicht dein quanmativeu An-
teil nach, aber aufs wesentliche hin gesehen eine
Ausstellung der Münchner Neuen Sezession ist.
Die Neue Sezession besteht nnu zwanzig Jahre.
Ihre Ausstellung soll über diese zwanzig Jahre
eine Art Rechenschaftsbericht geben. Es sei
dankbar anerkannt, daß die Ausstellungsleitnng
der Neuen Sezessiou dazu Gelegenheit gegeben
hat. Obschon dieser Rechenschaftsbericht etwas
dürftig ist, hat sich die der Neuen Sezession
zugeständene größere Ausbreitnngsinöglichkeit
ans das Gesamtniveau der Ausstellung sehr
günstig ausgewirkt. Gegenüber fast 500 bei
der letzten Sommerschau ist die Zahl der Aus-
steller ° auf 90 vermindert. Jeder Künstler
kommt nut einer größeren Anzahl von Werken
zu Wort. Zum erstenmal kein Massenauf-
marsch wie noch bei der Ausstellung „Süd-
deutsche Kunst" im Spätherbst (die überhaupt
ein verunglücktes Unternehmen war), endlich
einmal mehr Qualität als Quantität! (Auch
die beiden anderen beteiligten Künstlergruppen,
die Künstlergenossenschaft und die (alte) Se-
zession, haben eine strengere Auswahl getroffen.)
Man hat bei weiten: noch nicht das Bestmögliche
erreicht, aber doch etwas Besseres, Eindrucks-
volleres als sonst.
Die Nene Sezession hat sich in: wesentlichen
daraus beschränkt, von jedem ihrer Münchner
Mitglieder mehrere Werke zu zeigen und mit
einer Kollektion von Bildern Albert Weiß-
gerbers das Gedächtnis an einen ihrer Grün-
der und eines ihrer reichsten, mindestens ver-
sprechendsten jungen Talente wachgernsen. Sehr
glücklich ist die Auswahl der Weißgerber-Bilder
leider nicht. Man hat die bekannten, nicht
durchaus überzeugenden, großforinatigen Bilder
des St. Sebastian, der Amazonen, der Mutter
Erde aus der Staatsgalerie entliehen. Doch
trifft man daneben wenigstens auch zwei in-
timere Bilder kleineren Formates, in denen
sich die eindringliche, kultivierte Malerei Weiß-
gerbers in ihrer vollen Kraft bekundet. Im
übrigen gehören zu den stärksten Eindrücken die
Bilder von Karl Caspar „Mutter und
Kind" und Weihnachtstryptichon, die frühen,
noch dunklen und auch stark nachgedunkelten
romantisch-phantasttscheu Bilder von Oskar
Coester aus der Sammlung Prager,
Scharls Arbeiterbildnisse, die von einer hef-
tigen Menschlichkeit zeugen, Edgar Endes
üefsinnig-grüblerische Allegorien, die Wand mit
den Bildern Heinrich B r ünes und Hans
R. Lichtenbergers. Plastiken und Zeich-
nungen vergegenwärtige:: das schöne Talent des
jüngst verstorbenen Fritz Wrampe.
Die Neue Sezession präsentiert sich in
dieser Ausstellung nicht tibel. Doch als „Rechen-
schaftsbericht" über die zwanzig Jahre ihres
Bestehens ist diese Schau nicht nur bescheiden,
sondern höchst unvollkommen und dürftig. Fast

mit künstlerischer Überlegenheit gepaart, hier war
die meisterliche Hand dein Stoff gewachsen, und
der Geist des gottesglüubigen Mittelalters feiert in
Matare eine empfindsame Wiedererstehung.
Was uns immer wieder an den Tierkörpern
dieses Künstlers bezaubert, ist das „Großsehen"
der Umrisse, das Vereinfachen, das Übersetzen des
Natürlichen ins Monumentale. Wer Augen hat, der
entdeckt noch mehr in diesen Bildwerken aus kost
baren: Holz und aus Bronze: eine liebevolle Ein-
fühlung uud eine ungewöhnliche menschliche Zart-
heit, die jedem dieser Lebewesen — sei es Kuh
oder Katze, Lamm oder Henne — eine Seele gibt.
Die Hand des Bildhauers geht über sie hin wie
ein sanftes Streicheln und ruft Gefühle der An
dacht vor der Schöpfung in unseren Sinnen auf.
Mu- aus des in: Glauber: wurzelnden Rhein-
länders nnnger Verbundenheit nut Gott und Natur
ist auch die festliche Größe des hl. Thomas zu er-
klären. Mataro gestaltet ihn als jugendlichen Ordens-
mann in: Kleide der Dominikaner, ganz still und
säulenhaft dastehend, nut weit offenen Augen auf
die göttliche Eingebung horchend. Vor der Brust
hält er das Zeichen der Eucharistie, und auf der
Schulter sitzt nahe dem empfänglichen Ohr des
gelehrten Mönches als Merkmal des Heiligen Geistes
die Helle Taube.
Bemerkenswert ist die handwerkliche Bearbei
tung der Figur. Sie besteht aus einem gewaltigen
Kern aus Gußmörtel, der mit Mosaik überzogen
ist; lediglich der Heiligenschein und die Taube sind
Zutaten aus weißen: Marmor. Äußerst zurück
haltend in der Farbe — nur dunkelbraune und elfen
beinweiße Steinchen sind verwandt —, verschmilzt
das Mosaik ohne jede Vordringlichkeit nut den:
warmen Samtton der Tuffsteinmauer. Alles ist
auf eine verschwiegene ferue Wirkung berechnet,
uud nur eine Seitenaufnahme aus der Werkstatt,
die wir hier bringen, verrät einige Geheimnisse
der Einzelbildung. Da erkennt man, daß nicht ein-
mal die Hände körperlich hervortreten, sondern nur
Nase und Ohren sich leicht aus der feinen Eisorm
des Kopfes erheben, um die notwendigen Schatten
zu erzeugen; man sieht die wunderbar schwingenden
Umrißlinien des ganzen Werkes und bemerkt, wie
das schräge Netz der Steinchen der leisesten Be-
wegung der Oberfläche folgt, ohne in einen:
malerischen Sinne auf bildartige „impressionistische"

