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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.5773#0123

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229

Nekrologe.

230

eine wichtige Rolle spielte, da aus dem Datum seiner
Arbeiten (1458) hervorgeht, dass bereits mindestens ein Jahr-
zehnt vor Schüchlin diese Schule es zu einer völlig freien
Ausbildung gebracht hatte, dessen Bedeutung aber nament-
lich darin liegt, dass mit ihm ein ganz neuer und dabei
wahrhaft hervorragender Künstler für die Frühzeit der selb-
ständig entwickelten deutschen Kunst gewonnen ist, einer
von denen, die die Kunstgeschichte um eine wirkliche
Persönlichkeit bereichern. Es handelt sich dabei wesentlich
um ein grosses Altarwerk, das für die Pfarrkirche von
Sterzing in Tyrol (südlich von Innsbruck an der Brenner-
bahn) gefertigt, dann aber über vier verschiedene Stellen
dieser Stadt, ausser der Pfarrkirche noch die Spitalkirche
und die Magdalenenkirche und weiterhin das Rathaus, ver-
streut worden war. Das Werk war schon seit 1884 durch
Conrad Fischnaler in die Litteratur eingeführt, eine ab-
schliessende Erörterung vermochte aber erst F. v. Reber zu
bieten, dessen 1898 in den Sitzungsberichten der Bayrischen
Akademie erschienene Arbeit der Publikation in einem
Sonderabzug beigefügt ist. Danach bestand der Altar ans
einem geschnitzten und bemalten Mittelteil, die Madonna
nebst vier heiligen Jungfrauen darstellend, grossen gemalten
Flügeln mit je vier Darstellungen aus der Leidensgeschichte
Christi und dem Leben der Maria, weiterhin den Schnitz-
figuren der gewappneten Heiligen Georg und Florian und
einer Predella, die in holzgeschnitzten Büsten von wunder-
barer Lebendigkeit Christus und die zwölf Apostel zeigt. —
Weiterhin sind ein kreuztragender Christus mit Simon von
Cyrene, Holzgruppe in der Pfarrkirche, wahrscheinlich ur-
sprünglich an der Aussenwand angebracht, und ein von
1457 datiertes Gemälde der Schleissheimer Galerie, Christus
als Schmerzensmann darstellend, abgebildet; im Text ein
entsprechendes, aber leider sehr verdorbenes Bild der Drei-
einigkeit in der Sakristei des Ulmer Münsters und bei Reber
endlich S. 55 ein Palmsonntagsesel aus dem Ulmer Alter-
tumsmuseum, unter Hinweis auf ein noch besseres Exemplar
desselben Gegenstandes, das im Laufe der Zeit nach dem
Kloster Wettenhausen bei Burgau geraten ist. Das ist bis
auf eine weitere Madonna im Ulmer Museum alles, was sich
bisher mit dem Namen des Künstlers hat in Verbindung
bringen lassen. Solange man an die Herkunft dieser Werke
von einem tyroler Meister glaubte, war es schwer, ihnen
gegenüber einen festen Standpunkt zu gewinnen. Jetzt aber,
wo ihre Herkunft von Ulm feststeht, lassen sie sich aufs
beste in das Bild der Kunstentwicklung des 15. Jahrhunderts
einreihen. Und zwar muss dabei durchaus von den Skulp-
turen ausgegangen werden, da diese allein als gesicherte
Werke Multscher's angesehen werden können, während die
Gemälde ihm nur mit Wahrscheinlichkeit, wenn auch mit
einer sehr hohen, zugewiesen werden können. Diese Holz-
figuren zeugen aber auch von einer Beherrschung der
künstlerischen Ausdrucksmittel, von einer reichen und
mannigfaltigen Gestaltungskraft und vor allem von einer
Fähigkeit, die Gebilde mit einem aus den Tiefen der Seele
stammenden Hauch individuellen Lebens zu erfüllen, dass
es viel zu wenig gesagt scheint, wenn man den Meister
als einen Vorläufer Syrlin's bezeichnet. Will man in der
deutschen Kunst Schöpfungen finden, die mit diesen in Ver-
gleich gezogen werden können, so muss man bis zu den
zweihundert Jahre früher verfertigten Statuen des Naum-
burger Doms zurückgreifen. Durchaus plastisch gedacht,
d. h. fest und füllig, stehen Multscher's Gestalten, die Madonna,
die heiligen Jungfrauen, die Ritter, mitten inne zwischen
Naturbeobachtung und freier Erfindung. Keine von ihnen
ist einem Modell treu nachgebildet, aber keine auch ist in I