Ewald Matarö

Flsiiir de? hkiliakn ThmnaS dm« Ainüno, bi der WerMUe

nichts verrät diese Ausstellung davon, was die

S

Neue Sezession in und für München, für
Deutschland und darüber hinaus als Kampf-
truppe der jungeu Kunst bedeutet hat. Um so
mehr soll hier kurz daraus hingewiesen werden.
Die Münchner Nene Sezession wurde im No-
vember 1913 nuter dem Programm „Ver-
geistigung der Kunst" von den jüngeren Künst-
lern um Albert Weißgerber, Karl Caspar, Ed-
wiu Scharfs und Bernhard Bleeker gegründet
und konnte noch kurz vor dem Kriege, in dem
Weißgerber den Tod finden sollte, im Juni
1914 ihre erste Ausstellung eröffnen. Die Grün-
dung war Ausdruck einer oppositionellen Stim-
mung in der Jugend gegen die vornehm-eklek-
tische Grundhaltung der 1892 gegründeten Se-
zession, die im Gegensatz zu der radikaleren und
stoßkräftigen Berliner Sezession unter Lieber-
manns Führung nie zu einen: autoritativen
Forum der modernen deutschen Kunst geworden
war. Der Künstlernachwuchs, der aus Ab-
lehnung des Münchner Dekorationsstils die
Neue Sezession gründete, vertrat nicht eine be-
stimmte Richtung, einen neuen Ismus. Es
opponierte vielmehr ein neu erwachtes kri-
tisches Gcsühl für künstlerische Qualitäten und
geistige Werte. Die Neue Sezession ist dem
Grundsatz: keine Richtung zu vertreten, sondern
künstlerische Qualität zu fördern, treu geblieben,
wodurch sie in deu bewegten Nachkriegsjahren
stets eine gewisse konservaüve Haltung bei aller
grundsätzlichen Aufgeschlossenheit sür das Neue
bewahrte. Hätte die Neue Sezession in der
jetzigen Ausstellung auch diejenigen Mitglieder
gezeigt oder zeigen können, die in den beiden
letzten Jahrzehnten München verlassen haben
oder von München abberufen wurden, so wäre
die Bedeutung dieser Künstlergemeinschaft als
eines süddeutschen Zentrums der modernen
Kunst schon sehr viel klarer hervorgetreten.
Die Zahl dieser Mitglieder ist, wenn man den
Verlust ermißt, den die Kunststadt München
durch ihren Wegzug erlitten hat, erschreckend
groß. Sie ist aber sür die Neue Sezession auch
sehr ehrenvoll, wenn man bedenkt, wie viele
gerade aus ihren Reihen an deutsche Kunst-
schulen berufen wurden oder heute einen be-
deutsamen Platz in der Entwicklungsgeschichte
der modernen Kunst einnehmen. Unter ihnen
sind Talente wie Klee, Pelegrini, Rudolf Groß-
mann, Campendonk (der kürzlich an die Amster-
damer Akademie berufen wurde), Kauoldt,
Meuse, Nowak, Thorn-Prikker die alle in der
Ausstelluug vermißt werden, ferner die mehr
oder weniger gut vertretenen Fritz Claus, Feld-
bauer, Willi Geiger, Edwin Scharff, Schrimpf
und Seewald.
Eine der verdienstvollsten Leistungen der
Neuen Sezession ist ihre in: Bestreben, das
Bedeutende und Fruchtbare der jungen Knnst
zn sammeln nnd zn fördern, zielbewusst und
umiicküia bALebene Ansstekln naslcsti gkeit. Mi:
Pm Wichtigste, was an moderner Kunst in
München gezeigt worden ist, sah man in den
Ausstellungen der Neuen Sezession in: West-

Glockenturm iwn Wittlaer


flügel des einstigen Glaspalastes. Hier waren
mit kleineren'"nnd größeren Kollektionen (die
manchmal fast alle Ausstellungsräume füllten)
fast alle Künstler zu Gast, die das Gesicht der
modernen deutschen Knnst prägen halfen: Co-
rinth und Munch als die Jnauguratoren der
Neuen Kunstbewegnng, Ernst Ludwig Kirchner,
Heckel, Schmidt-Rottluff, Pechstein, Otto Mül-
ler, Nolde, Marc, Macke, Klee, Kandinsky, Cha-
gall, Hodler Amiet, Beckmann, Hofer, Schlem-
mer, Dix, Barlach, Kolbe, Albiker, Haller,
Gerhard Marcks nnd viele andere. In der Ge-
schichte der Kunststadt München in ihrer Be-
ziehung zur modernen Knnst, die ja zum Teil
eine Geschichte der versäumten Gelegenheiten ist,
wird die Geschichte der Neuen Sezession immer
eines der wesentlichsten und lichtvollsten Kapitel
sein. Oh, dürfte man zuversichtlich hoffen, daß
dieses Kapitel vor allen: seine lichtvolle Seite
noch nicht abgeschlossen ist!
Wir hatten hier vor allein des Geburtstags-
kindes zu gedenken, das in der gegenwärtigen
Ausstellung in der Neuen Pinakothek mit aller
 
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