konventionell-schematischer Weise erfunden; sondern sie
erwecken den Eindruck des Lebens, weil sie alle aus einer ver-
tieften innerlichen Anschauung der Wirklichkeit hervorgehen.
Man fühlt es ihnen an, dass dem Künstler zuerst feststand,
welchen Charakter er seinen Personen verleihen wollte, und
dass er danach seine Beobachtungen und Studien einrichtete.
Ihnen allen ist der Stempel seines vornehmen, ruhigen,
zarten Geistes aufgeprägt, aber die Ausgestaltung ist jedesmal
eine ganz individuelle, wie man das besonders deutlich an
den herrlichen Aposteltypen der Predella wahrnimmt. Die
Behandlung des Faltenwurfes ist noch, bei allem Reichtum,
schlicht und nicht knitterig; das feine Empfindungsleben
in den Händen, das gleichfalls nur in den Naumburger
Statuen seinesgleichen findet, verdient das höchste Lob.
Die Malereien zeigen das gleiche weise Masshalten und die
gleiche Innerlichkeit eines starken Gefühls. Sie machen es
daher nicht schwer, in diesem Fall einmal ausnahmsweise
anzunehmen, dass in der Person Multscher's der ausge-
zeichnete Bildhauer mit dem ausgezeichneten Maler ver-
einigt war. Durch diese Veröffentlichung hat sich die
Gesellschaft, die schon so viel Nutzen gestiftet hat, ein
ganz besonderes Verdienst um die Erschliessung der deutschen
Kunstgeschichte erworben. W. v. SE1DLITZ.

NEKROLOGE.

f. Am 2. Februar ist in Düsseldorf der Historienmaler
Bernhard Budde gestorben. Er wurde 1827 in Warendorf
(Reg.-Bez. Münster) geboren, entstammte der Schule Wilhelm
von Schadow's und malte meist religiöse Bilder für kleinere
Kirchen in den Rheinlanden.

f. Am 4. Februar starb in einer Privatheilanstalt in
Basel, im Alter von 37 Jahren, der Bildhauer Max Leu, der
Schöpfer des Bubenbergdenkmals in Bern.

London. Am 30. Januar d. J. starb der Bildhauer Bates,
Mitglied der Akademie und ein Vertreter der jüngeren eng-
lischen Bildhauerschule. Bates hat am meisten dazu beigetragen,
die Bildhauerkunst in den letzten Jahren hier zu heben. Sein
Einfluss in dieser Beziehung machte sich nicht nur für
England, sondern sogar auch in Indien bemerkbar. Er be-
gann seine eigentliche Laufbahn, da er 1850 geboren, erst
verhältnismässig spät, d. h. mit dem dreissigsten Jahre bei Ge-
legenheit der Ausstellung von 1880. Bates studierte dann
noch weiter unter Rodin in Paris. In den letzten Jahren
stellte er regelmässig in London aus und erhielt auch hier
die goldene Medaille. Als seine Hauptwerke gelten: die
„Pandora" in der neuen „British Art Gallery", Reiterstatuen
von dem Vicekönig Lord Lansdowne, und das Gegenstück,
Lord Roberts, der Oberbefehlshaber in Indien, beide in
Calcutta aufgestellt. Kürzlich vollendete der Meister noch
eine Kolossalstatue der Königin Victoria für die Stadt Dundee.
Ausserdem fertigte er viele Reliefs und Büsten für indische
Fürsten an. 0"

faris. — Alfred Sisley f. Die französische impressio-
nistische Malerschule hat einen ihrer Führer verloren: Alfred
Sisley ist am 28. Januar in Moret-sur-Loing, dem malerischen
Städtchen östlich des Waldes von Fontainebleau, in dem er
den grössten Teil seines Lebens zugebracht, einem Krebs-
leiden erlegen. Sisley ist als der Sohn englischer Eltern am
30. Oktober 1840 in Paris geboren. Nachdem er zuerst das
Atelier Gleyre's besucht hatte, wandte er sich ganz Corot
zu, der ja neben Daubigny als hauptsächlichster Vermittler
zwischen den Meistern von Barbizon und den Impressionisten
anzusehen ist. Er malte Dorfstrassen, schlichte Waldmotive,
Feldwege, am liebsten im Winter, im Herbst oder im ersten
 
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